* ISS und Glass Lewis gegen Wahl von Ralf Thomas
* Aufsichtsratschef Kaeser: Thomas nur für Übergangszeit
* Aktionärskritik auch an Rolle von Joe Kaeser
München, 29. Jan (Reuters) - Der Einfluss des ehemaligen Mutterkonzerns Siemens SIEGn.DE im Aufsichtsrat von Siemens Energy ENR1n.DE ist führenden Aktionärsvertretern ein Dorn im Auge. Die Investoren-Berater ISS und Glass Lewis empfehlen übereinstimmend, Siemens-Finanzchef Ralf Thomas auf der Hauptversammlung am 10. Februar nicht in den Aufsichtsrat von Siemens Energy zu wählen. Vor allem, dass er dort auch Vorsitzender des Prüfungsausschusses sei, der über die Bilanzen wacht, stelle "einen beträchtlichen Interessenkonflikt dar", heißt es in der Empfehlung von Glass Lewis, die Reuters am Freitag vorlag. Diesen Posten müsse ein Mitglied bekleiden, das nicht abhängig von einem Großaktionär sei, fordert Institutional Shareholder Services (ISS), nach deren Abstimmungsvorschlägen sich viele große Anleger aus den USA und Großbritannien richten.
Aufsichtsratschef Joe Kaeser versuchte in einem Brief an die Aktionäre, ein Votum gegen Thomas zu verhindern. Thomas sei in dieser Funktion zwar "für eine Übergangszeit" wichtig für einen ordnungsgemäßen Übergang bei Siemens Energy nach der Abspaltung von Siemens, schrieb Kaeser. Um den Bedenken Rechnung zu tragen, werde Thomas das Amt als Vorsitzender des Prüfungsausschusses aber spätetens zur Hauptversammlung im nächsten Jahr niederlegen und einem unabhängigen Kandidaten Platz machen. Ob sich die Aktionäre damit zufrieden geben, ist offen.
Thomas ist seit 2013 Siemens-Finanzvorstand unter Kaeser, der am kommenden Mittwoch (3. Februar) als Vorstandschef Platz für Roland Busch macht. Kaeser und Thomas waren noch vor dem Börsengang von Siemens Energy im Herbst in den Aufsichtsrat berufen worden. Sie müssen aber von den Aktionären bestätigt werden. Beide gehören auch dem Nominierungsausschuss an, der die Vorstandsmitglieder auswählt. Siemens hält an der abgespaltenen Tochter direkt noch 35,1 Prozent.
KRITIK AUCH AN KAESER
Auch an Kaesers Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats von Siemens Energy gibt es Kritik: Zwar empfehlen ISS und Glass Lewis den Aktionären grundsätzlich, für seine Wahl zu stimmen. Beide räumen aber ein, dass einige Anteilseigner Bedenken haben könnten, weil Kaeser trotz seines Abschieds von Siemens nicht als unabhängig gelten könne. Schließlich sei er bis vor kurzem auch für die Strategie der Energiesparte verantwortlich und die treibende Kraft für die Abspaltung gewesen, merkt ISS an. Es sei schwierig zu beurteilen, ob es zwischen seiner alten und seiner neuen Rolle eine ausreichende Trennlinie gebe.
Normalerweise müssen Konzernvorstände in Deutschland zwei Jahre warten, bis sie in den Aufsichtsrat wechseln können, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Kaeser nutzt eine Lücke in der Regelung, weil Siemens und Siemens Energy als unterschiedliche Unternehmen gelten. Um die Bedenken auszuräumen, hat Kaeser den ehemaligen Voith-Chef Hubert Lienhard als "Special Independent Director" vorgeschlagen. In dieser Funktion soll er im Siemens-Energy-Aufsichtsrat darüber wachen, dass die Interessen der anderen Aktionäre nicht zu kurz kommen.