- Adobe ist letzte Woche angesichts gemischter Bilanzzahlen und vor allem wegen der 20 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Figma eingebrochen
- Die Figma-Übernahme sorgt für Befürchtungen, dass Adobes Wettbewerbsposition schwächer wird
- Aber der Deal könnte sich als vorteilhafter erweisen, als die meisten Anleger denken; und unter 300 USD ist ADBE ein langfristiger Kauf
- Adobe zahlte für Figma fast das 50-fache des ARR (Annual Recurring Revenue - jährlich wiederkehrende Umsätze) zum Jahresende;
- Die Ergebnisse von Adobe für das 3. Quartal waren durchwachsen und hätten für sich genommen wahrscheinlich zu einer gewissen Schwäche der ADBE-Aktie geführt;
- Vor allem aber verdeutlicht die Entscheidung, einen zu hohen Preis für Figma zu zahlen, die externen Bedrohungen für das Geschäft von Adobe. Entscheidend ist, dass das Adobe-Management selbst das von diesen Bedrohungen ausgehende Risiko einräumt.
Am vergangenen Donnerstag gab Adobe (NASDAQ:ADBE) bekannt, dass es Figma für 20 Mrd. USD kaufen wird. In den folgenden zwei Börsensitzungen sank die Marktkapitalisierung von Adobe um 34 Mrd. USD.
Diese auf den ersten Blick völlig übertriebene Reaktion lässt sich durch mehrere Faktoren erklären:
So gesehen lässt sich die negative Reaktion nachvollziehen. Das gilt auch für die Tatsache, dass ADBE in dieser Woche 24 % eingebüßt hat und nicht nur auf einem 29-Monats-Tief, sondern auch 9 % unter dem Stand von Anfang 2020 notiert.
Das ist aber vielleicht nicht der richtige Weg, um diese Story zu bewerten. Der Erwerb des Figma-Geschäfts erscheint logischer und (möglicherweise) weniger überteuert, als die ersten Reaktionen vermuten lassen. Die Ergebnisse aus dem 3. Quartal und die Prognose für das 4. Quartal des Unternehmens waren durchwachsen, aber nicht annähernd schlecht genug, um einen so drastischen Ausverkauf auszulösen. Und da ADBE jetzt zu einer plötzlich vernünftigen Bewertung gehandelt wird, spricht vieles dafür, dass der Kurssturz der letzten Woche eine Chance eröffnet.
Quelle: Investing.com
Hat Adobe zu viel Geld auf den Tisch gelegt?
Wie der Kurssturz der ADBE-Aktie zeigt, ist der Markt skeptisch gegenüber dem Deal und insbesondere gegenüber dem gezahlten Preis. Laut der Mitteilung von Adobe, in der die Übernahme angekündigt wurde, dürfte Figma in diesem Jahr einen Umsatz von mehr als 400 Mio. USD erzielen; die zusätzliche Angabe von ca. 200 Mio. USD an weiteren Einnahmen im Jahr 2022 impliziert ein jährliches Wachstum, das prozentual gesehen in den hohen 80ern liegen dürfte.
Das ist ein attraktives Profil, aber der Kaufpreis von 20 Mrd. USD impliziert ein Kurs-Umsatz-Verhältnis um 45 bis 48.
Das ist ein Multiplikator wie 2021 im Markt des Jahres 2022. Snowflake (NYSE:SNOW), der derzeitige Spitzenreiter beim Kurs-Umsatz-Verhältnis unter den Large-Cap-Softwareaktien, wird mit dem 27-fachen des diesjährigen Umsatzes gehandelt. Die Anleger sind der Meinung, dass Adobe zu viel bezahlt hat, und das mit einer gewissen Berechtigung.
In der Software- und Technologiebranche ist man hingegen optimistischer. Figma ist ein außergewöhnlich angesehenes Unternehmen, wie (um nur ein Beispiel zu nennen) in diesem Beitrag aus dem Jahr 2020 mit dem Titel "Why Figma Wins" nachzulesen ist.
In einem Twitter-Beitrag von Amal Dorai werden die strategischen Gründe für die Übernahme dargelegt. Im Gegensatz zu Adobe war Figma von Anfang an "Cloud-nativ". Die Legacy-Software von Adobe macht es schwierig, eine Multi-User-Zusammenarbeit wie bei Figma zu ermöglichen. Der Kauf von Figma ist eine Möglichkeit, dieses heikle Problem zu lösen.
Steckt Adobe in Schwierigkeiten?
Ein weiterer Grund für den Abverkauf ist nicht nur, dass Adobe vermutlich zu viel für Figma bezahlt hat, sondern auch, dass das Unternehmen zu viel bezahlen musste. Die Konkurrenz durch Figma und das ebenfalls neu gegründete Unternehmen Canva wird als wachsende Gefahr für Adobes Einnahmen und Gewinnspannen angesehen. Aus dieser Perspektive ist der Schritt, 20 Mrd. USD für Figma zu zahlen, eine Bestätigung dafür, dass das Risiko real war und ist, und dass das Geschäft von Adobe nicht ganz so kugelsicher ist, wie Investoren einst glaubten.
Diese Bedenken sind durchaus berechtigt. Aber sie scheinen potenziell übertrieben zu sein. Die Existenz von Figma und Canva bedeutet nicht, dass in naher Zukunft zwangsläufig ein neuer Konkurrent auftauchen wird. Insbesondere Canva operiert in einem anderen Markt als Adobe. Das Unternehmen hat von der explosionsartigen Zunahme weniger technisch versierter Kunden profitiert, die in der so genannten Kreativwirtschaft mitmachen wollen.
Außerdem wurde mit Figma ein wichtiger Konkurrent ins Boot geholt. Der Preis von 20 Mrd. USD klingt zwar happig, ist aber im Aktienkurs von ADBE bereits mehr als einkalkuliert.
Betrachtet man die diesjährigen Prognosen, wird ADBE mit einem Multiplikator des freien Cashflows im niedrigen 20er-Bereich gehandelt, selbst wenn man die aktienbasierte Vergütung berücksichtigt. Das ist einer der niedrigsten Multiplikatoren seit Jahren für ein Unternehmen, das trotz der kurzfristigen Fragezeichen immer noch eine enorme langfristige Chance bietet. Auch wenn das Preisschild nicht ganz unproblematisch war, eröffnet Figma dem Unternehmen doch eine weitere Möglichkeit, diese Chance zu nutzen. Wenn sich der Staub gelegt hat, werden sich die Anleger wahrscheinlich auf diese wichtige Tatsache konzentrieren.
Offenlegung: Vince Martin ist derzeit in keinem der hier besprochenen Wertpapiere investiert. Er könnte diese Woche eine Position (in Form von Aktien oder Optionen) in ADBE eröffnen.