Volkswagen-Vorstandschef Matthias Müller hat vor den Aktionären seines Konzerns für einen Neuanfang geworben. "Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Was in unseren Händen liegt, ist, verantwortungsvoll damit umzugehen", sagte er auf der VW-Hauptversammlung am Mittwoch in Hannover. "Dieser Aufgabe stellen wir uns." VW wolle als Unternehmen zu einem "Vorbild" in Sachen Integrität und Recht werden.
Die Versammlung der Anteilseigner, zu der nach VW-Angaben rund 3000 Aktionäre kamen, steht ganz im Zeichen des Dieselskandals. Der größte deutsche Autobauer hatte im vergangenen September nach Ermittlungen von US-Behörden zugeben müssen, bei weltweit mehr als elf Millionen Diesel-Fahrzeugen eine Software eingesetzt zu haben, die Emissionswerte bei Tests künstlich absenkte. Das stürzte Volkswagen (DE:VOWG) in eine tiefe Krise.
Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wandte sich während der Aktionärsversammlung mit einer expliziten Entschuldigung an die Anteilseigner. "Ich möchte mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben. Das bedauern wir zutiefst", sagte er.
Pötsch warb zugleich dafür, den gesamten Vorstand für das vergangene Geschäftsjahr zu entlasten. Es sei wichtig, dass Volkswagen in der schwersten Krise seiner Geschichte seine "Handlungsfähigkeit" behalte. Außerdem sei das Unternehmen nach Meinung des Aufsichtsrats beim aktuellen Vorstand in "guten Händen".
Zu Wochenbeginn war bekannt geworden, dass die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen den wegen der Dieselkrise ausgeschiedenen früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und gegen VW-Markenchef Herbert Diess wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt, weil der Konzern zu spät über die Affäre und deren mögliche Folgen informiert haben könnte.
Der Aufsichtsrat beriet deshalb erneut, ob er an der Entlastungsempfehlung festhält. Bislang ergäben sich aber keine neuen Hinweise auf "eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzungen" des jetzigen Vorstands, sagte Pötsch.
Trotz des Unmuts zahlreicher Aktionäre über die Abgasaffäre sind Überraschungen auf der Hauptversammlung praktisch ausgeschlossen. Rund 89 Prozent der Stimmrechte halten die VW-Gründerfamilien Porsche (DE:PSHG_p) und Piëch, das Land Niedersachsen und das Emirat Katar. Als Ankeraktionäre sind sie im Aufsichtsrat vertreten und eng in die Krisenbewältigung sowie alle sonstigen strategischen Unternehmensentscheidungen eingebunden.
Als eine Lehre aus der Abgasaffäre kündigte Müller an, Emissionstests künftig immer "extern und unabhängig" überprüfen zu lassen. Zudem plant VW Investitionen in sauberere Verbrennungsmotoren. Die neuen Generationen der konzerneigenen TSI- und TFSI-Benzinmotoren erhielten künftig sukzessive Partikelfilter, sagte er. Bis 2022 sollten jährlich bis zu sieben Millionen VW-Autos so ausgestattet werden.
Rückstellungen für die Folgen des Skandals hatten VW im vergangenen Geschäftsjahr einen Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro eingebrockt. Vorstand und Aufsichtsrat wollen deshalb die Dividende drastisch kürzen. Auch das dürfte unter den Aktionären für schlechte Stimmung sorgen.
Parallel arbeitet VW an einer großen strategischen Neuaufstellung, um sich zukunftsträchtige Geschäftsfelder im Bereich der Elektromobilität, neuer internetbasierter Mobilitätsangebote wie Ridesharing und selbstfahrenden Autos zu erschließen. Volkswagen plane mit Milliardeninvestitionen einen Elektrifizierungsoffensive, "die in der Branche ihresgleichen sucht", sagte Müller. 2016 sei ein "Jahr des Übergangs", in dem Weichen neu gestellt würden.