Der EZB-Rat in der vergangenen Woche beschlossen hat, die Leitzinsen unverändert zu belassen. Die Notenbank begründete den Verzicht auf neue geldpolitische Maßnahmen damit, dass die Lage sehr ungewiss sei und man zunächst weitere Informationen benötige.
Das sind die größten Probleme Europas
Probleme sähe man insbesondere im verhaltenen Geld- und Kreditwachstum, in zu niedrigen Inflationsraten und in der nur schleppend voranschreitenden Wirtschaftserholung.
Geht es Europa trotzdem bereits gut genug?
Über die Probleme auf dem Geldmarkt und die geringen Inflationsraten hatten wir bereits vor einer Wocheausführlich im kostenlosen Börsen-Newsletter „Geldanlage-Brief“ berichtet. Was wir noch nicht betrachtet haben, ist die Situation der Wirtschaft in Europa. Geht es der Eurozone bereits so gut, dass trotz der anderen Problemherde neue Liquiditätsspritzen nicht nötig sind? Diese Fragen wollen wir Ihnen hier und heute beantworten.
Liste der Daten zur Analyse der europäischen Wirtschaft
Zu diesem Zweck haben wir eine Liste von Daten zusammengestellt, anhand derer man eine Analyse der wirtschaftlichen Situation Europas vornehmen kann. Schauen wir uns diese Liste einmal an:
Grundlegende Daten
- Staatshaushalt / Verschuldung
- Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Geldpolitik
- Leitzins der EZB
Arbeitsmarkt
- Arbeitslosenquote
Verbraucher
- Einzelhandelsumsatz
Industrie
- Industrieproduktion
- Produktion im Baugewerbe
Stimmungsindikatoren
- ZEW-Index des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
- Einkaufsmanagerindizes
- Geschäftsklimaindex für die Eurozone
- Gesamtindex zur europäischen Geschäfts- und Verbraucherstimmung
Preisentwicklung
- Verbraucherpreise
- Erzeugerpreise
- Immobilienpreise
Doch wie hängen diese Daten zusammen? Was kann man aus diesen einzelnen Daten ablesen? Und wie kann man von diesen Daten darauf schließen, wie es der europäischen Wirtschaft geht? Und warum sind diese Informationen eigentlich wichtig, um erfolgreich an der Börse agieren zu können? Auch diese Fragen werden wir nachfolgend beantworten.
Darum ist eine Analyse von Konjunkturdaten wichtig für den Börsenerfolg
Wie kann man von einzelnen Konjunkturdaten darauf schließen, wie es einer Wirtschaft, hier im Speziellen der europäischen Wirtschaft, geht? Und warum sind diese Informationen eigentlich
Beschäftigen wir uns zunächst mit der zweiten Frage: Die Börse folgt in Ihren übergeordneten Trendbewegungen dem Wirtschaftszyklus. Dabei nimmt sie die wirtschaftliche Entwicklung aber vorweg. Die Kurse an den Aktienmärkten fallen meist bereits schon, noch bevor man erkennt, dass es wirtschaftliche Probleme gibt. Und sie steigen schon, bevor sich eine Wirtschaftserholung einsetzt.
Die Börse nimmt wirtschaftliche Entwicklungen vorweg
Wenn wirtschaftliche Probleme offensichtlich werden, sinken auch die Gewinne vieler Unternehmen. Entsprechend werden die Aktienbewertungen höher und die Kurse müssen sinken, um zurück zu ihrem fundamental gerechtfertigten Wert zurückzufinden.
Genau gegenteilig ist es, wenn sich die Lage einer Volkswirtschaft bessert. Die Nachfrage der Verbraucher nimmt wieder zu, die Unternehmen müssen mehr produzieren und erzielen wieder höhere Gewinne. Es können mehr Mitarbeiter eingestellt werden und die Arbeitslosigkeit sinkt. Dadurch können noch mehr Menschen wieder mehr konsumieren und die Gewinne der Unternehmen steigen weiter. Der Aktienmarkt nimmt auch diese Entwicklung sehr früh auf und die Kurse steigen in Erwartung höherer Gewinne.
Der frühe Vogel fängt den Wurm
Wenn man also anhand der Analyse von Wirtschaftsdaten frühzeitig erkennt, in welche Richtung es mit einer Volkswirtschaft geht, dann kann man auch zu denjenigen gehören, die frühzeitig auf fallende oder steigende Aktien setzen. Entsprechend größer ist der persönliche Erfolg an der Börse.
So dramatisch steht es um Europas Wirtschaft wirklich
Befassen wir uns nun mit der Frage, wie man anhand einzelner Konjunkturdaten darauf schließen kann, wie es einer Wirtschaft, hier im Speziellen der europäischen Wirtschaft, geht. Dazu schauen wir uns nun die einzelnen Daten aus der „Liste der Daten zur Analyse der europäischen Wirtschaft“ im Detail an.
