Bei der heute um 13:45 Uhr erwarteten EZB-Entscheidung stehen folgende Problemfelder im Fokus:
- Neben der schwächelnden Kreditvergabe
- und einem zu moderaten Geldmengenwachstum
- fürchtet die EZB Deflationsgefahren bzw. eine längere Phase zu niedriger Inflationsraten.
- Daneben ist ihr der hohe Euro-Wechselkurs in der Vergangenheit ein Dorn im Auge gewesen.
EZB hat ein Bündel an Maßnahmen angekündigt
Die Statements verschiedener EZB-Ratsmitglieder in den letzten Wochen lassen darauf schließen, dass es nicht bei der alleinigen Reduzierung des Hauptrefinanzierungssatzes bleibt. Vielmehr ist zur Lösung der Probleme ein Bündel an Maßnahmen in der Pipeline, wovon einige morgen umgesetzt werden dürften.
Zinssenkung und negativer Einlagesatz
Neben einer Senkung des Leitzinses von 0,25% auf 0,15% oder 0,10% gilt eine Reduzierung des Einlagesatzes in den Negativbereich bereits als in den Börsenkursen eingepreist. Dies soll die Kredit- und Refinanzierungskosten weiter senken und damit die Investitionsbereitschaft beleben. Ein negativer Einlagensatz soll Banken dazu anregen, überschüssige Liquidität nicht an die Zentralbank zurückzugeben, sondern diese in Form von Krediten an private Haushalte und Unternehmen weiterzureichen.
Die Wirksamkeit eines negativen Einlagenzinses ist allerdings äußerst fraglich. Denn keine große Zentralbank hat Erfahrungen, inwieweit dadurch das Verhalten der Banken beeinflusst wird. So könnte es sogar den ungewünschten Effekt haben, dass die Banken weniger statt mehr Liquidität nachfragen. Fraglich ist auch, ob der Interbankenmarkt wieder aktiviert wird. Und offen ist, ob die Banken tatsächlich mehr Kredite vergeben.
Zweckgebundene Liquiditätsspritzen
Als zweite große Maßnahme wird eine neue Liquiditätsoperation diskutiert. Bereits vor zweieinhalb Jahren hatte EZB-Chef Mario Draghi den Banken Langfristkredite (LTRO) mit drei Jahren Laufzeit gewährt – die sogenannte „Dicke Bertha“.
Damals liehen sich die Banken brutto rund eine Billion Euro. Den Großteil dieser Kredite haben die Banken inzwischen zurückgezahlt. In fünf bis sieben Monaten laufen sie aus. Daher denkt die EZB nun über den erneuten Einsatz einer „Dicken Bertha“ nach.
Da viele Banken gerade in Südeuropa das Geld allerdings vermehrt für Käufe von Staatsanleihen und nicht für Kredite an Unternehmen genutzt haben, könnte die EZB nun die neuen Langfristkredite zweckgebunden vergeben. So könnten sie mit der Auflage an die Banken verknüpft werden, diese Kredite an die Realwirtschaft weiterzugeben.
Alternativ oder zusätzlich könnte beschlossen werden, die Laufzeit der bisherigen Tendergeschäfte zu verlängern.
Anleihenkäufe als „Quantitative Lockerung“
Vor einigen Wochen wurde im EZB-Rat erstmals eine mögliche „Quantitative Lockerung“ durch einen massenhaften Anleihenkauf diskutierte. Angeblich gab es Modellrechnungen mit bis zu einer Billion Euro Volumen. Die Umsetzung dieser Maßnahme gilt derzeit jedoch als unwahrscheinlich, weil dies nicht vom Mandat der EZB gedeckt sein könnte.
Angesichts der schon jetzt sehr niedrigen Anleihezinsen, selbst in den (ehemaligen) Krisenstaaten Europas, ist eine solche Geldflut für den Markt aber inzwischen auch kaum noch zu rechtfertigen.
