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GESAMT-ROUNDUP 6: Russische Angriffe auf Kiew - Kreml bietet Verhandlungen an

Veröffentlicht am 25.02.2022, 22:43
© Reuters.

(aktualisierte Fassung)

KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Die russische Armee ist bei ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine bis in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen und rückt auf die wichtige Hafenstadt Odessa vor. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba berichtete von "schrecklichen russischen Raketenangriffen" auf die Millionenstadt Kiew. Russland machte der Ukraine am Freitag laut Kreml ein Angebot für mögliche Friedensverhandlungen in der belarussischen Hauptstadt Minsk.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte dem russischen Staatschef Wladimir Putin zuvor zwei Mal ein Treffen angeboten. Moskau habe den Vorschlag zu Verhandlungen über einen neutralen Status der Ukraine als Schritt in die richtige Richtung aufgenommen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitagnachmittag.

Die Nato kündigte unterdessen die Verlegung ihrer schnellen Einsatztruppe NRF an. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Freitag nach einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der 30 Bündnisstaaten nicht, wohin die Einheiten verlegt werden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur könnten Bodentruppen in das südwestlich der Ukraine gelegene Rumänien geschickt werden. Ohnehin geplant ist, NRF-Einheiten zu einer Übung in das an Russland grenzende Nato-Land Norwegen zu entsenden.

Zur rund 40 000 Soldaten zählenden NRF gehört zum Beispiel die auch "Speerspitze" genannte VJTF, die derzeit von Frankreich geführt wird. Deutschland stellt nach Angaben aus der Vorwoche für die schnellste Eingreiftruppe des Bündnisses derzeit rund 750 Kräfte.

Russland hatte nach monatelangem Truppenaufmarsch an den Grenzen zur Ukraine am Donnerstag eine Offensive gestartet. Seit Beginn der großangelegten Invasion wurden auf ukrainischer Seite nach offiziellen Angaben mehr als 130 Soldaten getötet. Der Einmarsch löste weltweit Wut und Bestürzung aus.

Während Panzer in die ehemalige Sowjetrepublik vorstießen, gab es Luftangriffe im ganzen Land. In mehreren großen Städten, darunter Kiew, flüchteten die Menschen zum Schutz auch in U-Bahnhöfe. Ukrainische Truppen rückten in Kiew ein, um die Hauptstadt zu verteidigen. In der Metropole heulten mehrfach die Sirenen, wie ein Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur berichtete.

Aus der Ukraine sind innerhalb von 48 Stunden mehr als 50 000 Menschen über die Grenzen ins Ausland geflüchtet. Das berichtete der Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Filippo Grandi, am Freitag auf Twitter. Zuvor hatten bereits die UN von Hunderttausenden auf der Flcht gesprochen.

In der Region Kiew wurden nach offiziellen Angaben vier Menschen bei einem Luftangriff getötet und 15 verletzt. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Kämpfe in einem Wohnviertel im Norden von Kiew zu sehen. Aus Charkiw im Osten des Landes berichteten Medien und Anwohner von Explosionen.

Bei Cherson im Süden durchbrachen russische Truppen die ukrainischen Verteidigungslinien und überquerten den Fluss Dnipro. Russische Soldaten haben nach ukrainischen Angaben die Region um die Hafenstadt Odessa an der Schwarzmeer-Küste mit Raketen beschossen. Es seien am Freitag mehrere Raketen vom Meer aus auf Grenzschutzanlagen abgefeuert worden, teilte der Grenzschutz von Odessa mit. Betroffen sei auch Infrastruktur in der Region Mykolajiw.

Präsident Selenskyj sagte, in der ukrainischen Armee seien am ersten Tag der Invasion 137 Soldaten getötet und 316 Soldaten verletzt worden. Die Russen machten entgegen ihrer Zusicherung keinen Unterschied zwischen militärischen Zielen und Wohnhäusern, sagte er. Zugleich hielt er dem Westen mangelnde Unterstützung vor: "Wir verteidigen unseren Staat allein. Die mächtigsten Kräfte der Welt schauen aus der Ferne zu."