Leitzins und Preisentwicklung
Den Leitzins beließ die EZB auf dem aktuellen Niveau von 0,25%. Die Entwicklung der Preise haben wir uns vor genau einer Woche bereits im „Konjunktur-Radar“ angesehen. Die jährliche Inflationsrate der Verbraucherpreise betrug im Januar 0,7%. Die Erzeugerpreise der Industrie sind im Dezember 2013 gegenüber Dezember 2012 im Euroraum um 0,8% und in der EU28 um 0,6% gesunken. Die Hauspreise, gemessen durch den Hauspreisindex (HPI), sind im dritten Quartal 2013 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal im Euroraum um 1,3% und in der EU um 0,5% gefallen.
Dies sind bereits erste Indizien für wirtschaftliche Probleme
Damit haben wir bereits zwei Themenblöcke abgehakt. Beide sprechen dafür, dass es der Wirtschaft in Europa nicht sonderlich gut geht. Ein niedriger Leitzins bedeutet, dass der Wirtschaft mit billigem Geld auf die Beine geholfen werden soll und sinkende Preise bedeuten, dass die Wirtschaft Probleme hat, Ihre Produkte auf den Märkten loszuwerden.
Preisrückgänge wegen Absatzproblemen im Einzelhandel
Dies spiegelt sich auch in den Zahlen zum Einzelhandel wider. Im Dezember 2013 fiel das saisonbereinigte Absatzvolumen des Einzelhandels laut Schätzungen von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, gegenüber dem Vormonat November im Euroraum (ER17) um 1,6% und in der EU28 um 0,8%. Ein ähnliches Bild zeichnet sich im Vorjahresvergleich. Zum Dezember 2012 verringerte sich der Einzelhandelsindex im Euroraum um 1,0% und stieg in der EU28 nur um 0,1%.
Noch deutlicher werden die Absatzprobleme der Unternehmen in Europa beim Blick auf die folgende Grafik. Hier ist zu sehen, dass die Umsätze schon seit 2008 rückläufig sind.
(Quelle: Eurostat)
Absatzprobleme wirken sich auf den Arbeitsmarkt aus
Entsprechend desolat zeigt sich natürlich auch die Entwicklung auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Analog zum Rückgang im Einzelhandel ist die Arbeitslosenquote seit 2008 kontinuierlich gestiegen, wie die folgende Grafik zeigt.
(Quelle: Eurostat)
Eine völlig logische Entwicklung: Wenn weniger konsumiert wird, wird weniger verkauft und weniger produziert. Entsprechend benötigt man weniger Personal und muss zudem, um Kosten zu senken, Mitarbeiter freisetzen.
Im Euroraum (ER17) lag die saisonbereinigte Arbeitslosenquote im Dezember 2013 bei 12,0%. In diesem Bereich befindet sie sich bereits seit Ende 2012. Im Dezember 2012 hatte die Quote BEREITS 11,9% betragen. In der EU28 lag die Arbeitslosenquote im Dezember 2013 bei 10,7%. Hier lassen sich seit Frühjahr 2013 leicht abnehmende Raten feststellen.
Und wie Sie vermutlich bereits wissen, sind die Arbeitslosenquoten in den Krisenländern wie Griechenland (27,8%), Spanien (25,8%), Zypern (17,5%) und Portugal (15,4%) am höchsten. Dazwischen gesellt sich Kroatien mit 18,6%.
(Quelle: Eurostat)
Hohe Arbeitslosigkeit und geringe Nachfrage führt zu abnehmender Produktion
Dass tatsächlich weniger produziert wird, lässt sich an den Zahlen zur Industrieproduktion und zum Baugewerbe ablesen:
Die Produktion der Industrie fiel im Dezember 2013 saisonbereinigt gegenüber November 2013 sowohl im Euroraum (ER17) als auch in der EU28 um 0,7%. Die durchschnittliche Industrieproduktion für das Jahr 2013 verringerte sich gegenüber 2012 im Euroraum um 0,8% und in der EU28 um 0,5%.
(Quelle: Eurostat)
Und die saisonbereinigte Produktion im Baugewerbe fiel im November 2013 zum Vormonat im Euroraum (ER17) um 0,6% und in der EU28 um 1,1%. Gegenüber dem Vorjahresmonat verringerte sich die Produktion im Baugewerbe im Euroraum um 1,7% und in der EU28 um 1,6%.
(Quelle: Eurostat)
Zusammenhänge in einer Volkswirtschaft werden deutlich
Anhand der bis hierher besprochenen Zahlen werden bereits die Zusammenhänge in einer Volkswirtschaft deutlich:
- Die Preisentwicklung deutet bereits auf Absatzprobleme hin.
- Bestätigt wird diese Annahme durch die gesunkenen Umsätze im Einzelhandel.
- Sinkender Absatz sollte theoretisch durch eine Drosselung der Produktion quittiert werden.
- Bestätigt wird diese Theorie durch die Zahlen zur Industrieproduktion und des Baugewerbes.
- Sinkende Produktion sollte zu einer Freisetzung von Mitarbeitern führen.
- Bestätigt wird dies durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Hohe Arbeitslosigkeit führt zu leeren Staatskassen
Und weil die Staaten entsprechend weniger Steuereinnahmen und gleichzeitig höhere Kosten in den sozialen Sicherungssystemen haben, sollte sich die ganze dramatische Entwicklung auch im Staatshaushalt niederschlagen.
