* Bürgerdialog in Duisburger Problemstadtteil
* Lehrstunde für das Thema Einwanderer
* Konflikte zwischen alten und neuen Migranten
- von Andreas Rinke
Berlin/Duisburg, 25. Aug (Reuters) - Eigentlich hat sich Halil Özet vom Kulturzentrum "Medien-Bunker" auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel gefreut und dankt ihr auch für das Kommen. Aufmerksamkeit für die Kampagne "Made in Marxloh" kann der Problemstadtteil Duisburgs mit seinem hohen Migrantenanteil schließlich gut gebrauchen. "Aber Sie sind gleich wieder weg", meint Özet dann beim Bürgerdialog mit Merkel am Dienstag. "Und wir sind aktuell in einer Abwärtsspirale drin." Denn die mediale Aufmerksamkeit habe das Image des Stadtteils als unsichere "No-Go-Area" nur verstärkt, in der auch Polizisten Angst hätten.
"Ich bin wirklich nicht gekommen, um Marxloh in die Abwärtsspirale zu treiben", wehrt Merkel ab. Die Hundertschaft der nordrhein-westfälischen Polizei, die die lokalen Ordnungskräfte vor Ort unterstützen soll, sei schon vor ihrem Besuch geschickt worden. Im Übrigen: Es sei immer gut, wenn Öffentlichkeit über Probleme entstehe. "Nur wenn es bekannt wird, wird es auch geändert", sagte die Kanzlerin an anderer Stelle in dem fast zweistündigen Gespräch mit Bewohnern aus Marxloh über das Thema "gut leben".
Aber auch wenn Merkel damit am Ende Applaus einheimst: Sie wusste schon vorher, dass ihr Ausflug in den Westen der Republik heikel werden könnte. Seit Tagen steht sie ohnehin im Kreuzfeuer der Opposition und des Koalitionspartners SPD, sie solle sich klarer an die Seite von Flüchtlinge stellen. Am Vormittag hatte das Bundespresseamt dann bekanntgegeben, dass Merkel am Mittwoch nun doch das Flüchtlingsheim im sächsischen Heidenau besuchen werde, vor dem es mehrfach Krawalle von Neonazis gegeben hatte. Marxloh galt da nicht gerade als erholsames politisches Heimspiel.
EINZELSCHICKSALE PRALLEN AUF GROSSE POLITIK
"Die Mutti kommt zu Multikulti", habe es beim Friseur geheißen, erzählt Denis Güner, der sich als lokaler CDU-Politiker zu erkennen gibt. Tatsächlich ist es für Merkel und Zuschauer eine Lehrstunde, wie kompliziert das Thema Einwanderung ist. Während in der Öffentlichkeit vor allem über Flüchtlinge aus Syrien berichtet wird, erzählen hier diejenigen von ihren Problemen, die aus Deutschland schon vor Jahrzehnten ein Einwanderungsland gemacht haben.
Da fühlt sich plötzlich der türkische Einzelhändler durch Lärm und Dreck neu ankommender Südosteuropäer belästigt. Ein Lehrer schwärmt von der alten Multikulti-Atmosphäre im Viertel und beklagt dann, dass diese nun kippe. Die Türken zögen weg, weil Schleuser Roma aus Bulgarien und Rumänien in viel zu engen Wohnungen einferchten. Merkel bekommt gleich einen Brief von Anwohnern überreicht, die Maßnahmen gegen Schlepper fordern. Eine bulgarische Sozialarbeiterin klagt ebenfalls, ihre Landsleute würden ausgebeutet. Von sich verbreitendem Hass ist die Rede.
Und wie meistens bei Bürgerdialogen prallen dabei große Politik und Einzelschicksale aufeinander. In Rostock war es ein aus Libanon stammendes Mädchen, das weinte, als Merkel ihr keine Zusicherung gab, dass ihre Familie bleiben könne. Jetzt betont Merkel beim Hinweis auf die fehlende Krankenversicherung für einige Migranten aus Südosteuropa, dass Deutschland zwar Bürgerkriegsflüchtlingen etwa aus Syrien helfe, aber nun nicht jedem EU-Bürger eine Krankenversicherung anbieten könne. "Das ist dann auch die Härte der Politik", sagt sie, auch wenn dies vielleicht nicht überall gut ankommt.
"OHNE DASS ES DIE PRESSE MITBEKOMMT"
Denn einfach will Merkel es sich bei dem Bürgerdialog eigentlich nicht machen - hat es am Ende aber doch. Denn für viele der genannten Probleme vor Ort ist nicht der Bund, sondern sind Länder und Kommunen zuständig. Immer wieder blickt Merkel zu dem im Hintergrund sitzenden Bürgermeister Sören Link (SPD) und versichert, dass sie ihm nicht in die Parade fahren wolle. Sie will vielmehr Problemfälle sammeln, sucht nach eigenen Worten den "Praxistest" für das, was in Berlin gemacht wird, und bekennt gleich am Anfang: "Wir sind nicht immer ganz sicher, ob das, was wir tun, dann auch das ist, was die Menschen wollen."
Und wo nötig, spart die CDU-Vorsitzende auch nicht mit Kritik an der eigenen Partei. Als Merkel hört, dass in der Bezirksvertretung trotz des hohen Migrantenanteils kein Migrant sitze, kommt sie immer wieder darauf zurück. "Die CDU war da nicht immer vorne dabei ... Ich werde das mal verbreiten", kündigt sie an. "Oh, jetzt gibt es Ärger", ist ein Zwischenruf zu hören.
Wirklich begeistert wirkt Merkel, als ihr Christine Bleks ihr Projekt "Bildung für Wohnen" vorstellt, bei dem kostenlose Unterkunft gegen Betreuung benachteiligter Jugendlicher angeboten wird. "Tolles Projekt, muss man sagen", schwärmt die Kanzlerin und verspricht der ganzen Runde, aus den Bundesministerien einen Kreis von Experten für eine Beratungsrunde über die im Gespräch genannten Probleme zusammenzustellen. "Intern" betont sie. Denn Bleks ist zwar optimistischer als Özet, dass Merkels Besuch Marxloh am Ende helfen wird. Aber nach den Erfahrungen mit der Berichterstattung vor dem Besuch fordert auch sie nachdrücklich: "Schicken Sie uns die Leute hier hin, ganz klamm und heimlich, ohne dass die Presse es mitbekommt." (Redigiert von Alexander Ratz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern +49 69 7565 1312 oder +49 30 2888 5168.)