- von Andreas Rinke und Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Die Folgen der fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz haben die Haushaltsdebatte im Bundestag dominiert.
In einer teils emotional geführten Debatte beschuldigten sich die AfD und die anderen Parteien am Mittwoch gegenseitig, für einen Vertrauensverlust in den Rechtsstaat verantwortlich zu sein. Kanzlerin Angela Merkel kündigte einen entschiedenen Kurs gegen jede Ausgrenzung von Gruppen wie Juden oder Muslimen an und warnte zugleich, dass der Streit über die illegale Migration über die Zukunft Europas entscheide. Während Redner anderer Parteien der AfD die bewusste Eskalation mit fremdenfeindlichen Tönen vorwarfen, sagte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, nicht die AfD gefährde den Frieden im Land. Es gebe vielmehr den Versuch, seine Partei zu kriminalisieren, indem "eine Art Volksfront" gegen sie aufgebaut werde.
Die Generaldebatte über den Kanzleretat ist immer geprägt von einem grundsätzlichen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition. Dieser fiel am Mittwoch wegen der Auseinandersetzung mit der AfD aber heftiger aus als in früheren Jahren. Der SPD-Politiker Martin Schulz reagierte etwa auf die Gauland-Rede mit der Bemerkung, dass der AfD-Chef "auf den Misthaufen der Geschichte" gehöre. Kanzlerin Merkel mahnte auch mit Blick auf die Auseinandersetzungen in Chemnitz, dass in einem Rechtsstaat Emotionen nicht Regeln ersetzen dürften.
Die Kanzlerin sagte, dass die große Koalition mit dem Haushalt 2019 die Herausforderungen wie Pflege oder Rente zu lösen versuche. Stärker als früher betonte sie aber, dass man sich ungeachtet der Fachthemen sowohl in Deutschland als auch der EU derzeit in sehr grundsätzlichen Auseinandersetzungen über die Demokratie befinde. Sie äußerte Entsetzen über die Todesfälle in Chemnitz und Köthen und forderte, dass die Täter "mit der Härte des Gesetzes" bestraft werden müssten.
Zugleich betonte Merkel aber: "Es gibt keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Nazi-Parolen, Anfeindung von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, Angriffe auf Polizisten." Man brauche einen Konsens über grundlegende Werte der Gesellschaft. "Wir werden nicht zulassen, dass klammheimlich ganze Gruppen in unserer Gesellschaft ausgrenzt werden", sagte sie. "Juden, Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unsere Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Parteien, in unser gesellschaftliches Leben."
"EIN MITTEL, DIE DA KLEINZUMACHEN"
"Sie haben Ihre Maske fallengelassen. Wer Sie unterstützt, der öffnet Nazis Tür und Tor", sagte SPD-Chefin Andrea Nahles an die Adresse der AfD. "Sie sind keine bürgerliche Partei. Sie sind keine Patrioten", sagte auch Unionsfraktionschef Volker Kauder Richtung AfD. Er warf der Partei vor, bewusst verbale Grenzüberschreitungen und eine Eskalation zu suchen. Gauland verteidigte die Demonstranten in Chemnitz. "Die Wahrheit ist: Es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben." Er distanzierte sich von "Idioten und Dumpfbacken", die etwa Hitler-Grüße gezeigt und "Ausländer raus" gerufen hätten. Während der Rede des SPD-Haushälters Joahnnes Kahrs verließ die AfD-Fraktion das Plenum. Kahrs hatte die AfD zuvor als Rechtsradikale bezeichnet. Zudem hatte er Richtung AfD gesagt, dass "Hass hässlich" mache und: "Schauen Sie in den Spiegel, dann sehen Sie was diese Republik in den 20ern und 30ern ins Elend geführt hat".
FDP-Chef Christian Lindner forderte einen Migrations- und Integrationskonsens in Bundestag und Bundesrat. Dafür müssten sich die "staatstragenden Parteien der Mitte" zusammentun. "Das wäre das Mittel, um die da kleinzumachen", sagte Lindner mit Blick auf die AfD-Fraktion. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warf er vor, er habe "pauschal Migration zu einem Problem" erklärt. "Das Problem ist das Management der Migration, für das ihre Partei seit fünf Jahren Mitverantwortung trägt", sagte Lindner. Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch griff Seehofer wegen dessen Äußerung, die Migration sei "die Mutter aller politischen Probleme", an.
Kauder gab aber auch den Bundesländern und den Grünen eine Mitschuld für sinkendes Vertrauen in den Rechtsstaat. Gerade die Vorfälle in Chemnitz und Köthen hätten gezeigt, dass straffällig gewordene ausländische Straftäter viel schneller abgeschoben werden müssten. Die Länder hätten jedoch immer neue Einwände. Die Grünen wiederum hielten sich nur selektiv an Gerichtsurteile.
MERKEL UND NAHLES BEIM THEMA SYRIEN ZERSTRITTEN
Merkel zog auch eine Parallele zur europäischen Ebene, nachdem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Rede im Europäischen Parlament gehalten hatte. Es finde eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Europa-Gegnern und -Befürwortern auch bei der Europawahl im Mai 2019 statt, sagte sie. Größtes Streitthema sei dabei die illegale Migration. "Diese Herausforderung erscheint mir jedenfalls noch weitaus größer als die Frage für den Zusammenhalt der EU als was wir in der Eurozeit erlebt haben", sagte sie. Die Europawahl 2019 werde von der Frage geprägt sein, ob es den Gegnern gelinge, Europa zu zerstören.
Beim Thema Syrien markierten Merkel und SPD-Chefin Nahles unterschiedliche Positionen. Während die Kanzlerin sagte, Deutschland könne nicht einfach wegsehen, wenn es einen erneuten Giftgas-Einsatz gebe, betonte Nahles die grundsätzliche Ablehnung ihrer Partei gegen eine militärische Beteilung der Bundeswehr an möglichen Angriffen gegen die syrische Armee.