- von Jan C. Schwartz
Wolfsburg (Reuters) - Volkswagen schaltet mitten in der Abgaskrise und nach dem höchsten Verlust seiner Geschichte auf Angriff.
"Wir werden kämpfen, um jeden Kunden und jedes Auto", sagte Konzernchef Matthias Müller am Donnerstag in Wolfsburg. Sein oberstes Ziel sei es, das wegen der millionenfachen Manipulation von Diesel-Abgaswerten verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen. "Alles andere ist zweitrangig." Parallel zur Aufarbeitung des Skandals müsse Volkswagen fit gemacht werden für die automobile Zukunft. "Wir lassen uns von der Krise nicht lähmen, sondern wir machen Tempo - bei allen Marken, in allen relevanten Märkten." Europas größter Autobauer habe das Potenzial, sogar gestärkt aus dem Skandal zu kommen: "Volkswagen ist viel mehr als Krise."
Dabei ist noch nicht absehbar, wie lange Volkswagen noch mit den Folgen von "Dieselgate" zu ringen hat. Müller sagte, er habe "keine Ahnung", wie lange dies dauern werde. Klar sei nur, dass auch 2016 ein anspruchsvolles Jahr werde. Zumindest die Ermittlungen von Jones Day zu den Hintergründen der Manipulation und den Verantwortlichen sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Den für Ende April geplanten Zwischenbericht der US-Kanzlei hatte Volkswagen wegen der noch laufenden Verhandlungen mit den US-Behörden auf unbestimmte Zeit verschoben.
Müller machte klar, dass Europas größter Autobauer nicht nur die Folgen der Abgaskrise schultern müsse, sondern gleichzeitig die Neuausrichtung auf umweltschonendere Antriebe bewältigen und die Digitalisierung der Produktion einleiten wolle - und das bei weltweit härter werdendem Wettbewerb. VW-Markenchef Herbert Diess treibt gleichzeitig den Umbau der Kernmarke voran. Der frühere BMW-Manager kündigte an, die Produktivität in mehreren Werken solle um mehr als zehn Prozent steigen. Besonders groß sei das Potenzial von VW in den USA, wo die Dieselmanipulationen im Herbst als erstes ruchbar geworden waren. "Wir starten in den USA bei Null."
"ERHEBLICHE WEITERE BELASTUNGEN"
Um die immensen Folgen des Skandals zu stemmen, schließt VW selbst eine Veräußerung von Unternehmensteilen oder Marken nicht aus. Wegen der Kosten unter anderem für die Reparatur der betroffenen Dieselfahrzeuge, den Rückkauf von Fahrzeugen oder für mögliche Strafzahlungen könnten sich "erhebliche weitere finanzielle Belastungen" ergeben, hieß es in dem am Donnerstag veröffentlichten Geschäftsbericht. Außerdem könne es zu einem Rückgang der Nachfrage und geringeren Margen im Neu- und Gebrauchtwagengeschäft kommen. Konkrete Pläne für Verkäufe gebe es jedoch nicht, betonte Müller.
Ein Insider sagte Reuters, im Extremfall käme ein Börsengang der Töchter Audi oder Porsche (DE:PSHG_p) infrage. Denkbar sei etwa, 20 bis 25 Prozent der Unternehmen zu platzieren. Man könnte auch die Lkw-Holding mit MAN oder Scania aufs Börsenparkett bringen. "Das wäre aber erst in zwei, drei Jahren sinnvoll, wenn es operativ besser läuft." Auch ein Verkauf der MAN-Dieselmotoren oder des Getriebebauers Renk käme infrage. VW äußerte sich nicht dazu.
Auch wenn der Konzernchef davon ausgeht, dass die Konkurrenz die Schwäche von VW versuchen wird auszunutzen, will Volkswagen wie im Vorjahr weltweit etwa zehn Millionen Fahrzeuge losschlagen. Im ersten Quartal hatte Volkswagen bereits mehr Fahrzeuge ausgeliefert als der Erzrivale Toyota (T:7203), der seit mehreren Jahren der Konkurrenz voranfährt. Der erfolgsverwöhnte japanische Konzern wird jedoch derzeit von Produktionsausfällen in seinem Heimatland gebremst.
ELEKTROAUTOS SOLLEN VW-MARKENZEICHEN WERDEN
Müller kündigte bis 2020 mehr als 20 neue Modelle an, darunter mehrere Elektroautos. Umweltschonende Fahrzeuge sollten künftig ein Markenzeichen von Volkswagen sein. Dafür will der Wolfsburger Konzern weiter viel Geld investieren. Um in der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung der Branche mitzuhalten, habe VW Partnerschaften mit dem US-Softwareunternehmen Pivotal und der Singularity University im Silicon Valley geschlossen. Weltweit werden derzeit Zentren hochgezogen, an denen Experten für die digitale Vernetzung zusammen mit Designern an der Zukunft der Mobilität arbeiten. Ziel sei, bis 2025 einen "substanziellen Teil" des Umsatzes mit neuen Dienstleistungen zu erwirtschaften.