Die Situation scheint klar (Achtung, Sarkasmus!): Die aktuellen Ereignisse im Schuldenstreit haben einen Gewinner und zwei Verlierer. Die Geldgeber konnten ihre Forderungen vollständig durchsetzen und sind damit der Gewinner. Dabei hat Deutschland alles im Alleingang entschieden. Deutschland? Ach, was sage ich?! Schäuble! Tsipras geht dagegen quasi mit leeren Händen nach Hause, womit sich Griechenland nun dem Spardiktat der Institutionen (Troika) bzw. Schäuble unterwerfen muss. Griechenlands Regierung und ihre Bürger sind also die beiden Verlierer. Aber wenn die EU nun weitere 86 Milliarden in einem schwarzen Loch versenkt, gibt es dann überhaupt einen Gewinner?
So ist offenbar unzweifelhaft die allgemeine Meinung, wenn man den Mainstream-Medien im In- und Ausland folgt (obwohl Slowaken, Slowenier, Esten, Finnen, Niederländer, Letten, Litauer und Belgier mindestens ebenso große „Hardliner“ waren, als es um die Forderung nach Gegenleistungen für weitere Finanzhilfen ging). Ein Blick auf die Details lässt dieses Weltbild aber vielleicht wackeln:
Reformen und Sparmaßnahmen sind nicht gleichzusetzen!
Das Problem an der Berichterstattung und Diskussion ist nämlich, dass Reformen, die den Staatsapparat modernisieren sollen, und Sparmaßnahmen, die den griechischen Bürger, Steuerzahler und Rentner angeblich in der Armut versinken lassen, gleichgesetzt werden. Doch beim Blick auf die kurzfristig umzusetzen Maßnahmen dürfte man ausschließlich sinnvolle Ansätze sehen, die keineswegs an den Einkommen der Bürger in Griechenland etwas ändern.
Diese Reformen muss Griechenland kurzfristig umsetzen
So hatte die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras bis zum späten Mittwoch vier Gesetze durchs Parlament zu bringen:
- Eine Mehrwertsteuerreform, die die Staatseinnahmen erhöhen soll.
- Sofort-Maßnahmen, die eine umfassende Rentenreform einleiten soll.
- Ein neues Gesetz, das die griechische Statistikbehörde Elstat politisch unabhängig machen soll.
- Quasi-automatische Budgetkürzungen für den Fall, dass von den geplanten Sparzielen abgewichen wird.
Nur falls Athen diese Reformen pünktlich verabschiedet, wollten die Euro-Länder entscheiden, ob sie überhaupt Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aufnehmen. Da dies geschehen ist, geht es nun weiter. Als nächstes soll Griechenland folgendes liefern:
- Eine umfassende Rentenreform soll bis Oktober vorliegen.
- Ladenöffnungszeiten sollen gelockert werden.
- Die Märkte für Medikamente, Backwaren und Milch sollen liberalisiert werden.
- Sogenannte "geschlossene Berufe", die der Staat mit Vorschriften künstlich vor Konkurrenz schützt, sollen geöffnet werden (z. Bsp. der Fährtransport).
- Der Stromnetzbetreiber ADMIE soll privatisiert werden, um den Wettbewerb zu erhöhen.
- Entlassungen sollen erleichtert werden.
- Die Aufsicht der Banken soll verschärft, die Ernennung der Aufseher entpolitisiert werden.
Wo stecken denn hier nun bitte die ach so harten Sparmaßnahmen, über die man so viel liest und die die Bürger Griechenlands noch tiefer in die Armut schicken?!
Wie es in dem Land bisher lief, hat es nicht funktioniert
Fakt ist: Wie es in dem Land bisher lief, hat es nicht funktioniert. Nun müssen wirtschaftsfreundliche Reformen umgesetzt werden, die einer linksgerichteten Regierung (wie der Syriza) naturgemäß nicht schmecken, aber sehr wahrscheinlich das Wachstum im Land beschleunigen wird. Am Ende eines 17-Stunden-Beratungsmarathons, unzähliger Verhandlungsrunde zuvor und eines sinnlosen Referendums ist also nur herausgekommen, dass man Griechenland gerne aus dem marktwirtschaftlichen Mittelalter heraushelfen will.
Durch ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) können dann später die Sozialausgaben wieder erhöht werden. – Ein simples Prinzip, welches bislang weder Griechenland noch viele andere Staaten verstanden haben: Man muss erst Geld einnehmen, um es dann ausgeben zu können.
Wichtigstes Ziel: Primärüberschuss
Dass Griechenland zu teuer und deshalb nicht wettbewerbsfähig ist, können die Maßnahmen allerdings auch nicht verhindern. Solange aber ein Primärüberschuss im Staatshaushalt erwirtschaftet werden kann, wird die Sache wenigstens nicht schlimmer.
