Vorgestern hatte ich Ihnen anhand des folgenden Charts beschrieben, wie sich die verschiedenen Konjunkturdaten auf den Kursverlauf des Aktienmarktes ausgewirkt haben.
Inzwischen sind die Kurse natürlich etwas weiter gelaufen. Und es scheint, als hätten sich die Anleger etwas beruhigt, auch wenn die Volatilität noch recht hoch ist. Also könnte man doch nun beginnen, nach neuen Tradingchancen zu suchen.
Die Suche nach neuen Tradingchancen
Und da liegt es natürlich nahe, die Charttechnik zu bemühen, um Ausschau nach nützlichen Formationen, Widerständen und Unterstützungen zu halten. Damit lassen sich dann bullishe und bearishe Signale finden, auf die man mit entsprechenden Long- oder Short-Trades reagieren könnte.
(Einige Anleger mögen nun sagen: Keine große Sache. Machen an der Börse ja schließlich viele. Kann ja so schwer nicht sein – oder?) Bleiben wir beim (folgenden) Chart des Dow Jones, in dem man einen ersten Aufwärtstrendkanal identifizieren kann (grün). Dieser verbindet jeweils die ersten drei Hochs und Tiefs. (Einige Anleger mögen nun sagen: Soweit, so einfach. Das sind ja schließlich Grundlagen der Chartanalyse.)
Allerdings gibt es auch schon drei Fehlausbrüche (rote Ellipsen). Wer darauf getradet hat, dürfte Verluste erlitten haben.
Aus heutiger Sicht kann man auch sehr schön erkennen, dass sich der Dow Jones nach den Fehlausbrüchen eher im unteren Bereich des Aufwärtstrendkanals bewegte. Die obere Linie wurde nicht mehr erreicht. Das kann man als Schwäche deuten. Und so ist es wohl nur folgerichtig, dass der Index den Abwärtstrendkanal letztlich klar und deutlich nach unten verlassen hat. Die Kurserholung war somit beendet und die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein neues Korrekturtief erreicht wird. Das bietet doch klare Chancen für eine Short-Position, oder?
Den richtigen Einstieg finden
Aber wann machte mit Blick auf die vorherigen Signale ein Einstieg Sinn? Vielleicht schon beim Bruch der horizontalen Linie (rot)? Sie hat offensichtlich eine gewisse Relevanz, zunächst als Widerstand, später als Unterstützung. Und nach dem bearishen Bruch des Aufwärtstrendkanals war ein Unterschreiten dieser Linie das nächste bearishe Signal.
Bei den vorherigen Ausbrüchen nach unten ging es aber ähnlich weit abwärts, bevor die Kurse wieder nach oben drehten. Und wenn man sich die Sache aus der Nähe anschaut (siehe folgender Chart), dann liefen die Kurse auch in diesem Fall wieder dynamisch nach oben, womit das nächste Fehlsignal drohte (gelber Kreis).
Aber die Kurse konnten die horizontale Linie nicht zurückerobern. Stattdessen fielen sie auf ein neues kurzfristiges Tief. Und damit wurde der Ausbruch aus dem Abwärtstrendkanal bestätigt. Jetzt war also ganz sicher die richtige Zeit für einen Short-Einstieg – oder?
Im Chart ist bereits zu erkennen, die der Dow Jones gestern ab 14:30 Uhr (MESZ) plötzlich nach oben schoss. Und dadurch hätte dieser Trade sicherlich keinen Gewinn gebracht. Mit einem engen Stopp hätte höchstens ein Verlust verhindert werden können. Aber über die Frage, wo das richtige Niveau für einen Stop-Loss gewesen wäre, könnte ich jetzt genauso lang referieren wie bislang bereits über den richtigen Einstieg.
