Investing.com – Aktienindizes wie der Nasdaq, S&P500 und DAX steigen kontinuierlich weiter, obwohl sich sowohl in Europa als auch den USA eine wirtschaftliche Flaute abzeichnet. Die Zinsen sind hoch und die Inflation führt zu Verlusten beim Realeinkommen, was die Nachfrage negativ beeinflusst.
Somit müsste davon auszugehen sein, dass den Unternehmen in den kommenden Quartalen Gewinneinbußen drohen, was theoretisch zu einer Korrektur der Aktienmärkte führen sollte. Die Praxis sieht jedoch ganz anders aus. Aber warum?
Der Grund für den Anstieg der Aktienkurse trotz der trüben Aussichten ist einfach. Die Finanzmärkte haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert, wie Larry McDonald in seinem jüngsten Artikel beschrieb.
Diese Änderung bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es nur noch bergauf geht. Es führt vielmehr dazu, dass ein Crash aufgrund der neuen Marktkräfte aus dem Nichts heraus entstehen kann. Was hat sich also geändert?
Vor gut zwanzig Jahren lagen die von Investmentfonds gemanagten Vermögenswerte lediglich im einstelligen Prozentbereich. Die zunehmende Beliebtheit dieser passiven Anlageform erreichte vor gut 10 Jahren bereits 24 Prozent, mit einem verwalteten Vermögen von 2,2 Billionen Dollar. Der Siegeszug der ETFs ließ den Anteil bis heute auf 50 Prozent steigen, was in etwa 11 Billionen Dollar entspricht.
Ganze 70 Prozent des täglichen Aktienvolumens ist auf passive Anleger zurückzuführen, die nahezu ausschließlich Käufer und keine Händler sind.
Wer sich schon einmal mit ETFs und Investmentfonds beschäftigt hat, der dürfte bemerkt haben, welch ein riesiges Angebot an unterschiedlichen Produkten es gibt. Das Problem hinter derartigen passiven Anlageformen ist laut McDonald, dass diese Fonds nicht von Menschen, sondern von Computern gemanagt werden. Und das wichtigste Entscheidungskriterium für den Kauf ist die Volatilität.
Sinkt die Volatilität, wie es seit Monaten der Fall ist, dann werden automatisch Aktien gekauft und die Indizes steigen. Wirtschaftsprognosen spielen dabei keine Rolle, es sind rein parametergetriebene Dynamiken.
McDonald stellt fest, dass diese Dynamik durch den Optionsmarkt noch weiter verstärkt wird und so entsteht, wie er es nennt, eine sich selbstverstärkende Rückkopplungsschleife.
Der Optionsmarkt erfuhr Anfang 2022 eine große Neuerung. Optionsscheine, die an dem Tag, an dem sie zum Handel freigegeben werden, verfallen, die sogenannten Zero-Day-To-Expiration-Optionen (0DTE), oder auch Dailys.
Laut Goldman Sachs (NYSE:GS) macht dieses neue Produkt inzwischen fast 50 Prozent des S&P-Optionsvolumens aus.
Das Optionsvolumen knackte die Rekordmarke von 10 Billionen Dollar. An dieser Stelle muss man wissen, dass der Optionsmarkt konträr zum Aktienmarkt agiert. Steigen die Märkte, dann verkaufen Optionshändler, fallen die Kurse, dann wird gekauft.
Genau dieser Mechanismus ist es, der sowohl die implizite als auch die realisierte Volatilität sinken lässt, woraus sich für die von den Maschinen gemanagten Fonds ein klares Kaufsignal ergibt.
Angetrieben von den künstlich in die Höhe gejagten Aktienkursen fließt immer mehr Geld in Aktien, während die Nachrichten über neue Rekordniveaus zusätzlich frisches Geld anzieht. In der Folge sinkt die Volatilität weiter, woraus sich neue Kaufsignale ergeben usw.
McDonald verweist darauf, dass damit ein erhebliches Ungleichgewicht entsteht. Im S&P 500 machen die 15 größten Aktien bereits 36 Prozent des Index aus. Im Nasdaq 100 entfallen 60 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung auf die 10 größten Aktien.
Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die jüngsten Kursgewinne bei Apple (NASDAQ:AAPL), Amazon (NASDAQ:AMZN), Microsoft (NASDAQ:MSFT), Google (NASDAQ:GOOGL), Nvidia (NASDAQ:NVDA), Meta (NASDAQ:META) und Tesla (NASDAQ:TSLA) nicht unbedingt auf den KI-Hype und andere Zukunftsprojektionen zurückzuführen sind. Denn ein Großteil des täglichen Kaufvolumens wird von Maschinen generiert, denen gesagt wurde, dass sie bei niedriger Volatilität kaufen sollen.
Außerdem gibt es mehrere große Investmentfonds, die mehr oder weniger unbeabsichtigt für steigende Kurse sorgen, wie McDonald erklärt. JPMorgan (NYSE:JPM) betreibt mit dem Hedged Equity Fund (JHEQX) einen 15 Milliarden Dollar Fonds, der in den S&P investiert. Dieser Fonds wird mit Optionen in beide Richtungen abgesichert.
Jedes Quartal müssen die Positionen angepasst werden. Das nächste Mal wird das am 30. Juni der Fall sein, wenn JPMorgan 40.000 Juni-Calls zurückkauft, um gleichzeitig Calls für den 29. September zu verkaufen (etwa 5 Prozent über dem S&P-Kurs).
Bis dahin ein ganz normales Vorgehen. Doch das Open Interest an diesem Call ist innerhalb eines Tages von 800.000 Dollar auf 17 Milliarden Dollar gestiegen und erreichte jetzt 25 Milliarden Dollar. Und warum? Weil Spekulanten wissen, dass JPMorgan zurückkaufen muss, egal zu welchem Preis.
McDonald ist sich sicher, dass das nicht der einzige Fonds ist, der von Spekulanten gejagt wird.
All das führt letztlich zu der Illusion, dass die Aktienmärkte auch unter widrigsten Bedingungen steigen. Was einfach nur daran liegt, dass das Maß der Dinge die Volatilität ist und Marktrisiken falsch bewertet werden, sodass die Long-Positionen entgegen jeder Vernunft zunehmen.
In seinem Artikel warnt McDonald vor einem Flash-Crash, wie er 2018 stattfand. Nahezu aus dem Nichts fiel der S&P an einem einzigen Tag um 11 Prozent.
Ein Ereignis, das sich jederzeit wiederholen kann. Durch das mittlerweile enorm automatisierte Volumen hat die Gefahr eines Dominoeffekts erheblich zugenommen, sodass es zu einem ausgewachsenen Markt-Crash kommen kann.
Und wenn das passiert, werden Hedgefonds und andere professionelle Marktteilnehmer schon längst ausgestiegen sein, während der Privatanleger damit beschäftigt ist zu begreifen, was gerade passiert.