Vor diesem Hintergrund ist es positiv zu werten, dass das griechische Finanzministerium für das erste Halbjahr einen Haushaltsüberschuss von 1,9 Milliarden Euro vor Zinsen (= Primärüberschuss) meldete. Experten gehen allerdings davon aus, dass dieser Überschuss nur deswegen zustande kam, weil die Regierung zuletzt viele Rechnungen nicht mehr bezahlt hat. Doch diese Lücke beläuft sich nur auf ca. 2 Milliarden Euro. Griechenland ist also nah dran am tatsächlichen Primärüberschuss.
Sind die 86 Milliarden schon verloren?
Falsch ist an der Berichterstattung einiger Medien und sogenannter Experten übrigens auch, dass nun weitere 86 Milliarden Euro nach Griechenland fließen und damit „weg“ sind.
Die drei großen Geldgeber-Institutionen Europäische Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF) schätzten zwischenzeitig, dass Griechenland frische Geldmittel in Höhe von 74 Milliarden Euro benötigt. In den nächsten drei Jahren werden 53,7 Milliarden Euro fällig, um Schulden samt Zinsen zu tilgen. Weitere 25 Milliarden Euro sind erforderlich, um den angeschlagenen Bankensektor mit frischem Kapital auszustatten. Und schließlich sollen 11,5 Milliarden in den griechischen Staatshaushalt fließen, damit das Land sein Haushaltsdefizit ausgleichen, Rechnungen, Löhne und Renten bezahlen kann. Das ergibt zusammen gut 90 Milliarden Euro. Zieht man davon die Zinsgewinne aus griechischen Staatsanleihen (7,7 Milliarden Euro), Privatisierungsgewinne (2,5 Milliarden Euro) und erwartete Haushaltsüberschüsse (6 Milliarden) ab, bleibt ein Kreditbedarf von 74,2 Milliarden Euro.
Hinter 53,7 Milliarden verbirgt sich nichts anderes als eine Art Umschuldung. Hier werden im Zeitablauf lediglich alte Schulden mit neuen bedient und die Schuldendauer damit verlängert. Die 25 Milliarden für die Banken könnten relativ schnell wieder zurückfließen, wenn die Griechen die von ihren Konten abgehobenen Gelder wieder einzahlen, sobald sich die Angst vor einem Euroaustritt gelegt hat. Lediglich 11,5 Milliarden fließen in den griechischen Staatshaushalt, jedoch nur dann, wenn alle Auflagen erfüllt werden. Griechenland muss ab jetzt permanent liefern, jede weitere Hilfe wird nur Zug um Zug gewährt. Wir sind also keineswegs von heute auf morgen 86 Milliarden Euro los.
Verlorenes Vertrauen – Geldgeber verlangen Garantien
Zudem: Da das Misstrauen gegenüber Athen nach einem monatelangen Verhandlungspoker und jahrelang verschleppten Sparmaßnahmen – laut Merkel hätten sich die Rettungsbedingungen in den letzten sechs Monaten, und damit seit Antritt der neuen Regierung in Griechenland, erheblich verschlechtert – verständlicherweise groß ist und die Euro-Länder den Versprechen aus Athen nicht mehr trauen, wollen sie von Griechenland Sicherheiten, bevor neues Geld fließt.
Die wichtigste Neuerung beim geplanten dritten Hilfspaket ist daher ein sogenannter Treuhandfonds, der ein erneutes Herauswinden aus den Vorgaben der Gläubiger erschweren soll: Athen soll Vermögenswerte an diesen Treuhandfonds übertragen, damit dieser sie verwalten oder verkaufen und damit Schulden abtragen helfen kann – ohne dass die Griechen selbst noch Zugriff auf deren Erlöse haben. 50 Milliarden Euro sollen so zusammenkommen.
Daneben muss Griechenland für alle Reformen genaue Zeitpläne und überprüfbare Kennzahlen vorlegen. Schon bis zum 20. Juli soll die Syriza-Regierung zudem konkrete Vorschläge für eine Verwaltungsreform machen. Und sie soll alle Gesetze aufheben, mit denen sie nach ihrem Wahlsieg frühere Reformen zurückgedreht hatte.
Kritik am neuen Hilfspaket ist überzogen und voreilig
Die Troika hat also scheinbar dazugelernt und sichert nun das dritte Hilfspaket relativ gut ab. Das Geschrei über verlorengegangene 86 Milliarden ist also völlig überzogen und voreilig – aber das kennt man ja von den bekannten Medien, Börsendiensten und (zum Teil selbsternannten) Experten nicht anders. (Einige von Ihnen wissen sicherlich, wen ich damit meine.) Wer in den vergangenen Jahren auf diese Schwarzseher gesetzt hat, verpasste eine schöne Börsenhausse.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Sven Weisenhaus
(Quelle: Geldanlage-Brief, Ausgabe vom 19.07.2015)