Zu viele plötzliche Richtungswechsel
Jedenfalls ist klar: So einfach, wie man sich das Trading vorstellt, ist es definitiv nicht. Und genau das ist auch der Grund, warum ich erst kürzlich klipp und klar geschrieben habe, dass nach dem DAX und dem Euro STOXX 50 (siehe „Darum sind DAX und Euro STOXX 50 derzeit keine Trades wert“) inzwischen der gesamte Aktienmarkt keine Trades wert ist (siehe „Jetzt rollt die Lawine“). Es gibt einfach zu viele plötzliche Richtungswechsel, bei denen Unterstützungen und Widerstände einfach überrannt werden.
Erstanträge: Heftige Reaktionen sensibler Anleger
Und die Anleger reagieren nach der kleinen Panikattacke einfach aktuell zu sensibel auf Marktereignisse. Beispiel: Der Auslöser für den gestrigen plötzlichen Kurssprung des Dow Jones ab 14:30 Uhr waren die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe, die in „normalen“ Zeiten vom Markt fast vollständig ignoriert werden, solange sie nicht aus der Reihe tanzen. Und aus der Reihe getanzt sind sie gestern definitiv nicht.
Denn in der vergangenen Woche stellten 233.000 US-Bürger einen Antrag auf staatliche Unterstützung. Experten hatten im Durchschnitt mit 240.000 Anträgen gerechnet, nach 250.000 in der vorangegangenen Woche. Damit blieben die Zahlen im Trend der vorangegangenen Wochen.
(Quelle: Stock3)
Sicherlich, nach den schwachen monatlichen US-Arbeitsmarktdaten vom Freitag vergangener Woche war es für die Anleger eine Erleichterung, dass sich der Aufwärtstrend bei den Erstanträgen nicht fortgesetzt hat. Denn offenbar trübt sich die Beschäftigungslage nicht weiter ein.
Insofern ist die gestrige Kursreaktion vollkommen verständlich. Aber sie ist als Reaktion auf die wöchentlichen Erstanträge eben dennoch ungewöhnlich stark. Und daher ist die Marktphase eben derzeit noch außergewöhnlich – und bietet somit kein gutes Chance-Risiko-Verhältnis.
Eine eindeutige Short-Chance beim DAX?
Muss ich mich daher darüber wundern, dass ich jüngst E-Mails von zwei Lesern bekommen habe, die sich über meine Zurückhaltung bei Trades auf den DAX beschwert oder zumindest erkundigt haben? Angeblich sei doch alles so klar gewesen – mit Short-Trades hätte man mühelos hohe Gewinne erzielen können.
Konkret bezog sich einer der beiden Leser auf die Chartanalysen bzw. Chartmarken des „Target-Trend-Spezial“, in dem jüngst folgender DAX-Chart regelmäßig zu sehen war:
„Spätestens bei Unterschreiten der 17.985 / 17.869 / 17.753 sah man doch, dass es nur nach unten geht“, schrieb mir der Leser dazu. Meine Antwort:„Am 14. Juni hatte der DAX auch schon einmal die Rechteckgrenze bei 17.985 Punkten unterschritten. Auch damals war er mit hoher Dynamik aus einem Konsolidierungsbereich nach unten ausgebrochen. Es folgte eine flache Aufwärtsbewegung, die zunehmend volatil wurde und dadurch viele Fehlsignale verursacht hatte.
Eine simple Abwärtswelle unter vorherige Tiefs reicht also im aktuellen Markt offensichtlich nicht aus, um von klaren Signalen zu sprechen.
Übrigens hatte der DAX bei Erreichen der 17.869 Zählern zufälligerweise ziemlich genau so viel Punkte verloren, wie bei der Abwärtswelle vom 12. bis 14. Juni [rot markiert im folgenden Chart). Kurzfristig war der Index damit bereits überverkauft. Sind wir uns einig, dass ein solcher Marktzustand nicht ideal ist, um auf weiter fallende Kurse zu setzen?
