An den Finanzmärkten gibt es nur wenige technische Muster, die so viel Aufmerksamkeit – und manchmal auch Nervosität – auslösen wie das sogenannte Death Cross. Der etwas dramatisch klingende Begriff beschreibt eine Konstellation im Kursverlauf: Ein kurzfristiger gleitender Durchschnitt, in der Regel der 50-Tage-Durchschnitt (50-DMA), fällt unter den langfristigen 200-Tage-Durchschnitt (200-DMA).
Das Death Cross liefert perfekte Schlagzeilen – ideal für medienwirksame Stories, die Klicks und Aufmerksamkeit bringen. Für Anleger kann es allerdings ein Warnsignal sein: Es deutet oft auf eine mögliche Marktkorrektur hin und wird als Anlass genommen, die eigene Anlagestrategie vorsichtiger auszurichten.
Doch bevor man darauf reagiert, lohnt es sich, ein paar grundlegende Fragen zu klären:
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Was genau sagt das Death Cross eigentlich aus?
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Wie verlässlich ist es als Indikator für Marktbewegungen?
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Und was bedeutet das konkret für Anleger?
Diesen Fragen wollen wir auf den Grund gehen – mit einem Blick auf die historische Entwicklung, die Datenlage und verschiedene Interpretationen des Death Cross. Und vor allem: Wir erklären, warum der Kontext, in dem dieses Signal auftritt, oft mehr aussagt als das Signal selbst.
Was ist das Death Cross überhaupt?
Laut Investopedia beschreibt das sogenannte Death Cross ein Chartmuster, bei dem ein kurzfristiger gleitender Durchschnitt – also der Durchschnitt der jüngsten Schlusskurse einer Aktie, eines Index, eines Rohstoffs oder auch einer Kryptowährung – unter den längerfristigen Durchschnitt fällt. Am häufigsten werden dabei der 50-Tage- und der 200-Tage-Durchschnitt herangezogen.
Wichtig für Anleger: Das Death Cross ist ein sogenannter nachlaufender Indikator. Es sagt nicht voraus, was passieren wird, sondern spiegelt wider, was bereits passiert ist – genauer gesagt: dass sich die Kursentwicklung in den vergangenen zwei Monaten verschlechtert hat. Es basiert auf historischen Daten und bestätigt oft nur einen bereits erkennbaren Trend. Häufig stehen die Märkte zum Zeitpunkt eines Death Cross ohnehin schon in der Nähe eines kurzfristigen Tiefpunkts.
Man sollte allerdings auch nicht verschweigen, dass das Death Cross in der Vergangenheit manchmal schwerwiegendere Abschwünge angekündigt hat – etwa vor den Bärenmärkten der Jahre 1929, 1938, 1974 oder 2008.
Aber: Genau hier zeigt sich ein typisches Beispiel für Selection Bias – also eine Verzerrung durch die Auswahl besonders markanter Beispiele. Wer nur diese wenigen historischen Extremfälle betrachtet, übersieht dabei all die Situationen, in denen das Death Cross keine tiefere Krise eingeläutet hat, sondern vielmehr normale Marktkorrekturen begleitete – und Anlegern im Rückblick sogar attraktive Einstiegsgelegenheiten geboten hat.
Eine Analyse von Marketwatch zeigt zum Beispiel: Seit 1950 tendieren die Märkte dazu, in den 12 Monaten nach einem Death Cross eher zu steigen als zu fallen.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Zum Zeitpunkt, an dem ein Death Cross ausgelöst wird, sind die Märkte oft bereits stark überverkauft – und die zuvor eher optimistische Stimmung hat meist schon ins Gegenteil umgeschlagen.
Im #BullBearReport vom vergangenen Wochenende haben wir genau das beobachtet:
„Die Stimmung unter privaten und institutionellen Anlegern ist auf eines der niedrigsten Niveaus seit der Finanzkrise gefallen. Der aktuelle Pessimismus ist bemerkenswert, denn der jüngste Rückgang verlief – verglichen mit dem Chaos während der Finanzkrise – relativ geordnet und moderat. Trotzdem ist die Stimmung heute genauso negativ wie damals. Und historisch gesehen lagen Stimmungswerte auf diesem Niveau oft in der Nähe von Markttiefs.“
„Außerdem ist der Volatilitätsindex – oft als „Angstbarometer des Marktes“ bezeichnet – auf den höchsten Stand seit der COVID-Pandemie gestiegen.
Wenn man diese erhöhte Volatilität zusammen mit den aktuellen Stimmungslagen betrachtet, ergibt sich ein klares Bild: Die Kombination aus beidem signalisiert ein extrem negatives Marktumfeld – ein Niveau, das in der Vergangenheit häufig eher mit Markttiefs zusammenhing als mit dem Beginn größerer Abwärtstrends.“
Mit anderen Worten: Historisch betrachtet war das Death Cross häufig eher ein möglicher Kontraindikator – also ein Signal, das eher auf eine bevorstehende Erholung als auf weiteren Abverkauf hindeutet.
