Von März 2022 bis August 2024 herrschte die weit verbreitete Befürchtung, dass die restriktivere Geldpolitik der Fed unweigerlich zu einer Rezession führen würde. Diese "am meisten erwartete Rezession" aller Zeiten blieb jedoch aus. Als die Fed am 18. September 2024 schließlich eine Lockerung der Geldpolitik einleitete, war die allgemeine Erwartung, dass deutliche Zinssenkungen notwendig wären, um eine wirtschaftliche Abschwächung zu verhindern. Doch dieses Szenario hat inzwischen an Glaubwürdigkeit verloren – insbesondere nach dem starken Beschäftigungsbericht für Dezember.
Sowohl an den Anleihe- als auch an den Aktienmärkten findet derzeit eine Neubewertung der möglichen geldpolitischen Schritte der Fed statt. Zwischen dem 18. September und dem 18. Dezember wurde die Federal Funds Rate (FFR) bereits um 100 Basispunkte gesenkt, und für das Jahr 2025 sind weitere Zinssenkungen in Aussicht gestellt. Die Entwicklung am Anleihemarkt deutet darauf hin, dass Anleger zunehmend unsere Einschätzung teilen: Die Fed hat eine Wirtschaft stimuliert, die keine zusätzliche Unterstützung benötigte. Gleichzeitig bleibt die Inflation hartnäckig über dem Zielwert von 2,0 %.
Wir haben stets argumentiert, dass die aktuellen Wirtschafts- und Inflationsdaten darauf hindeuten, dass der neutrale Zinssatz der Fed eher im Bereich von 4,0–5,0 % liegt – und nicht bei 3,0 %, wie ursprünglich angenommen. Daher haben wir die Einschätzung der Fed nicht geteilt, dass ein Zinssatz von 5,0 % als zu restriktiv anzusehen sei.
In den vergangenen Wochen hat sich unsere Einschätzung zunehmend als Konsens etabliert – nicht zuletzt nach dem jüngsten positiven Arbeitsmarktbericht. Während viele die aktuelle Zinsentwicklung als „Higher for Longer“ interpretieren, bevorzugen wir den Begriff „Normal for Longer“. Ein zentraler Grund, warum wir in den letzten drei Jahren nicht an das Szenario einer bevorstehenden Rezession geglaubt haben, liegt darin, dass wir die geldpolitische Straffung der Fed als Rückkehr zu einem normalen Zinsniveau betrachtet haben – und nicht als übermäßige Belastung, die zwangsläufig in eine Rezession führen müsste.
In seiner Pressekonferenz am 18. September 2024 erklärte Fed-Chef Jerome Powell, dass die an diesem Tag vom Offenmarktausschuss (FOMC) beschlossene Senkung des Leitzinses um 50 Basispunkte lediglich eine Anpassung der Geldpolitik darstelle:
"Wir wissen, dass es jetzt an der Zeit ist, unsere Politik neu zu kalibrieren – hin zu einem nachhaltigeren Niveau, das den Fortschritten bei Inflation und Beschäftigung besser entspricht. Das Risiko ist nun ausgewogener. Dies ist der Beginn eines Prozesses in Richtung Neutralität, den wir je nach Bedarf beschleunigen oder verlangsamen werden."
Wir – und ebenso unsere Freunde, die Bond-Vigilanten – sahen diese Maßnahme der Fed jedoch kritisch. Bereits in unserem Morning Briefing vom 19. August mit dem Titel "Sollten Sie jetzt Anleihen shorten?" hatten wir darauf hingewiesen, dass sich die Wirtschaft zwar in einer Schwächephase befand, diese aber nicht von Dauer sein würde. Unsere Prognose lautete damals:
"Anleiheinvestoren könnten zu viele Zinssenkungen zu früh erwarten, insbesondere wenn sich die Wirtschaftsindikatoren im August gegenüber Juli wieder erholen. Sollte die Fed den Markterwartungen eine kalte Dusche verpassen, gehen wir davon aus, dass sich die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen im kommenden Monat zwischen 4,00 % und 4,50 % einpendeln wird."
