* Oppermann und de Maiziere legen Zusammenhalt an den Tag
* De Maiziere: Können Probleme nicht mit 08/15-Mentalität lösen
* Innenminister plant drastische Rechtsvereinfachungen
- von Holger Hansen
Magdeburg, 25. Aug (Reuters) - Ungeachtet mancher Attacke aus der SPD auf Kanzlerin Angela Merkel ist die große Koalition bemüht, in der Flüchtlingspolitik keinen Streit aufkommen zu lassen. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann führen das am Dienstagabend bei einer Diskussionsveranstaltung in Magdeburg vor. Zurückgelehnt in roten Sesseln auf dem Podium eines alten Industriegebäudes versichern sie einander vor etwa 200 Zuhörern, dass Deutschland den Flüchtlingszustrom bewältigen könne.
Der Grund für die Harmoniebestrebungen liegt auf der Hand und wird von Oppermann auch offen ausgesprochen: Die Politik steht in der Verantwortung, die Probleme in den Griff zu bekommen. "Wenn die Politik das nicht schafft und das zum Gegenstand politischer Kämpfe macht, wird die Hilfsbereitschaft schnell verlorengehen. Das dürfen wir nicht zulassen."
Vergessen scheint an diesem Abend die Aufforderung von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi an Merkel vom Vortag, "klare Worte" gegen Fremdenhass zu finden und "Führungsstärke" zu zeigen. Stattdessen attestiert Oppermann dem Innenminister: "Ich glaube, Thomas de Maiziere hat im Augenblick den schwersten Job in der Bundesregierung." Stunden zuvor haben sie gemeinsam die Erstaufnahmeeinrichtung Friedland in Niedersachsen besucht. "Da war alles voll", sagt Oppermann. "Da sind im Augenblick 3000 Menschen." Ausgelegt sei die Einrichtung für 700.
DE MAIZIERE: KEINE 08/15-MENTALITÄT
Beide eint die Sorge, dass Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge umschlagen könnte in Ablehnung und Fremdenhass, wenn etwa die Politik versagt und nicht genügend Erstaufnahmeplätze schafft. In Sachsen-Anhalt hat sich die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte verfünffacht - von zwei im ersten Halbjahr 2014 auf zehn in den ersten sechs Monaten 2015. Tröglitz in Sachsen-Anhalt machte Anfang des Jahres Schlagzeilen, weil sein Bürgermeister für eine geplante Flüchtlingsunterkunft eintrat und sich gegen die Anfeindungen von Fremdenhassern im Stich gelassen fühlte. Im April brannte die noch unbewohnte Unterkunft nach einem Anschlag aus.
"Klar können wir 800.000 Asylbewerber und Flüchtlinge in unserem Land irgendwie aufnehmen - human, vernünftig, um nach einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einer Entscheidung zu kommen", sagt de Maiziere. Es müsse aber auch erlaubt sein, dass Europa darüber diskutiere, wie man die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge verringere. Der freie Grenzverkehr dürfe nicht gefährdet werden: "Ich möchte nicht, dass wir Schengen infrage stellen. Aber der Druck wird natürlich größer werden." Über die Verteilung der Flüchtlinge und einen Korridor gemeinsamer Asylstandards müsse gesprochen werden.
Für Deutschland plädiert de Maiziere dafür, die Probleme "mit gesundem Menschenverstand" und Bereitschaft zur Improvisation anzugehen. Rechtliche Vorschriften will er lockern: "Wir werden mit dem Vergaberecht nicht die Menschen aus den Zelten bringen. Ausgeschlossen." Der Brandschutz in leerstehenden Kasernen sei hundertmal besser als in Zelten - und doch dürften die Kasernen nicht genutzt werden, weil der Brandschutz neu beantragt werden müsse, wenn der letzte Soldat die Kaserne verlassen habe: "Wenn wir diese Aufgabe in 08/15-Mentalität abarbeiten würden, dann wären wir überfordert."
DIFFERENZEN WERDEN NICHT ANGESPROCHEN
Der Innenminister arbeitet an einer Rechtsvereinfachung, über die er aber nicht viel verraten will: "Darüber müssen wir in der Koalition erst noch sprechen." Er suche nach einer Möglichkeit, "in einer rechtsstaatlich klugen Weise" eine Regelung zu finden, dass man zur Unterbringung von Flüchtlingen "von bestimmten Regeln (...) abweichen kann", und fügt hinzu: "Das wäre eine nicht unerhebliche rechtsstaatliche Veränderung."
Differenzen in der Koalition werden nicht angesprochen. De Maizieres Vorstoß etwa, die Bargeldzahlungen an Flüchtlinge auf den Prüfstand zu stellen, um Anreize zu verringern - kein Thema, obwohl der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka die Veranstaltung in seinem Wahlkreis moderiert. De Maizieres Vorschlag "zielt in die falsche Richtung", hatte er jüngst gesagt. Auch de Maizieres Wunsch, weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären und damit die Asylverfahren zu verkürzen, kommt nicht zur Sprache - obwohl es in Teilen der SPD auf Vorbehalte trifft.
Nur zum Abschluss, als das Thema Griechenland angerissen wird, erlaubt sich de Maiziere eine gespielte Disharmonie, als er auf die hohe Zahl der Abweichler in seiner Fraktion beim Hilfspaket hingewiesen wird. In der SPD habe Ex-Finanzminister Peer Steinbrück mit Nein gestimmt, das sei ja auch nicht ohne: "Das zählt politisch soviel wie 30 Nein-Stimmen bei der Union. Das war nur eine kleine Spitze, das muss ja auch mal drin sein." (redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern +49 69 7565 1312 oder +49 30 2888 5168.)