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FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Chemieindustrie in Deutschland hat nach einem ernüchternden Schlussquartal ihre Prognosen für das laufende Jahr gesenkt. "Das vergangene Jahr ist hinter unseren Erwartungen geblieben", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Utz Tillmann, am Dienstagabend in Frankfurt. China habe sich von der Wachstumslokomotive zum Sorgenkind der Weltwirtschaft entwickelt. Die dortigen Turbulenzen an den Börsen seien Ausdruck tiefer struktureller Probleme im Reich der Mitte.
Alle wichtigen Kennzahlen zeigten zum Jahresende nach unten: Produktion, Preise und Umsatz gingen zurück. Die Unternehmen drosselten nach einer guten ersten Jahreshälfte ihre Produktion im zweiten Halbjahr überraschend. Der Abwärtstrend habe sich zum Jahresende beschleunigt, sagte Tillmann. Vor diesem Hintergrund zeigte sich der Verband für 2016 nach einer bereits vorsichtigen Prognose deutlich pessimistischer.
'GESAMTWIRTSCHAFTLICHE BELEBUNG KOMMT NICHT AN'
Auch in diesem Jahr sei wegen des geringen Industriewachstums nur mit einer schwach steigenden Nachfrage zu rechnen. Die Chemieproduktion dürfte sich um 1,0 Prozent erhöhen und damit 0,5 Prozentpunkte schwächer ausfallen als zuletzt erwartet. Die gesamtwirtschaftliche Belebung komme in der Industrie nicht an, mahnte Tillmann und forderte ein besseres Investitionsumfeld. Sorgen bereiten die Auslandsmärkte. So habe sich die Konjunktur in den USA und China abgekühlt, aus wichtigen Schwellenländern wie Russland und Brasilien kämen keine Impulse.
Wegen kräftiger Rückgänge im vierten Quartal legte die Produktion im vergangenen Jahr nur um 0,7 Prozent zu - 0,3 Punkte weniger als bisher veranschlagt. Während das Pharmageschäft florierte und die Spezialchemie zulegte, sank in Teilen der Grundstoffchemie die Produktion.
Im laufenden Jahr dürfte sich der Umsatz bei einem erwarteten Rückgang der Chemikalienpreise um 0,5 Prozent nur um 0,5 Prozent erhöhen, schätzt der VCI. Dabei seien nur aus dem Ausland Impulse zu erwarten. Im Dezember hatte der Verband bei stabilen Preisen noch ein Umsatzplus von 1,5 Prozent vorausgesagt.
CHEMIKALIENPREISE AUF TIEFSTEM STAND SEIT FÜNF JAHREN
Im vergangenen Jahr blieb der Umsatz der Branche nicht wie erwartet stabil, sondern sank wegen eines Rückgangs der Chemikalienpreise um 0,4 Prozent auf 190 Milliarden Euro. Die schwache Nachfrage habe die Unternehmen gezwungen, sinkende Rohstoffpreise rasch an die Kunden weiterzugeben, sagte Tillmann.
Im Zuge des Ölpreisverfalls sanken die Chemikalienpreise im vergangenen Jahr um 2,8 Prozent und damit auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Kunden hielten sich in Erwartung sinkender Preise zurück. Auch sei die Verunsicherung wegen der sich verstärkenden Wachstumsschwäche der Schwellenländer deutlich zu spüren. Die erhoffte Belebung sei weitgehend ausgeblieben.
MEHR MITARBEITER
Trotz der vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Dynamik legte die Zahl der Beschäftigten im vergangenen Jahr um 0,5 Prozent auf 447 000 zu. Die Unternehmen wappnen sich seit Jahren gegen einen Fachkräftemangel. Im laufenden Jahr dürfte die Beschäftigtenzahl trotz des Umfelds etwa gleich bleiben, erwartete Tillmann.
Die Auslastung der Anlagen sank 2015 auf 83,5 (Vorjahr 84,2) Prozent. Sie lag damit am unteren Rand des Normalbereichs und sei nicht zufriedenstellend.
WARNUNG VOR ZUSÄTZLICHEN GRENZKONTROLLEN
Tillmann warnte vor einer Wiedereinführung innereuropäischer Grenzkontrollen im Zuge der Flüchtlingskrise. "Das wäre für den gesamten Wirtschaftsverkehr eine Katastrophe." Solche Maßnahmen würde den eng getakteten Warentransfer behindern und die optimierte Produktion erheblich stören. Zusätzliche Grenzkontrollen wären ein "erheblicher Wettbewerbsnachteil" für ganz Europa.
Die Nachrichten aus den Unternehmen der Branche waren zuletzt eher ernüchternd. So stellt sich der weltgrößte Chemiekonzern BASF wegen der niedrigen Ölpreise und eines schwächeren Wachstums in China 2016 auf einen Ergebnisrückgang ein. "Der Ölpreis hat natürlich eine besondere Bedeutung auch im Jahre 2016", sagte Konzernchef Kurt Bock bei der Bilanzvorlage am Freitag. Die Chemie ist Deutschlands drittgrößter Industriezweig und als Lieferant für die Auto-, Bau- und Konsumgüterindustrie ein wichtiger Signalgeber für die Konjunktur.