Berlin (Reuters) - Die Politik darf nach Ansicht der deutschen Industrie trotz des Aufschwungs nicht die Hände in den Schoß legen.
"Die gute Wirtschaftslage ist kein Freifahrtschein zum Ausruhen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, am Dienstag in Berlin. "Unser Erfolg ergibt sich auch aus einem schwachen Euro-Kurs, einem moderaten Ölpreis und einer expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank." Wegen globaler Risiken müsse der Standort Deutschland krisenfest gemacht werden, sagte Kempf. Das Münchner Ifo-Institut erhöhte derweil seine Wachstumsprognose für 2017 auf 1,8 Prozent und für 2018 auf 2,0 Prozent. "Die deutsche Wirtschaft ist stark und stabil", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Derzeit laufe es so gut, "dass uns der Schwung bis ins kommende Jahr trägt", betonte der Ifo-Experte. Die Zahl der Beschäftigten werde 2017 auf den Rekordstand von 44,2 Millionen steigen und im nächsten Jahr auf 44,6 Millionen klettern. Der BDI erwartet für dieses Jahr weiter ein Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent. "Die deutsche Wirtschaft wird endlich wieder einmal vom Motor Außenhandel getrieben", sagte Kempf.
Kritik äußerte er am Kurs von US-Präsident Donald Trump und verwies auf dessen Einreiseverbote, den Rückzug aus Freihandelsabkommen und die Drohung von Strafzöllen. "Die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens ist nur das bisher schrillste unter den beunruhigenden Signalen an die internationale Gemeinschaft", sagte Kempf. "So setzt man Partnerschaften aufs Spiel." Deutschland müsse deshalb zeigen, dass die Industrie nicht nur hierzulande Arbeitsplätze schaffe, sondern auf der ganzen Welt - "und nicht zuletzt in den USA".
INDUSTRIE FORDERT MEHR INVESTITIONEN UND MEHR ENTLASTUNG
Mit Blick auf die Bundestagswahl stellte der Industriepräsident der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende ihrer vierjährigen Amtszeit ein mittelprächtiges Zeugnis aus. Die große Koalition habe "in der Wirtschafts-, Steuer- und Energiepolitik in den vergangenen Jahren nicht immer geklotzt, sondern häufiger nur gekleckert". Er könne im Wahlkampf kaum wirtschaftspolitische Akzente entdecken," sagte Kempf. "Deutschland muss mehr Wirtschaft wagen, um den Standort angesichts globaler Risiken zukunftsfest zu machen."
Konkret fordert der BDI mehr staatliche Vorlaufinvestitionen in Verkehrs-, Energie- und digitale Netze. Rekordsteuereinnahmen und Haushaltsüberschüsse dürften nicht zu Steuersenkungen nach dem Gießkannenprinzip genutzt werden. "Unser Vorschlag lautet: Ein Drittel der Überschüsse für Investitionen, ein Drittel für Bildung, ein Drittel für Steuerstrukturreformen", forderte Kempf. Auch müsse der Soli-Zuschlag ab 2018 auslaufen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat vorgeschlagen, ihn nur für untere und mittlere Einkommen abzuschaffen. "Wir wollen den Soli ab 2020 schrittweise abschaffen - und zwar für alle", sagte CDU-Chefin Merkel beim Tag der deutschen Industrie.
Zusammen mit Kempf warnte die Kanzlerin vor einem neuen internationalen Steuerdumping. "Wir müssen etwas dagegen setzen, wenn es diesen Steuerwettlauf nach unten gibt", sagte Merkel. Der BDI-Chef zeigte sich besorgt wegen eines verschärften Steuerwettbewerbs, da sowohl die USA als auch Großbritannien angekündigt hätten, die Körperschaftssteuersätze kräftig zu senken. "Damit sind Investitionsabflüsse in diese Länder nicht unwahrscheinlich", warnte Kempf. Ifo-Präsident Clemens Fuest hingegen plädierte für eine geringere Gesamtsteuerlast von Firmen, um Investitionen anzukurbeln. "Um uns herum senken sehr viele Länder die Unternehmensbesteuerung, auf Dauer können wir das nicht ignorieren."