Tatsächlich wiesen die öffentlichen Haushalte in der EU28 im dritten Quartal 2013 ein Defizit im Verhältnis zum BIP von 3,5% aus. Im Euroraum betrug das Haushaltsdefizit 3,1%.
Dabei zeigt sich aber, dass die Sparanstrengungen der vergangenen Jahre durchaus Früchte tragen, wie die folgende Grafik zeigt. Denn in den Krisenjahren 2009 und 2010 lag das Defizit noch im Bereich von 7%.
(Quelle: Eurostat)
Übrigens sollte laut Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 die Defizitquote unter 3 % und die Schuldenstandsquote unter 60 % des BIP liegen. Leider verstößt aktuell nicht nur die Defizitquote (siehe oben) gegen diesen Vertrag, sondern auch der öffentliche Schuldenstand lag am Ende des dritten Quartals 2013 mit 92,7% im Euroraum (ER17) und 86,8% in der EU28 deutlich neben dem vertraglich festgelegten Ziel.
Die höchsten Verschuldungsquoten verzeichneten am Ende des dritten Quartals 2013 natürlich Griechenland (171,8%), Italien (132,9%), Portugal (128,7%) und Irland (124,8%), wie die folgende Grafik zeigt.
(Quelle: Eurostat) Öffentlicher Schuldenstand / BIP, 2013 Q3 in Prozent
Damit haben wir nun die meisten Daten aus der Liste zu Analyse der europäischen Wirtschaft besprochen. Tragen wir diese Daten einfach einmal zusammen, um eine bessere Übersicht zu erhalten:
Liste der Daten zur Analyse der europäischen Wirtschaft
Grundlegende Daten
- Staatshaushalt / Verschuldung: 92,7% im Euroraum, 86,8% in der EU28 (3. Quartal 2013)
Geldpolitik
- Leitzins der EZB: 0,25% (Februar 2014)
Arbeitsmarkt
- Arbeitslosenquote: 12,0% im Euroraum, 10,7% in der EU28 (Dezember 2013)
Verbraucher
- Einzelhandelsumsatz: -1,6% im Euroraum, -0,8% in der EU28 (Dezember 2013)
Industrie
- Industrieproduktion:
- zum Vormonat (Dezember 2013) im Euroraum und in der EU28 -0,7% (Dezember 2013)
- durchschnittliche Industrieproduktion für das Jahr 2013 gegenüber 2012 im Euroraum -0,8% und in der EU28 -0,5% - Produktion im Baugewerbe:
- zum Vormonat im Euroraum -0,6% und in der EU28 -1,1% (November 2013)
- zum Vorjahresmonat im Euroraum -1,7% und in der EU28 -1,6% (November 2013)
Preisentwicklung
- Verbraucherpreise: +0,7% (Januar 2014 gegenüber Vorjahr)
- Erzeugerpreise: im Euroraum -0,8% und in der EU28 -0,6% (Dezember 2013 gegenüber Vorjahr)
- Immobilienpreise: im Euroraum -1,3% und in der EU -0,5% (3. Quartal 2013 gegenüber Vorjahr)
Angesichts dieser Zahlen müsste einem eigentlich schwarz vor Augen werden. Und man müsste sich fragen, warum die EZB vor diesem desaströsen Hintergrund auf ihrer jüngsten Sitzung keine deutliche Reaktion in Form von weiteren geldpolitischen Maßnahmen gezeigt hat.
Doch es fehlen noch einige wenige Daten, um die Liste komplett zu machen. Noch nicht besprochen haben wir bislang die Entwicklung des
- - Bruttoinlandsprodukts (BIP)
sowie die
- Stimmungsindikatoren
- ZEW-Index des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
- Einkaufsmanagerindizes
- Geschäftsklimaindex für die Eurozone
- Gesamtindex zur europäischen Geschäfts- und Verbraucherstimmung
Früh- und Spätindikatoren
Wie Sie aus dem „Geldanlage-Brief“ vom 5. Februar wissen, lassen sich die Wirtschaftsdaten in Frühindikatoren und Spätindikatoren einteilen. Die heute besprochenen Daten kann man zum Großteil den Spätindikatoren zuordnen.
Wenn nun die Frühindikatoren, zu denen insbesondere die Stimmungsindikatoren zählen, auf eine deutliche Erholung der europäischen Wirtschaft hindeuten, dann könnte dies ein Grund dafür sein, warum die EZB aktuell eine abwartende Haltung eingenommen hat.
Fazit
Wir haben heute eine Antwort auf die Frage erhalten, ob es der Eurozone bereits so gut, dass trotz der anderen Problemherde neue Liquiditätsspritzen nicht nötig sind? Die Antwort lautet definitiv „Nein“!
Doch es könnte sein, dass die EZB bereits Hinweise darauf hat, dass sich die Situation sehr bald bessern könnte. Ablesen könnte man dies an den Stimmungsindikatoren. Und damit beschäftigen wir uns in der nächsten Ausgabe unseres kostenlosen Börsen-Newsletters „Geldanlage-Brief“.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Sven Weisenhaus