- von Hakan Ersen und Frank Siebelt
Frankfurt (Reuters) - Trotz der seit Jahren weit geöffneten Geldschleusen ist die Europäische Zentralbank (EZB) von ihren Zielen immer noch weit entfernt:
Die Wirtschaft der 19-Länder-Gemeinschaft kommt nur mühsam in Gang und die Inflation dümpelt nach wie vor an der Nulllinie herum. Die Euro-Wächter streben aber als optimalen Wert für die Konjunktur knapp zwei Prozent Teuerung an. Börsianer spekulieren deshalb darauf, dass die EZB dem Beispiel der Bank von Japan (BoJ) folgen und künftig neben Anleihen auch Aktien aufkauft. Dabei würden sie nicht einzelne Papiere, sondern börsennotierte Fonds, sogenannte ETFs (Exchange Traded Funds) an der Börse einsammeln. "Die Notenbanken müssen immer tiefer in die Trickkiste greifen, um einen Effekt zu erzielen", sagt Marktanalyst Heino Ruland von Ruland Research.
ETFs sind Wertpapiere, die Aktienindizes wie etwa den Dax mit seinen 30 Standardwerten oder den EuroStoxx50 mit den größten Unternehmen aus der Euro-Zone nachbilden. In Europa ist der ETF-Markt nach Daten der Beraterfirma ETFGI über 500 Milliarden Dollar schwer und mehr als doppelt so groß wie der japanische. In den USA wird das Volumen auf etwa zwei Billionen Dollar geschätzt.
Bislang kauft die EZB Staats- und Unternehmensanleihen im Volumen von 80 Milliarden Euro monatlich auf und drückt damit die Renditen dieser Papiere. Die EZB darf dabei keine Titel einsammeln, die unterhalb des Einlagenzinses von aktuell minus 0,4 Prozent rentieren. Bereits seit März 2015 sind die EZB und die Notenbanken der Euro-Länder in großem Stil am Markt aktiv. Bei besonders gefragten Staatsanleihen drohen mittlerweile Engpässe. So fallen bei Bundesanleihen wegen zu niedriger Renditen bereits alle Titel bis zu einer Laufzeit von sieben Jahren aus dem EZB-Ankaufprogramm heraus. Das Wertpapier-Programm, das bislang Ende März 2017 auslaufen soll, dürfte auch auf der am Donnerstag anstehenden EZB-Zinssitzung ein wichtiges Thema sein.
ETF-KÄUFE WÜRDEN GROSSE LÄNDER BEVORZUGEN
Was also tun? Die EZB hatte schon einmal beschlossen, die Käufe auf andere Marktsegmente auszudehnen. So kündigte sie im März den Kauf von Firmenanleihen an. Sollten nun auch Aktien-ETFs einbezogen werden, würde das zu Kursverzerrungen an den Börsen führen. Daher müsste die EZB nicht nur technische, sondern auch politische Hürden überwinden. Commerzbank-Volkswirt Peter Dixon zufolge müsste die EZB sicherstellen, dass alle 19 Länder der Euro-Zone einbezogen werden. "Offensichtlich möchte die EZB nicht das Bild abgeben, dass sie einen Markt gegenüber einem anderem bevorzugt." Genau darin steckt aber bei Indexfonds der Wurm. Denn in den großen richtungsweisenden Indizes wie dem EuroStoxx50 oder dem MSCI EMU sind eher Firmen aus den großen Volkswirtschaften wie zum Beispiel Deutschland oder Frankreich vertreten. Länder wie Portugal oder Irland wären klar im Nachteil.
Eine Möglichkeit wäre wie bei den Anleihenkäufen eine Orientierung am Umfang des Grundkapitals, das ein Land an der EZB hält, sagt Antoine Lesne, Anlagestratege beim ETF-Anbieter SPDR. "Allerdings verschiebt auch dies die Gewichte zugunsten der größeren Einzahler, die weniger auf Hilfen angewiesen sein könnten als jene aus der Peripherie." Dies ist bereits beim großen Anleihen-Kaufprogramm der Währungshüter der Fall. So werden deutlich mehr Bundesanleihen erworben als etwa Schuldtitel Portugals oder Irlands.
Der Chefökonom des Bankhauses Sarasin, Karsten Junius, hatte unlängst einen direkten Kauf einzelner Aktien durch die Euro-Wächter vorgeschlagen. Die Käufe sollten dann ähnlich wie beim Anleihenprogramm organisiert werden, so dass die nationalen Notenbanken die Titel auf eigene Rechnung erwerben. Junius sieht allerdings Probleme bei der öffentlichen Akzeptanz. So könnten solche Käufe als Begünstigung einzelner Länder verstanden werden.
Aktienmarkt-Experte Ruland verweist auf einen weiteren kritischen Punkt. "Das Geld fließt nicht direkt in die Realwirtschaft, sondern kommt Anlegern zugute. Einen geldpolitischen Mehrwert sehe ich daher nicht." Volkswirte bemängeln zudem schon seit längerem, dass die Wirkung der ultralockeren Geldpolitik mit der Zeit abnimmt. Eine Ausweitung der Wertpapierklassen würde daher aus Expertensicht der Konjunktur und Inflationsentwicklung nur noch wenig zusätzliche Impulse geben. Zudem steigt Ökonomen zufolge dann auch die Gefahr von Spekulationsblasen. In Japan liegt Schätzungen zufolge bereits die Hälfte der dortigen ETFs in den Depots der BoJ. Dennoch steckt das Land seit Jahren in einer Wirtschaftskrise.