Wie schon erwähnt, gab es allerdings auch Ausnahmen: In manchen Fällen folgten auf das Death Cross deutlich stärkere Rückgänge.
Bleibt also die entscheidende Frage: Wie können Anleger einschätzen, in welche Richtung es nach einem Death Cross tatsächlich weitergeht?
Strukturelle Bärenmärkte vs. ereignisgesteuerte Korrekturen
Während in den Medien ein Death Cross oft dramatisch inszeniert wird, wissen erfahrene Anleger: Es ist nur ein Puzzleteil im großen Bild.
Marktkorrekturen gehören zu einem normalen, gesunden Börsengeschehen dazu – das haben wir auch in unserem Artikel "Auch in Bullenjahren gibt es Korrekturen" ausführlich thematisiert:
„In Bullenjahren kommt es an den Märkten häufig zu Korrekturen. Und es überrascht mich immer wieder, wie schnell Anleger und Medien nach einer längeren Aufwärtsphase schon bei ersten Anzeichen einer Korrektur in Panik verfallen. Tatsächlich sind Rücksetzer in Bullenjahren nichts Ungewöhnliches. Trotzdem nimmt in solchen Momenten die Sorge vor einem Bärenmarkt schnell zu.
Historisch gesehen steigt der Aktienmarkt in etwa 73 % der Fälle. In den übrigen 27 % kommt es zu Korrekturen – meist als Gegenbewegung auf vorherige Übertreibungen. Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Jahresrenditen im Zeitverlauf. Auffällig ist: Rückgänge von mehr als 10 % traten in nur 13 % der Jahre auf.“
Die aktuelle Korrektur vom diesjährigen Markthoch fällt dabei bereits in einen eher ungewöhnlichen Bereich:
Der Rückgang vom Höchststand bis zum bisherigen Tief beläuft sich auf 19,4 % – ein Ausmaß, das historisch betrachtet nur in etwa 7 % der Fälle vorkam.
Wenn man den bisherigen Jahresverlauf betrachtet, zählt der aktuelle Rückgang sicher zu den schwächeren Marktphasen in der Börsengeschichte.
Allerdings: Wir stehen erst am Anfang – gerade einmal ein Drittel des Jahres 2025 ist vorbei. Wie das Jahr am Ende ausgeht, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht seriös abschätzen.
Und es ist durchaus erwähnenswert: Seit 1980 gab es nur acht (8) Jahre, die mit einem stärkeren Rückgang endeten. Könnte 2025 das neunte werden? Ja, das ist möglich – aber um das realistisch einzuordnen, müssen wir vergangene Marktrückgänge und größere Bärenmärkte im historischen Kontext betrachten.
Ob ein Death Cross letztlich nur Teil einer normalen, kurzfristigen Korrektur ist oder den Beginn eines echten Bärenmarkts markiert, hängt entscheidend davon ab, was den Rückgang ausgelöst hat:
Handelt es sich um ein ereignisgesteuertes Geschehen – also z. B. politische Spannungen, geopolitische Krisen oder plötzliche Zinsschocks? Oder liegt eine strukturelle Schwäche zugrunde – wie z. B. eine Finanzkrise oder fundamentale wirtschaftliche Ungleichgewichte?
Wie The Daily Shot kürzlich zusammenfasste:
„Strukturelle Bärenmärkte sind historisch gesehen die tiefsten und langwierigsten – im Schnitt mit einem Rückgang von über 55 % und einer Dauer von fast vier Jahren. Ereignisbedingte Bärenmärkte dagegen verlaufen meist deutlich kürzer und weniger heftig. Im Schnitt fallen die Kurse um etwa 30 % und erholen sich in weniger als zehn Monaten. Die Durchschnittswerte seit dem Zweiten Weltkrieg (orangefarbene Rauten) zeigen dabei moderatere Verläufe als die gesamte historische Datenlage.“
Dieser Unterschied ist entscheidend, wenn man den aktuellen Rückgang und das Auslösen des Death Cross einordnen will.
Die folgende Grafik zeigt deutlich, wie unterschiedlich lange ereignisbedingte und strukturelle Korrekturen dauern – selbst wenn beide durch ein Death Cross begleitet wurden.
Die Dotcom-Blase und die Finanzkrise zählen zu den strukturellen Ereignissen: Sie führten zu massiven Unternehmenszusammenbrüchen, tiefgreifenden Verwerfungen an den Kreditmärkten und einer spürbaren wirtschaftlichen Schrumpfung.
Abgesehen von diesen beiden markanten Beispielen waren jedoch die meisten anderen Rückgänge eher ereignisgetrieben – und entsprechend von kurzer Dauer. In diesen Fällen erholten sich die Märkte in der Regel vergleichsweise schnell.
Da die aktuelle Marktkorrektur durch Sorgen über neue Zölle ausgelöst wurde, spricht vieles dafür, dass sie nur von begrenzter Dauer sein wird.
