Für mindestens zwei Wochen herrschte an den Ölmärkten ein Gefühl des Realitätsverlusts, als sie nahezu geradezu auf jede substanzlose Meldung, dass ein Abkommen zwischen den USA und China “kurz” bevorsteht, “bald” kommt, oder gar eine gemachte Sache ist, von dem der Markt nur noch hören muss.
Dann, am Schwarzen Montag, war der Mummenschanz plötzlich vorbei. Und die Welt der Rohölbullen ist seither Geschichte.
Oder nicht?
Nach dem Einbruch vom Dienstag von 3% oder so bei beiden Leitsorten, US West Texas Intermediate als auch britischem Brent - der höchste Tagesverlust in sieben Wochen—kann man meinen, dass es in nächster Zeit kein Aufwärtspotential beim Öl mehr gibt. Nimmt man den Preisrutsch vom Montag hinzu, dann haben WTI und Brent jeweils seit Wochenbeginn rund 5% eingebüßt.
Das bedeutet, dass das Öl in nur zwei Sitzungen fast alles wieder verloren hat, was es in seinem Anstieg seit dem 1. November gewonnen hat.
Der Untergang am Dienstag war nicht nur darauf zurückzuführen, dass die Händler es leid geworden sind, auf ein Handelsabkommen zu warten, das nach Wochen bedeutungsloser Äußerungen von Vertretern des Weißen Hauses wie Wirtschaftsberater Larry Kudlow und Handelsminister Wilbur Ross nicht zustande gekommen ist.
US-Präsident Donald Trump zeigte, wie gut die Dinge liefen, als er am Dienstag seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping warnte, Peking müsse bis zum 15. Dezember einen Phase-1-Pakt mit Washington unterzeichnen oder sich sich auf weiterer US-Zölle gefasst machen.
Handelsdeal-Fiasko - Russlands OPEC-Poker
Abgesehen von der Nervosität über den Handel brachen die Rohölpreise auch deshalb ein, da die algorithmischen Handelsmodelle von Ölfonds versucht hatten, über den Tageskurs über den 200-Tagesdurchschnitt zu hieven, und damit scheiterten.
Dies hat die Fonds in einen Stop-Loss-Modus versetzt - ein Richtungswechsel im Vergleich zu den zwei Wochen zuvor, als der Ölmarkt die Hochs der Hauptindizes an der Wall Street nachvollzog, die noch stärker auf ein Handelabkommen fixiert war, als die Ölhändler.
Die Belastung durch Ausverkauf im Ölmarkt wurde erhöht, da es Anzeichen gibt, dass Russland wieder einmal unklar lässt, ob es die OPEC bei Produktionssenkungen unterstützen werde.
Wie Reuters berichtete, war es unwahrscheinlich, dass Moskau beim OPEC+-Treffen vom 5. bis 6. Dezember einer Verschärfung der Produktionskürzungen zustimmt. Russland ist ein wichtiger Verbündeter bei der Initiative zur Stützung der Preise, die es mit der 14 Mitgliedsstaaten umfassenden Organisation der erdölexportierenden Länder angestoßen hat.
Gewaltige Zunahme der Ölvorräte
Der Markt wurde ebenfalls von einem potentiellen Anstieg der US-Rohöllagerbestände für letzte Woche belastet - nach Zahlen des Branchenverbands API um gewaltige 6 Millionen Fass, was von den offiziellen Daten der US-Energieinformationsagentur heute noch bestätigt oder widerlegt werden dürfte.
Zu guter Letzt war die Rede davon, dass Aramco, die saudische Ölgesellschaft, auf dem Weg zu seinem ersten Aktienverkauf an die breite Öffentlichkeit Probleme haben könnte, von internationalen Investoren Geld einzusammeln.
So, von anfangs nur Handelsgesprächen eskalierten die Befürchtungen plötzlich zu allem und jedem.
Die Frage ist, ob der Abwärtstrend anhalten wird oder ob Ölbullen auf wundersame Weise eine weitere Rettungsleine zugeworfen bekommen.
Zum Zeitpunkt des Artikels, während des späten Handels in Asien, waren WTI und Brent noch im Minus, aber dies könnte sich im europäischen und US-amerikanischen Handel noch ändern.
Kaum Grund für eine Preis-Erholung, auch wenn die Charttechnik Unterstützung geben könnte
Grundsätzlich gibt es kaum einen Grund, warum Öl teurer sein sollte, da alle positiven Marktfaktoren - vom Handelsdeal zur OPEC und sogar dem eher unwichtigen Börsengang von Aramco - jetzt negativ gesehen werden.
Wenn die Instinkte der Bären sich als richtig erweisen, könnte WTI zum Ende der Woche auf dem Tief vom 31. Oktober von 53,71 USD stehen - dem Tiefpunkt vor dem jüngsten Aufschwung. Für Brent könnten es 59,40 USD werden, dem Tiefpunkt vom 1. November.
Analysten von Bernstein sagten, wenn die OPEC die Produktion nicht um weitere 500.000 bis 1 Million bpd senkt, könnte Brent in nächster Zeit auf 50 USD zurückkehren.
“Die aktuelle CTA-Positionierung (Commodities Trading Advisors, im Wesentlichen Hedgefonds) ist seit den Abqaiq-Angriffen im September in Saudi-Arabien nicht mehr so lang“, berichteten die Analysten der Citigroup (NYSE:C) unter Bezug auf die kurzzeitigen zweistelligen Preisanstiege nach dem Luftangriff auf die größte Ölverarbeitungsanlage des Königreichs, in der jeden Tag etwa 5% der weltweiten Ölproduktion verarbeitet werden.
Aber die Charts könnten auch eine andere Deutung erzwingen.
Zum Beispiel ist die abrupte Wende von WTI zwar besorgniserregend, aber "technische Unterstützung mit dem Potenzial, den anhaltenden Ausverkauf zu vereiteln, ist in Hülle und Fülle vorhanden", schrieb Rich Dvorak.
Der technische Analyst fügte hinzu:
“Am bemerkenswertesten ist das Preisniveau von 55,75 USD, das durch das Intraday-Tief vom 8. November herausgestellt wurde. “
“Etwas unterhalb dieses Bereichs befindet sich die Konfluenzzone, die durch die 38,2-prozentige Fibonacci-Retracement der Handelsspanne für Rohöl seit dem 3. Oktober untermauert wird. Dies könnte auch den Preis für Rohöl über Wasser halten. “
Dvorak meinte jedoch weiter, dass unter dieser Zone, der Verkaufsdruck stark zunehmen und den Tageskurs auf 54 USD bringen könnte.