Die restliche Abwärtsbewegung zeichnete sich bereits durch panikartige Verkäufe aus. Auch in einem solchen Markt kann man nicht von einem sinnvollen Chance-Risiko-Verhältnis sprechen.
Ich bleibe daher dabei, dass der DAX erst dann ein guter Basiswert zum Traden ist, wenn sich die Anleger beruhigt haben und die Volatilität nachhaltig gesunken ist. Es gibt schließlich nicht nur den DAX, auf den man traden kann. Außerdem laufen ja bereits zwei Short-Trades auf den Index.
Und es spricht ja nichts dagegen, eigene Trades zu platzieren, wenn Sie der Meinung sind, dass Sie die aktuellen Kursschwankungen nutzen möchten.“
Ich möchte mit Blick auf diesen Chart bzw. Kursverlauf auch noch zu bedenken geben, dass eine ABC-Korrektur des DAX möglich war. Auch das hätte zu einem schnellen Wiederanstieg führen können, nachdem die jüngste Abwärtswelle das gleiche Ausmaß angenommen hatte wie die von Mitte Juni (Prinzip der Wellengleichheit).
Schließlich gelten solche Seitwärts- bzw. flach verlaufenden Abwärtskonsolidierungen als trendbestätigend und somit im Falle des DAX als bullish. Short-Positionen wären auch vor diesem Hintergrund keine unbedingt gute Idee gewesen.
Fazit
Es gibt immer Anleger und Trader, die behaupten, es sei einfach, an der Börse Geld zu verdienen. Ich behaupte dies nicht. Und ich mache weder mir noch Ihnen Illusionen. Geld an der Börse zu verdienen ist harte Arbeit – mentale Arbeit. Und besonders schwierig ist es, sich aus einem Markt herauszuhalten, der durch starke Kursschwankungen hohe Gewinne verspricht, aber gleichzeitig hohe oder sogar höhere Risiken birgt (Stichwort: Chance-Risiko-Verhältnis). Charttechnische Signale sind nie eindeutig. Nur im Nachhinein ist man immer schlauer.
Wohin wird der Dow Jones nun laufen?
Apropos: In welche Richtung wird sich nun wohl der Dow Jones als nächstes bewegen? Wird er vielleicht eine Seitwärtskonsolidierung ausbilden, die als trendbestätigend gilt und somit nach den herben Kursverlusten bearish zu werten ist?
Oder wurde durch den gestrigen impulsiven Aufwärtsimpuls eine Art Doppelboden gebildet, der nun die Basis ist für ebenso schnell steigende Kurse, wie sie zuvor gefallen waren? Wissen Sie es? Wissen Sie es nicht?
Ich weiß es jedenfalls nicht. Warum sollte ich also ausgerechnet jetzt in diesem Markt aktiv sein und neue Trades platzieren?! Selbst schnell rein und schnell wieder raus, wie es das Motto des „Target-Trend-CFD“ ist, erscheint mir aktuell zu heikel. Ich konzentriere mich daher lieber darauf, bereits im Markt befindliche Trades zu managen.
Geduld ist besonders an der Börse eine wichtige Tugend
Und ich spreche ja nicht von Wochen oder Monaten, die man sich nun aus diesem Markt heraushalten sollte. Ich rede von einigen Tagen. Womöglich bietet sich schon in der kommenden Woche wieder ein Neueinstieg an.
Man mag vielleicht das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Aber man darf nicht vergessen, dass die Börse jeden Tag, jede Stunde, ja sogar jede Minute neue Chancen bietet. Im Grunde verpasst man also nichts – aus meiner Sicht aktuell lediglich die Gefahr, sich die Finger zu verbrennen.
Und bedenken Sie: Selbst die Bank of Japan hat angekündigt, solange nicht mehr aktiv zu werden, bis sich der Markt beruhigt hat (siehe „Darum kam die Korrektur ausgerechnet jetzt“). Sollte einem das nicht zu denken geben?!
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus