Der Ölpreis hat sich 2014 binnen eines halben Jahres halbiert.
Die Folgen dieses Preisrutsches sind weitreichend. Asoka Wöhrmann, Chief Investment Officer der Deutschen Asset & Wealth Management (Deutsche AWM), sagt dazu: „Grundsätzlich sollte der Preisrückgang die Weltwirtschaft erst einmal beflügeln. So dürften die positiven Effekte über erhöhte Konsumausgaben relativ früh greifen, wohingegen die negativen Effekte der rückläufigen Investitionen erst später zu wirken beginnen.“
Gewinner und Verlierer des billigen Öls
Dabei bezieht er sich auch auf eine aktuelle Studie der Deutschen Asset & Wealth Management (Deutsche AWM), wonach die Effekte des dramatischen Ölpreisrückgangs nicht nur positiv sind. Auf Seiten der Gewinner stehen demnach noch vor den Industriestaaten die netto-energieimportierenden Schwellenländer. Daneben dürften zu den größten Gewinnern einige Fluggesellschaften und Konsumgüterkonzerne gehören.
„Das größte Risiko des niedrigen Ölpreises sehen wir auf gesellschaftlicher Ebene in vom Ölexport abhängigen, aber finanziell und politisch fragileren Staaten“, sagt Wöhrmann. Nicht zuletzt trügen bei vielen ölexportierenden Ländern die Ölexporte einen sehr hohen Anteil zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Neben einem Wirtschaftseinbruch droht Länder wie Kolumbien, Venezuela, Kasachstan, Algerien, Angola, Saudi Arabien, dem Irak sowie dem Oman eine kräftige Schieflage in ihrer Leistungsbilanz. Negativ von den direkten Folgen des Ölpreisrückgangs betroffen seien natürlich auch Ölkonzerne und vor allem US-Banken, da sie am stärksten im US-Schieferölgeschäft tätig sind.
Ölpreisrückgang könnte noch zu Verwerfungen führen
An den Rentenmärkten stehen die Hochzinsanleihen der US-Ölfirmen im Fokus, ebenso wie Investmentgrade-Anleihen großer Ölproduzenten der Schwellenländer. Bei beiden rechnet die Deutsche AWM noch mit weiteren Verwerfungen. Auch auf Länderebene seien diese nicht auszuschließen.
Geldpolitik wurde bereits vom Ölpreisrückgang beeinflusst
Zudem könnte der Ölpreisrückgang Auswirkungen auf die internationale Geldpolitik haben. Dazu sagt Wöhrmann: „Die Zentralbanken gewinnen durch den Preisrückgang an Spielraum. Die Fed könnte ihre Zinswende verschieben, die EZB könnte den niedrigen Ölpreis, der ja für eine geringere Inflation sorgt, als einen weiteren Grund für ihr Programm der ultralockeren Geldpolitik, das so genannte Quantitative Easing, anführen.“
Für Aussagen bezüglich der weiteren Preisentwicklung ist es noch zu früh
Für klare Aussagen bezüglich der weiteren Preisentwicklung ist es nach Ansicht von Wöhrmann noch zu früh – nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Datengrundlage. Diese werde erst mit der Berichterstattung zum ersten Quartal 2015 bezüglich Investitionskürzungen, Produktionsplänen, Kostendeflation und Margendruck deutlich verbessern. Grundsätzlich geht die Deutsche AWM in ihrem Basisszenario von einer langsamen Erholung des Ölpreises bis auf 65 US-Dollar bis Ende 2015 aus.
Komplexität des Ölmarktes erschwert Preisprognosen
Doch glauben Sie angesichts der Komplexität des Ölmarktes nicht, dass Ihnen irgendjemand fundierte Prognosen zur Entwicklung der Ölpreise geben könnte. Selbst die Prognosen jener Institutionen, die sich schwerpunktmäßig damit befassen, lagen meilenweit daneben. Noch im Juli 2014 prognostizierte zum Beispiel die EIA in ihrem kurzfristigen Marktausblick für 2015 einen durchschnittlichen Preis für das Fass WTI von 95 US-Dollar. Und auch die OPEC hatte sich im Sommer nicht veranlasst gesehen, von ihrer positiven Sichtweise für 2014 und 2015 abzuweichen.