Für diese Einschätzung gibt es zwei gute Gründe: Erstens: Die angekündigten Zölle – die zunächst schwerwiegender ausfielen als erwartet – könnten im Rahmen von Verhandlungen deutlich abgeschwächt oder sogar ganz zurückgenommen werden. Zweitens: Sobald die Maßnahmen final beschlossen sind, werden sich die Märkte anpassen, ihre Gewinnerwartungen entsprechend neu justieren – und dann wieder den Blick nach vorn auf das zukünftige Wachstum richten.
Für Anleger stellt sich nun die zentrale Frage: Wie verhalte ich mich inmitten dieser turbulenten Marktphase – und was tue ich, bis diese ereignisbedingte Korrektur ausgestanden ist?
Bewältigung der Ungewissheit
Heißt das also, dass Anleger das Death Cross einfach ignorieren sollten? Nein. Auch wenn die aktuelle Korrektur ereignisbedingt ist und sich aller Wahrscheinlichkeit nach von selbst wieder auflöst, besteht dennoch das Risiko, dass ein strukturelles Ereignis – etwa eine Rezession oder eine Störung auf den Kreditmärkten – einen tiefergehenden Rückgang auslöst. Dieses Risiko ist derzeit zwar gering, aber eben nicht gleich Null.
Wichtig ist: Das Death Cross sollte nicht isoliert betrachtet werden – und es sollte keinesfalls zu überstürzten Entscheidungen führen. Vielmehr kann es ein guter Anlass sein, das eigene Portfoliomanagement noch einmal mit kühlem Kopf zu durchdenken.
Wenn die Fundamentaldaten stimmen, gilt es, Kurs zu halten. Ein breit aufgestelltes, langfristig ausgerichtetes Portfolio muss nicht auf jedes technische Signal reagieren – in vielen Fällen ist das Death Cross eher Hintergrundrauschen im größeren Marktzyklus.
Ein sinnvoller Moment für aktives Risikomanagement. Wie bereits in unserem Artikel "Markteinbruch: Hoffnung in der Angst" beschrieben, haben wir die jüngste Erholungsphase genutzt, um Risiken gezielt zu reduzieren, Portfolios abzusichern, Liquidität aufzubauen und die Allokationen strategisch anzupassen.
Und: Das Death Cross sollte immer im Zusammenhang mit anderen Indikatoren gesehen werden. Wie schon erwähnt, wurde das aktuelle Death Cross von stark überverkauften technischen Signalen begleitet – ein Muster, das häufig auf eine bevorstehende Stabilisierung oder eine Bodenbildung hinweist, statt auf einen bevorstehenden Ausverkauf.
Sentimentrader etwa analysiert 21 verschiedene Stimmungs- und Risikoindikatoren und fasst sie zu einem Gesamtwert zusammen, der anzeigt, ob sich der Markt in einer extremen Hausse- oder Baisse-Stimmung befindet. Aktuell zeigt dieser Wert eine besonders ausgeprägte Risikoaversion.
Das bedeutet zwar nicht automatisch, dass ein Marktaufschwung unmittelbar bevorsteht – aber historisch betrachtet traten solche extremen Stimmungswerte häufig in der Nähe von Markttiefs auf.
Mögliche Alternativen: Umschichtung und Neugewichtung. Unabhängig davon, ob die aktuelle Phase nun eher ereignisbedingt oder strukturell einzuschätzen ist – im Verlauf wird es immer wieder temporäre Erholungen geben. Diese Momente können Anleger nutzen, um ihr Portfolio neu zu gewichten, gezielt umzuschichten und den Barmittelbestand zu erhöhen, um die Volatilität zu reduzieren und das Risiko besser zu steuern.
Und: Das Golden Cross nicht verpassen. Gerade in Korrekturphasen kann man schnell in eine zu defensive Haltung verfallen. Dabei darf man nicht vergessen, dass auf jedes Death Cross irgendwann das Gegenteil folgt – das Golden Cross. Wenn der 50-Tage-Durchschnitt den 200-Tage-Durchschnitt wieder von unten nach oben durchbricht, signalisiert das typischerweise eine Trendwende. Dann geht es wieder weg von Risikoreduktion – hin zu gezieltem Risikoaufbau.
Fazit
Das Death Cross ist ein hilfreicher technischer Indikator – aber eben keine Vorhersage der Zukunft. Es spiegelt eine Phase kurzfristiger Schwäche wider, sollte jedoch nicht als Signal verstanden werden, alles zu verkaufen oder komplett in Bargeld zu gehen.
Langfristig orientierte Anleger tun gut daran, sich weiterhin auf solide Fundamentaldaten, eine gute Diversifizierung und klare Ziele zu konzentrieren.
Trading-orientierte Marktteilnehmer wiederum können das Death Cross als einen von vielen technischen Bausteinen nutzen, um ihr Timing zu verfeinern.
Ganz gleich, welche Strategie Sie verfolgen – wer die Bedeutung des Death Cross richtig einordnet, reagiert mit Klarheit und Strategie, nicht mit Panik.