- von Caroline Copley
Berlin (Reuters) - Erfunden wurden sie, um Querschnittgelähmten wieder das Laufen zu ermöglichen: Exoskelette.
Dann entdeckte das Militär die sogenannten "Außenskelette", Orthesen mit Gelenken und Motoren, die sich Soldaten umschnallen, um schwere Lasten zu tragen und ausdauernder laufen zu können. Doch der größte Markt für Exoskelette dürfte in der Industrie liegen - etwa bei den Autobauern. Denn einem immer größeren Teil der alternden Belegschaft fällt es schwer, am Band über Kopf zu schrauben oder zu bohren. Volkswagen (DE:VOWG) glaubt mit Hilfe des weltgrößten Prothesen-Herstellers Ottobock die Lösung gefunden zu haben: den "Paexo".
Das 1,9 Kilogramm leichte Oberkörper-Exoskelett von Ottobock soll am Donnerstag offiziell vorgestellt werden. Es wird wie ein Rucksack umgeschnallt und soll das Gewicht von den Armen auf die Hüfte ableiten - und damit die schmerzenden Schultern entlasten. "Ein Exoskelett ist vielleicht die intensivste Form der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Der Arm wird damit praktisch zum Roboter-Arm", sagt Patrick Schwarzkopf vom VDMA-Fachverband Robotik und Automation. Mit dem "Paexo" fühle sich der eigene Arm so leicht an, als wenn man im Schwimmbad auf dem Wasser gleite, sagt Sönke Rössing, der Chef der Industrie-Sparte von Ottobock. Und weil das Gerät so leicht sei, könne es auch eine ganze Acht-Stunden-Schicht getragen werden.
30 Volkswagen-Mitarbeiter im slowakischen Bratislava haben den "Paexo" schon getestet - 80 Prozent von ihnen sagten, sie würden das Exoskelett auch Kollegen empfehlen. Nun spricht VW mit dem Hersteller aus dem niedersächsischen Duderstadt über einen Einsatz in der Serien-Produktion, wie Rössing sagt. Ein VW-Sprecher erklärte, die Gespräche stünden vor dem Abschluss.
OTTOBOCK MUSS WACHSEN
Das 99 Jahre alte Familienunternehmen Ottobock, das mit Prothesen für die Veteranen des Ersten Weltkriegs groß geworden ist, könnte mit "Paexo" eine völlig neue, größere Kundengruppe erschließen. Rian Whitton, Analyst des Technologie-Marktforschungsinstituts ABI Research, schätzt den Markt für industrielle Anwendungen von Exoskeletten in zehn Jahren auf 1,76 Milliarden Dollar. 126.000 Exoskelette sollen dann im Einsatz sein. 2018 würden 3900 Stück für 67 Millionen Dollar verkauft.
Ottobock kam im vergangenen Jahr - fast ausschließlich mit Medizintechnik - auf einen Umsatz von 927 Millionen Euro. Das Duderstädter Unternehmen muss wachsen, schließlich will der schwedische Finanzinvestor EQT, der mit 20 Prozent bei Ottobock eingestiegen war, über einen Börsengang in einigen Jahren mit Gewinn wieder aussteigen.
Der Wolfsburger Autobauer ist nicht der einzige, der mit Exoskeletten experimentiert. Zahlreiche Start-ups tummeln sich neben Medizintechnik- und Roboter-Herstellern auf dem Feld. Der größte Rivale von Ottobock, die isländische Össur, arbeitet zusammen mit der Robotik-Tochter von FiatChrysler, Comau, an einem Oberkörper-Exoskelett, das im Dezember vorgestellt werden soll. Ford testet seit dem vergangenen Jahr in zwei US-Werken ein ähnliches Produkt von Ekso Bionics Holdings. BMW (DE:BMWG) hat in seinem US-Werk in Spartanburg eine Exoskelett-Weste von Levitate Technologies ausprobiert. Und bei der Volkswagen-Tochter Audi in Ingolstadt kommt der "Chairless Chair" des Schweizer Start-ups Noonee zum Einsatz, mit dem die Arbeiter am Band sitzen statt stehen.
DAS EXOSKELETT FÜR DEN HEIMWERKER
Allerdings stehen die Exoskelette am Band im Wettbewerb mit "Cobots", kleinen Robotern, die etwa einen Reifen an der Achse platzieren können, so dass der Arbeiter nur noch die Schrauben festdrehen muss. Cobots können bis zu 30.000 Euro kosten, sind aber auch schon für 10.000 zu haben. Ottobock verkauft den "Paexo" für 5000 Euro.
Und Rössing träumt bereits von ganz anderen Zielgruppen: Kollegen haben ihn auf die Idee gebracht, die sein Exoskelett am Wochenende ausleihen wollten, um ihre Wohnung zu renovieren. Jetzt plant der Ottobock-Manager eine vereinfachte Version für den privaten Gebrauch, die nicht mehr kosten soll als ein gutes Elektrowerkzeug.