- von Markus Wacket
Berlin (Reuters) - Wer sich die jüngsten Zahlen der Deutschen Bahn (DB) anschaut, könnte meinen, der Vorstand des Staatskonzerns hätte die Vorgaben des Koalitionsvertrags von Schwarz-Rot direkt umgesetzt.
Dort heißt es: "Für uns steht als Eigentümer der Deutschen Bahn AG nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene im Vordergrund." Und so kann die Bahn auf der einen Seite einen neuen Passagierrekord in IC und ICE im ersten Halbjahr 2018 vorweisen, vermeldete zugleich aber einen Gewinneinbruch von über 17 Prozent. "Der Trend zu mehr Verkehr auf der Schiene ist ungebrochen", sagt Bahnchef Richard Lutz. Das Problem: Der Gewinn reichte schon in der Vergangenheit selten, um nur die nötigsten Investitionen zu stemmen. Im Güter- und Regionalverkehr geht der Trend zur Schiene zudem offenbar an der DB vorbei, während die Schulden Rekordniveau erreichen.
Dass der Staat über den Koalitionsvertrag seinem größten Unternehmen so detaillierte Vorgaben wie nie zuvor macht, hat seine Gründe: Pünktlichkeit von IC und ICE lassen zu wünschen übrig. Der Güterverkehr kommt nicht aus der Krise und liefert keine Entlastung der Straße und damit der Klimabilanz der Regierung. Und die Schulden werden einen neuen Rekord von 20 Milliarden Euro erreichen.
"Damit ist ein wesentliches Ziel der Bahnreform verfehlt", schrieben bereits im Jahr 2016 alarmierte Haushaltspolitiker an die Regierung und forderten einen Konzernumbau. Zuvor hatten sie das Unternehmen mit einer Milliarden-Hilfe stützen müssen. Zur Erinnerung: Bei ihrem Start 1994 waren der Bahn alle Verbindlichkeiten der Vorgänger Bundes- und Reichsbahn komplett vom Steuerzahler abgenommen worden.
MEHR POLITIKER IM AUFSICHTSRAT
Weder der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD noch die Halbjahreszahlen dürften die Haushaltswächter des Bundes beruhigen. Neben dem Verzicht auf eine "Gewinn-Maximierung" sind im Vertrag volkswirtschaftliche Ziele wie die Steigerung des Marktanteils der Schiene festgeschrieben und die Vorstände auf deren Erfüllung verpflichtet worden. Schienennetz und Stationen seien Teil der öffentlichen Daseinvorsorge. Damit der Vorstand sie auch umsetzt, wird der Aufsichtsrat umgebaut und mit zusätzlichen Politikern besetzt. Die Unternehmer Michael Frenzel und Jürgen Großmann scheiden dafür aus. Chef-Kontrolleur ist erstmals kein Mann aus der Wirtschaft, sondern mit Michael Odenwald ein Ex-Staatssekretär aus dem Verkehrsministerium.
Die Weichen werden vom Markt zum Staat gestellt, beklagen die DB-Konkurrenten. Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) - ein Verband der DB-Wettbewerber - wirft die Frage auf, ob nicht Dumping-Preise die Folge wären, wenn der Gewinn nicht mehr entscheidend ist, dafür aber der Marktanteil. Im Ergebnis könne die Politik ständig mit neuen Geldforderungen des Konzerns konfrontiert werden. Im Koalitionsvertrag ist auch das Ziel verankert, die Zahl der Bahnkunden bis 2030 zu verdoppeln. Offen ist, ob dies mit dem vorhandenen Schienennetz überhaupt zu bewältigen wäre und wer die Züge und Gleise finanziert.
Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte die enge Leine der Politik einst so beschrieben: Wenn es nach den Politikern ginge, müssten die ICE letztlich in jedem Wahlkreis und damit an "jeder Milchkanne" halten. "Wir sind keine Staatsbahn mehr, wo jeder den Kochlöffel in den Topf halten kann." Mehdorn ist vor beinahe zehn Jahren abgetreten. Seitdem hat sich der Wind gedreht.