Umso überraschender war für uns die Entscheidung der Fed am 18. September, die Zinsen um 50 Basispunkte zu senken – anstatt den Erwartungen der Märkte entgegenzuwirken. Powell deutete sogar an, dass weitere Zinssenkungen folgen könnten.
Wir haben uns gegen diese Entscheidung gestellt. In unserem Morning Briefing vom 15. Oktober mit dem Titel "Wird die Fed an der hartnäckigen Inflation scheitern?" warnten wir davor:
"Trotz eines robusten Wirtschaftswachstums hat die Fed die Zinsen gesenkt und riskiert damit, die Nachfrage zu stark anzukurbeln und die Inflation erneut anzuheizen. Die Dienstleistungs- und Lohninflation bleibt hartnäckig, was die Gefahr erhöht, dass die Gesamtinflation über 2,0 % verharrt. Der Anleihemarkt teilt unsere Einschätzung, dass die Fed zu schnell auf eine lockerere Geldpolitik umgeschwenkt ist – was die langfristigen Inflationserwartungen steigen lässt."
Seit der ersten Zinssenkung am 18. September 2024 um insgesamt 100 Basispunkte ist die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen seit dem 16. September um 114 Basispunkte gestiegen. Auch die Rendite der 2-jährigen Anleihen kletterte seit dem 24. September um 91 Basispunkte.
Interessant ist zudem, dass sich die Erwartungen des Futures-Marktes geändert haben: Während nach der letzten Zinssenkung am 18. Dezember zunächst zwei weitere Senkungen um 25 Basispunkte erwartet wurden, gehen die Märkte nun nur noch von einer weiteren Senkung in den nächsten zwölf Monaten aus – und in den nächsten sechs Monaten von gar keiner mehr.
Anfang Dezember begann der Aktienmarkt, seine Erwartungen an die zukünftige Zinspolitik anzupassen – mit der Erkenntnis, dass die Zinsen möglicherweise länger auf einem höheren Niveau bleiben könnten. Diese veränderte Einschätzung führte zu einem spürbaren Rückgang am Markt: Der nach Marktkapitalisierung gewichtete S&P 500 erreichte am 6. Dezember ein Hoch von 6090,27 Punkten, gab jedoch bis zum Handelsschluss am Freitag um 4,3 % nach und notierte bei 5827,04 Punkten. Damit liegt der Index aktuell 2,4 % unter seinem 50-Tage-Durchschnitt – ein technisches Signal, das von vielen Marktteilnehmern genau beobachtet wird.
Diese Korrektur haben wir bereits Ende letzten Jahres erwartet. In unserem Morning Briefing vom 17. Dezember schrieben wir:
"Angesichts des aktuellen ungebremsten Optimismus blinken die Kontraindikatoren rot. Wir sehen ein erhöhtes Potenzial für eine Marktkorrektur zu Beginn des kommenden Jahres."
Unsere größte Befürchtung war, dass der Aktienmarkt zu viele Zinssenkungen der Fed Funds Rate (FFR) eingepreist hat, während der Rentenmarkt bereits signalisierte, dass die Fed die Zinsen möglicherweise zu stark gesenkt hat. Der Rückgang am Aktienmarkt am Freitag deutet darauf hin, dass Investoren ihre Erwartungen nun anpassen – und sich verstärkt auf ein Szenario mit „Higher for Longer“ einstellen, also auf ein längeres Zinsniveau, das sich eher an der neuen Normalität orientiert.
Trotz des jüngsten Rücksetzers sehen wir diesen als möglicherweise nur vorübergehend an. Unser Ausblick für die bevorstehende Berichtssaison zum vierten Quartal 2024 bleibt optimistisch. Wir erwarten, dass die operativen Gewinne je Aktie der S&P 500-Unternehmen um mindestens 10 % im Vergleich zum Vorjahr steigen werden. Der aktuelle Analystenkonsens liegt bei 8,2 %.