Das Euro-Wechselkurs-Problem wurde bereits verbal gelöst
Ähnlich wie die Zinsen der Staatsanleihen hat sich inzwischen auch das Wechselkurs-Problem des Euro erledigt. Denn zum US-Dollar hat die Gemeinschaftswährung bereits seit der vorangegangenen Pressekonferenz Draghis im Mai von 1,40 auf 1,36 US-Dollar abgegeben.
Maßnahmen hängen von aktualisierter Wachstums- und Inflationsprognose ab
Letztlich wird die Entscheidung der EZB über die Maßnahmen von ihrer eigenen aktualisierten Wachstums- und Inflationsprognose abhängen, die morgen veröffentlicht wird, aber der EZB jetzt natürlich bereits bekannt ist.
Bisher sagen die EZB-Volkswirte für dieses Jahr eine Inflationsrate von 1% für die Währungsunion voraus. Diese Projektion dürfte wohl angesichts der aktuellen Mai-Daten auf 0,8% gesenkt werden. Spannender wird, wie stark die EZB ihre Prognose für 2016 senkt. Bislang erwartet sie, dass sich die Inflation bis Ende 2016 dem Zielwert von knapp unter 2% nähert.
Erwartung des Geldanlage-Briefs
Für uns sind Zinssenkungen und konditionierte Langfristkredite die wahrscheinlichsten Instrumente. Daneben könnten wir uns kleinere Maßnahmen vorstellen, die bislang vom Markt in dieser Form gar nicht erwartet wurden. – Letztlich glauben wir, dass die EZB unter den Markterwartungen bleiben wird. Aber in dieser Prognose ist viel Spekulation. Morgen um 13:45 Uhr wissen wir mehr…
Charttechnik - Die Märkte ziehen sich vor der EZB-Sitzung leicht zurück
Auch die Märkte scheinen inzwischen nicht mehr so recht zu glauben, dass die EZB alle Erwartungen an geldpolitische Maßnahmen erfüllen wird. Der DAX kam von fast 10.000 Punkten zwischenzeitig mehr als 100 Punkte zurück (siehe roter Kreis im folgenden Chart), …
… der Euro hat sich in den vergangenen Tagen von unter 1,36 auf zeitweise über 1,365 US-Dollar erholt und sich anschließend in dieser Handelsspanne stabilisiert…
… und, was uns besonders freut, der Juni-Kontrakt des Bund Future ist von seinem Hoch bei 147,12 auf unter 146 Punkte gesunken.
Vielleicht erinnern Sie sich: Noch am 25. Mai wiesen wir zum wiederholten Male darauf hin, dass es sich im Bund Future um die „letzte Übertreibungsphase im Aufwärtstrend“ gehandelt haben könnte und man daher mit „Short-Trading am Ball“ bleiben sollte.
Für unsere Leser des „Geldanlage Premium Depot“ hatten wir daher am 28. Mai eine neue Short-Position auf den Bund Future gekauft (siehe Chart) und eine Prognose mit Kursziel von unter 146 Punkte abgegeben (siehe grüner Pfeil im Chart). Tatsächlich hielt sich der Bund Future recht genau an diese Erwartung und so liegt dieser Short-Trade bereits heute mit knapp 18% im Plus – nach nur 6 Handelstagen.
Warten Sie die ersten Reaktionen ab!
Natürlich werden die weiteren Kursbewegungen in diesen Märkten nun von der Entscheidung der EZB abhängen. Im Zeitraum von 13:45 bis 15:00 Uhr wird es dabei sicherlich zu sehr heftigen Kursschwankungen kommen. Hier sollten Sie sich möglichst raushalten.
Anschließend wird sich der Markt für eine Richtung entscheiden. Diese Richtung ist vom Maßnahmenpaket der EZB abhängig und dürfte dann einige Tage anhalten. Entweder der Markt feiert die zusätzliche Liquidität oder er zeigt sich enttäuscht, wenn die EZB zu wenig beschließt. In jedem Fall könnte man dann kurzzeitig auf den fahrenden Zug aufspringen, weil die Kursrichtung dann einige Tage anhalten könnte.
(Natürlich wäre aber auch eine Seitwärtsphase denkbar, wenn die EZB nur die Erwartungen des Marktes erfüllt.)
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus