* SPD-Chef besucht Flüchtlingsunterkunft in Ingelheim
* Vizekanzler: Flüchtlinge mit Jobzusage sollen bleiben dürfen
- von Thorsten Severin
Ingelheim/Mainz, 27. Aug (Reuters) - Schmährufe muss SPD-Chef Sigmar Gabriel bei seinem Besuch im Erstaufnahmelager im rheinland-pfälzischen Ingelheim am Donnerstag nicht über sich ergehen lassen. Nach den Hasstiraden gegen die SPD seit Gabriels Besuch in der Asyl-Unterkunft in Heidenau wären sie keine Überraschung gewesen. Doch Heidenau steht eben nicht für Deutschland, wie Gabriel am Donnerstag bei seinem Besuch deutlich macht. Der Vizekanzler, umringt von Leibwächtern, will die Botschaft aussenden, dass er sich dem braunen Mob nicht beugt. Dafür bekommt Gabriel in Ingelheim einen Eindruck davon, wie konfliktbeladen die Unterbringung von rund 1100 Menschen in einem Lager sein kann.
Seit den Krawallen zwischen Rechtsradikalen und der Polizei im sächsischen am Wochenende und Gabriels Besuch dort sind bei der SPD einer Sprecherin zufolge fast 1600 E-Mails eingegangen. In 70 Prozent davon hagelt es oft hasserfüllte Kritik an Gabriel, der die Randalierer von Heidenau als Pack bezeichnete. 26 E-Mails wurden der Sprecherin zufolge schon zur Anzeige gebracht. In 30 Prozent den E-Mails bekunden die Schreiber dagegen Zustimmung und Solidarität. Aber auch 500 Anrufe gingen bislang in der Parteizentrale ein, in denen der SPD teils Übles gewünscht wurden. Am Dienstag ging gar eine Bombendrohung im Willy-Brandt-Haus ein.
GABRIEL SCHEUT IM GESPRÄCH MIT ALBANERN KEINE KLAREN WORTE
Den Besuch in Ilmenau will Gabriel weniger nutzen, um seine Solidarität mit den Flüchtlingen zu bekunden, sondern vielmehr zur Information. Klare Worte scheut er nicht im Gespräch mit drei Flüchtlingen aus Albanien: "Sie wissen, dass die Gefahr, dass Sie Deutschland wieder verlassen müssen, sehr hoch ist?" Da wolle er ehrlich mit ihnen umgehen, sagt Gabriel. Die drei Männer reden erregt auf ihn ein: "Wir wollen nur arbeiten."
Doch weil in den Westbalkanländern keine Verfolgung herrscht, lehnen die Behörden fast alle Asyl-Anträge ab. Die Verfahren sollen daher beschleunigt werden. Bittere Armut, von denen die drei Albaner berichten, reicht nicht, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Auch ein Arbeitsvertrag genügt nicht. Gabriel will sich nun dafür einsetzen, dass Flüchtlinge mit einer Jobzusage bleiben dürfen.
Die Menschen stammen aus den Balkanländern, aus dem Irak, aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Syrien. Das Gelände mit den Unterkünften bot schon in den 90er Jahre Unterschlupf für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Auf der einen Seite steht eine riesige Mauer. Dahinter liegt sich das Abschiebegefängnis. Eine Person soll derzeit darin sitzen.
Und noch ein Problem lernt Gabriel in Ingelheim kennen: Sprachbarrieren und Missverständnisse. In gebrochenem Englisch beklagt ein Syrer lautstark, sein auf Krücken gestützter Freund, der ein Bein verloren hat, habe seit einer Woche keinen Arzt gesehen. Immer wieder werde er vertröstet. Gabriel hört aufmerksam zu. Er stellt das Personal zur Rede: "Wie kann das sein?" Die Mitarbeiter diskutieren mit dem Mann, beteuern, er könne jederzeit einen Arzt sehen. Drei Mediziner hätten ihn doch bereits untersucht. Und auch ein Rollstuhl sei für ihn bestellt worden. Gabriel muss weiter. Das Schimpfen des Mannes hallt nach. (redigiert von Sabine Ehrhardt; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069-7565 1312 oder 030-2888 5168.)