Nach ukrainischen Angaben erlitten die russischen Truppen ihrerseits schwere Verluste. Das Verteidigungsministerium in Kiew nannte am Freitagnachmittag eine Zahl von 2800 russischen Soldaten. Dabei war unklar, ob es sich um getötete, verwundete oder gefangene Soldaten handeln soll. Russland setzte nach eigenen Angaben 118 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht" und schoss fünf ukrainische Kampfflugzeuge und einen Hubschrauber ab. Alle Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Einem russischen Militärsprecher zufolge eroberten die Russen das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl, knapp 70 Kilometer von Kiew entfernt. Spezialisten eines ukrainischen Wachbataillons seien aber nach Absprache weiter im Einsatz. Es gebe keine Auffälligkeiten, die radioaktiven Werte seien normal. Hingegen teilte die zuständige ukrainische Behörde mit, sie messe deutlich erhöhte Strahlenwerte.

Rund um den Globus gingen Demonstranten aus Solidarität auf die Straße. Gebäude und Monumente wurden in den blau-gelben Farben der ukrainischen Flagge beleuchtet. In Deutschland sind für das Wochenende Kundgebungen in mehreren Städten angekündigt, unter anderem in Berlin. Auch in Russland gab es zahlreiche Proteste. Dabei wurden Bürgerrechtlern zufolge mehr als 1700 Menschen festgenommen.

Die EU und die USA belegten Russland mit verschärften Sanktionen, verzichteten aber noch auf härteste Strafmaßnahmen. Die EU setzte auch Putin persönlich und Außenminister Sergej Lawrow auf ihre Sanktionsliste. Strafmaßnahmen der EU gibt es auch mit Blick auf Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visavergabe geben.

Auch die USA und Großbritannien verhängten Sanktionen gegen Putin und Lawrow. Auch weitere Mitglieder der russischen Führung würden betroffen sein, sagte US-Präsident Joe Bidens Sprecherin, Jen Psaki, am Freitag. Details sollten im Laufe des Tages bekannt werden.

Der britische Premier Boris Johnson sagte, Grund für den Schritt sei die "revanchistische Mission" Putins und Lawrows, mit der sie die Weltordnung nach dem Kalten Krieg durch den Angriff auf die Ukraine beseitigen wollten.

Moskau kritisierte die Sanktionen gegen Putin und Lawrow. Das sei ein Beispiel für eine absolute außenpolitische Schwäche, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Freitagabend im Staatsfernsehen. "Mit wem werden Sie sprechen?", fragte sie und erinnerte daran, dass Russland eine Atommacht sei.

Der Kreml verteidigte seinen Militäreinsatz gegen weltweite Kritik. Außenminister Lawrow sagte, der Zweck des Einsatzes sei eine "Entmilitarisierung und Entnazifizierung" und fügte an: "Niemand wird die Ukraine besetzen." Der Kreml behauptet seit Jahren, 2014 hätten aus dem Ausland gesteuerte "Faschisten" in Kiew einen Staatsstreich herbeigeführt.

Putin rief die ukrainische Armee zum Kampf gegen die Regierung auf. "Nehmt die Macht in eure eigenen Hände! Es dürfte für uns leichter sein, uns mit Ihnen zu einigen, als mit dieser Bande von Drogenabhängigen und Neonazis, die sich in Kiew niedergelassen hat und das gesamte ukrainische Volk als Geisel genommen hat", sagte Putin. Er lobte das Vorgehen der russischen Armee.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Angriff als eklatanten Bruch des Völkerrechts angeprangert. Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer "tiefgreifenden Zäsur in der Geschichte Europas nach dem Ende des Kalten Krieges". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an Putin: "Stoppen Sie den Wahnsinn dieses Krieges. Jetzt!" Außenministerin Annalena Baerbock nannte das Gesprächsangebot des Kremls an die Ukraine ein "vergiftetes Angebot". Deshalb hätten die EU-Außenminister in Brüssel gar nicht darüber gesprochen, sagte sie in einem ARD-"Brennpunkt".

Die Staats- und Regierungschefs der 30 Nato-Staaten bekräftigten bei einem Sondergipfel nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ihre feste Entschlossenheit zur kollektiven Verteidigung der Alliierten. "Unser Bekenntnis zu Artikel 5 des Vertrags von Washington ist unerschütterlich. Wir stehen zum Schutz und zur Verteidigung aller Verbündeten zusammen", hieß es am Freitag in der gemeinsamen Abschlusserklärung eines Nato-Sondergipfels. "Wir werden tun, was notwendig ist, um jeden Verbündeten und jedes Stück Nato-Gebiet zu beschützen und zu verteidigen", sagte Generalsekretär Stoltenberg.

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