- von Ilona Wissenbach
Berlin (Reuters) - Die Skandale um manipulierte Abgastests und Kartellabsprachen jagen vielen Daimler-Aktionären Angst vor künftigen Milliardenlasten ein.
"Der diesjährige Risikobericht von Daimler treibt uns die Sorgenfalten ins Gesicht", sagte etwa Winfried Mathes von Deka Investment am Donnerstag auf der Hauptversammlung des Dax-Konzerns in Berlin. Die Aktionäre müssten letztlich die Zeche zahlen, warnte er. Auch andere Investoren machten die ungeklärten Vorwürfe zu Abgasmanipulation und Kartellen mit dafür verantwortlich, dass der Aktienkurs trotz Rekordgewinn nicht vom Fleck komme. Aufsichtsratschef Manfred Bischoff bedauerte, dass auf Daimlers glanzvolle Bilanz durch "in der Vergangenheit liegende weniger erfreuliche Vorgänge ein Schatten fällt". Antworten und Entwarnung blieben er und der Vorstand aber schuldig.
Die Liste der Rechtsrisiken bei Daimler wird immer länger und erinnert an das Diesel-Debakel beim Volkswagen-Konzern, der als Urheber des Skandals seit 2015 schon mit fast 26 Milliarden Euro büßen musste. Strafverfolger und Umweltbehörden in Deutschland und den USA hegen auch bei Daimler den Verdacht, Stickoxid-Grenzwerte dank Softwaremanipulation nur auf dem Prüfstand eingehalten zu haben. Schadenersatzklagen stapeln sich. Die Stuttgarter waren außerdem an fragwürdigen Abgastests mit Affen beteiligt. Nach der Strafe für das Lkw-Kartell zeigte Daimler sich bei der EU selbst an wegen langjähriger Markt- und Technikabsprachen in der deutschen Autoindustrie. "Kartelle, Affentests - was kommt eigentlich als nächstes?", fragte Marc Tüngler, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Das alles drückt und belastet den Kurs und auch die Stimmung."
RÜCKSTELLUNGEN UNKLAR
Die Aktionärsvertreter bohrten nach, ob die Schwaben schon genug Geld beiseite legten. Doch da alle Verfahren schwebend sind, muss das Unternehmen die Höhe der Risiken nicht beziffern. Wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht, stiegen die übrigen Rücklagen im vergangenen Jahr um eine halbe Milliarde auf 6,2 Milliarden Euro. Doch darin sind nicht nur Rechtsrisiken enthalten. Mögliche Geldbußen, Schadenersatzzahlungen und andere finanzielle Verpflichtungen hätten "keinen nachhaltigen Einfluss auf die Vermögenslage des Konzerns", hieß es weiter. Finanzchef Bodo Uebber versicherte, er prüfe den Rückstellungsbedarf ständig und passe ihn an. "Bisher hat keine Behörde uns gegenüber Verstöße von Mitarbeitern oder Führungspersonen der Daimler AG (DE:DAIGn) gegen Verwaltungsrecht oder Strafrecht festgestellt." Voreilige Schuldzuweisungen seien deshalb nicht angebracht.
Dass der Kurs des Dax-Papiers schon lange mit rund 70 Euro weit unter dem Höchststand von knapp 109 Euro von 1998 dümpelt, liegt Uebber zufolge auch an einer Unterbewertung der Autoindustrie, die gerade in einem kostspieligen epochalen Umbruch steckt - vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antrieben, von Fahrzeugverkäufern zu Mobilitätsdienstleistern mit Autos, die selbst fahren und jederzeit via Internet viele Services bieten.
NEUE MODELLE IN PLANUNG - DIESEL ALS TEIL DER LÖSUNG
Die Herausforderungen will Daimler-Chef Dieter Zetsche nach bewährtem Rezept bewältigen: mit neuen Modellen wie in den vergangenen Jahren mehr Gewinn erzielen. "Das Tempo unserer Produktoffensive bleibt hoch", kündigte der Konzernlenker an. Allein in diesem Jahr rollen mehr als ein Dutzend neue Pkw-Modelle der Marke mit dem Stern vom Band wie etwa die Neuauflage des Kompaktwagens A-Klasse. Mehr als zehn reine Elektroautos und rund 130 elektrifizierte Pkw sind geplant. Das ist dringend notwendig, um die schärferen Klimaschutzvorschriften zu Kohlendioxid-Emissionen einzuhalten.
Damit Daimler nicht eines Tages für jedes Gramm CO2 seiner Flotte zuviel etwa 100 Millionen Euro Strafe zahlen muss, braucht der Autobauer auch den relativ spritsparenden Diesel weiter. Zetsche verteidigt daher den Selbstzünder, der durch Dieselgate und drohende Fahrverbote in Städte immer mehr in Verruf gerät. Die neuesten Dieselmotoren seien nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung, betonte er. "Den Diesel gerade jetzt abzuschaffen, wäre aus ökonomischen wie ökologischen Gründen ein großer Fehler."