FRANKFURT (dpa-AFX) - Aufgeflogene Manipulationen bei Abgastests in den USA haben die VW-Aktie am Montag auf den tiefsten Stand seit mehr als drei Jahren einbrechen lassen. Der VW-Kurs sackte am späten Vormittag um rund 20 Prozent ab. Damit verpufften innerhalb kürzester Zeit rund 15 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung - das ist in etwa so viel wie Adidas (XETRA:ADSGn) an der Börse wert ist. Der Absturz zog auch die anderen Autowerte in Mitleidenschaft und belastete als Dax-Schwergewicht (DAX) den deutschen Leitindex insgesamt.
"Das ist wirklich sehr ernst", sagten die Experten des US-Analysehauses Bernstein zu dem Fall. Die Vorzugsaktie von VW (XETRA:VOW3) rauschte am Vormittag zeitweise um mehr als ein Fünftel in die Tiefe, nachdem der Autobauer den Markt mit dem Eingeständnis geschockt hatte, mit Hilfe einer Software die Resultate von Abgasuntersuchungen bei Diesel-Autos in den Vereinigten Staaten geschönt haben. Bei 125,40 Euro notierte die Aktie so schwach wie seit Mitte 2012 nicht mehr. Ein solcher Kursausschlag ist selbst in der langen und bewegten Geschichte des Wolfsburger Traditionsunternehmens außergewöhnlich.
Analyst Sascha Gommel von der Commerzbank sprach von einem schweren Schlag für VW und die gesamte Dieselbranche in Deutschland. Entsprechend belegten die Aktien von BMW (XETRA:BMWG) und Daimler (XETRA:DAIGn) mit Kursabschlägen von jeweils knapp 4 Prozent hinter VW die nächsten Negativplätze. Auch die beiden Premiumhersteller versuchen die Amerikaner seit geraumer Zeit für den Diesel-Motor zu begeistern.
Der Dax gab um 0,48 Prozent nach. Im Stoxx Europe 600 büßte der Subindex der Autobauer und -zulieferer (DJX:SXAP) angesichts der Schreckensnachricht aus Deutschland 6,35 Prozent ein.
STRAFE VON BIS ZU 18 MRD US-DOLLAR DROHT
Analysten und Händler reagierten unisono mit Unverständnis und Ungläubigkeit auf das Eingeständnis von Volkswagen. "Unglaublich", hieß es von einem Aktienhändler am Morgen. Der Schaden für die Marke sei immens und die Zukunft von VW-Chef Martin Winterkorn ungewiss. Die Wolfsburger zogen inzwischen die Notbremse und stoppten den Verkauf von Diesel-Autos mit Vierzylinder-Motoren in den USA.
"Selbst im besten Fall droht VW eine Milliardenstrafe", schrieb das Team um Bernstein-Analyst Max Warburton. Die im Raum stehenden 18 Milliarden US-Dollar seien zwar wohl etwas zu hoch gegriffen, eine hohe Strafe sei aber wahrscheinlich. Viel werde nun davon abhängen, wie VW mit der Angelegenheit umgehe, führten die Bernstein-Analysten um Max Warburton aus. "Verantwortung abstreiten" oder "einfach Ruhe bewahren" werde in den USA nicht funktionieren.
Die Bernstein-Experten haben über das Wochenende mit einem ehemaligen Angestellten der US-Umweltbehörde EPA gesprochen. VW sei der "Lance Amstrong der Automobilhersteller", zitieren sie den Spezialisten in ihrer Studie.
RUFSCHADEN UND ZUSATZKOSTEN DURCH MÖGLICHE RÜCKRUFAKTION
Laut Michael Raab vom Analysehaus Kepler Cheuvreux ist das Ausmaß des Schadens schwer abzuschätzen. Zwar geht auch er davon aus, dass die Wolfsburger mit den US-Behörden kooperieren und sowohl der möglichen Maximalstrafe entgehen dürften. Doch zu einer Strafzahlung kämen noch die Absatzrisiken in den USA, nachdem VW den Verkauf der betroffenen Fahrzeuge gestoppt habe, der Reputationsschaden sowie die Kosten für eine mögliche Rückrufaktion.
Raab strich seine Kaufempfehlung für die Aktie und senkte das Kursziel von 255 auf 185 Euro. Das Analysehaus Equinet rechnet ebenfalls mit einer harschen Antwort der US-Umweltbehörde EPA und einer hohen Strafe. Für die Aktie sei das eine massive Belastung - Analyst Holger Schmidt senkte das Kursziel deshalb von 180 Euro auf 145 Euro.
Die mögliche Höchststrafe von 18 Milliarden US-Dollar entspräche bei einem Euro-Kurs von 1,13 Dollar 33,50 Euro je Aktie, rechnete Analyst Gommel von der Commerzbank vor. Dabei seien mögliche Rückkaufkosten für die betroffenen Fahrzeuge noch nicht berücksichtigt. Der Ruf des Unternehmens habe schweren Schaden genommen und der Absatz könnte weiter zurückgehen. Untersuchungen in anderen Ländern schloss Gommel ebenso wenig aus wie personelle Veränderungen im Top-Management von VW. Zuletzt meldete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap, dass Abgastests von VW überprüft würden.