Eine Vielzahl von Faktoren bestimmen Angebot und Nachfrage
Sie glauben, dass hier nur Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen? Letztlich mag das stimmen, doch in der Vielzahl der Faktoren, die das Angebot und die Nachfrage kurz-, mittel- und langfristig beeinflussen liegt das Unbekannte:
- Wie wird sich der Schieferölsektor entwickeln (56% der US-Ölproduktion, Investitionskürzungen, Stilllegungen von Ölbohrtürmen)?
- Wie entwickeln sich die rechtlichen Grundlagen fürs Fracking (Verbote)?
- Wie wird sich die OPEC verhalten (Anpassung der Förderquote)?
- Wie wird sich die Weltwirtschaft entwickeln?
- Wie entwickeln sich die Grenzkosten und Vollkosten der Produzenten? (Schmerzgrenze beim Preis)
- Wie entwickeln sich die Refinanzierungsbedingungen der Ölfirmen?
- Wann gibt es die nächsten Produktionsstörungen in Krisenländern (Terrorismus, Kriege, Sanktionen)?
- Wie entwickelt sich das Angebot der Produktionsfelder (Neuentdeckungen, geschätzte Reserven)?
- Wie verhalten sich die Kapitalmärkte (auf dem Terminmarkt wird mehr als viermal so viel umgesetzt wie auf dem physischen Ölmarkt)?
- Wie entwickeln sich die US-Dollar-Wechselkurse (Öl wird in US-Dollar gehandelt)?
- Wie entwickeln sich die Lagerbestände, Lagerkapazitäten und Lagerkosten?
- Wie entwickeln sich neue Fördermethoden (Such- und Erschließungskosten)?
- In welchem Umfang haben sich die Firmen gegen fallende Ölpreise abgesichert?
Investitionen auf den Ölpreis sind stets spekulativ
Wenn Sie glauben, all diese Faktoren erfassen und voraussagen zu können, dann senden Sie uns bitte Ihre Bewerbungsunterlagen zu. Wir nehmen Sie dann umgehend in den Kreis unserer Analysten auf. Wir können dies nicht und sehen den Ölpreis daher mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Investitionen auf den Ölpreis sind stets spekulativ.
OPEC – Die treibende Kraft im Ölmarkt
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen der Deutsche AWM bezüglich der Aussagen, die OPEC habe der amerikanischen Ölindustrie den Krieg erklärt. Die OPEC hat durch ihre vorige Hochpreisstrategie neuen Anbietern durchaus den Weg in den Markt bereitet und setzt sie nun dem freien Kräftespiel aus Angebot und Nachfrage aus, weil das Öl-Kartell seine Macht nicht mehr zur Manipulation des Ölpreises nutzt. Doch es ist absurd, der OPEC nun den schwarzen Peter zuzuschieben, weil sie ihre Produktion nicht kürzt, während die Amerikaner durch den aggressiven Ausbau des umstrittenen Schieferöls den Markt binnen vier Jahren mit 4 Mio. Fass pro Tag (b/d) zusätzlich geschwemmt haben. Wenn nun einige US-Produzenten in Schieflage geraten, dann nur deshalb, weil sie den Ölmarkt/Ölpreis falsch eingeschätzt haben.
Preisuntergrenze könnte bei ca. 40 USD liegen
Die Deutsche AWM sieht die Grenzkosten für die Ölsorte WTI bei unter 40 USD/b. Was „unter“ in diesem Zusammenhang bedeutet, sagt sie nicht. Aber damit wird zumindest klarer, wo in etwa eine längerfristige Preisuntergrenze liegen könnte.
(Quelle: Geldanlage-Brief, Ausgabe vom 01.04.2015)