Die Börsen richten ihr Augenmerk weiterhin auf US-Notenbankchef Jay Powell, der nach seinem gestrigen Auftritt vor dem Repräsentantenhaus nun vor dem Senat sprechen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass Powell von seinen Erklärungen vom vergangenen Mittwoch abweichen wird. Dennoch ist es interessant zu beobachten, dass der Aktienmarkt skeptisch bleibt, wenn Powell andeutet, dass die Zinsen bald weiter steigen werden. Das könnte Powell dazu veranlassen, noch stärker auf eine Erwartung weiterer Zinserhöhungen noch in diesem Jahr hinzuweisen.
Diese Situation stellt ein erhebliches Risiko für die Aktienkurse dar, vor allem jetzt, da wir den Verfalltag für den Monat Juni hinter uns haben. Daraufhin werden die Hedging-Ströme, die den Aktienmarkt stützen, vermutlich abnehmen. Diese Entwicklung fällt mit einer Phase überkaufter Aktien auf Indexebene zusammen. Das könnte die Entschlossenheit der bullish orientierten Händler in Frage stellen, während sich auch die Kapitalströme allmählich verändern und die Märkte Zeichen von Anspannung zeigen.
In den letzten Wochen habe ich mich mit den bevorstehenden Ereignissen befasst, die den Markt in diesem Sommer voraussichtlich vor mehrere Herausforderungen stellen werden. Zu diesen Hürden gehören die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed die Zinsen weiter anhebt, abnehmende Hedging-Flows und das Wiederauffüllen des Treasury General Account (TGA) - alle diese Dinge treten ein, während die Aktien bereits einen überkauften und überbewerteten Status erreicht haben. Der S&P 500 ist stärker gestiegen als meine anfänglichen Prognosen, aber das Marktnarrativ und das damit verbundene Risiko bleiben unverändert. Darüber hinaus gibt es glaubhafte Anzeichen dafür, dass die Gefahr eines erneuten Inflationsschubs in der zweiten Jahreshälfte zunimmt.
Der S&P 500 handelt über seinem oberen Bollinger-Band, während der RSI über 70 notiert. Das heißt nicht zwangsläufig, dass die Aktien sinken müssen, aber es signalisiert, dass eine Konsolidierungsphase gerechtfertigt sein könnte, z.B. in der Ausprägung, dass die Aktien fallen oder stagnieren, bis die überkauften Niveaus abgebaut sind.
Das Gleiche gilt für den Nasdaq 100.
Der entscheidende Faktor ist, was den Markt antreibt. Ich vermute, dass hier sogar mehrere Faktoren eine Rolle spielen, von denen der wichtigste der Einbruch der Volatilität ist, den wir beobachten. Der VIX liegt unter 15. Ein weiterer Faktor könnte der erneut aufkommende Glaube an eine weichen Landung sein, bei der es der Wirtschaft gelingt, einer Rezession zu entgehen, und das Gewinnwachstum relativ unbeschadet bleibt.
Ein solches Szenario ist zwar plausibel, aber bisher konnten wir noch keinen wesentlichen oder spürbaren Anstieg der Gewinnschätzungen für die nächsten drei Quartale beobachten. Der Gewinntrend war in den letzten Wochen eher nach unten gerichtet. Es ist jedoch möglich, dass die Unternehmenszahlen in einigen Wochen besser ausfallen werden als die pessimistischen Prognosen.
Ich neige schon immer zu der Überzeugung, dass die Inflation hartnäckig hoch bleiben wird und die USA sich in einem Umfeld langsamen, zermürbenden Wachstums bewegen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Zeiten hoher Inflation in der Regel mit steigenden Arbeitslosenzahlen einhergehen, die dann häufig eine Rezession auslösen.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich dieses Muster dieses Mal nicht wiederholt. Die Inflation konnte in der Vergangenheit nur dann wirklich unterdrückt werden, wenn die Arbeitslosenquote eskaliert ist. Daher denke ich, dass es trotz des Rückgangs der Gesamtinflation schwierig sein wird, sie ohne Anstieg der Arbeitslosenquote wieder in den von der Fed gewünschten Bereich um 2 % zu bringen. Und genau dafür ist wahrscheinlich eine Rezession unumgänglich.
Die jüngste Rallye, die der Aktienmarkt erlebt hat, wird daher wahrscheinlich nicht von Dauer sein, wenn man bedenkt, dass der gesamte Optimismus derzeit auf der Hoffnung beruht, dass eine Rezession abgewendet werden kann - was einfach nicht sehr wahrscheinlich ist. Darüber hinaus ist die Inflationsrate aufgrund des deutlichen Rückgangs der Energiepreise in den letzten Monaten nur gedämpft.
Allerdings erweist sich Öl laut seinem Chart als robust, und wenn es dem schwarzen Gold gelingt, die 75-USD-Marke zu knacken, sind vielleicht auch 83 USD wieder möglich. Außerdem wird Öl in der zweiten Jahreshälfte mit deutlich niedrigeren Preisen verglichen werden. Damit wird die inflationsdämpfende Wirkung des Erdöls technisch allmählich nachlassen.
Das gleiche Szenario gilt für Benzin, dessen Boden bei etwa 2,32 USD liegt. Der Preis scheint sich nach oben zu bewegen und könnte wieder auf 2,85 USD ansteigen. Auch der Basiseffekt des Benzins wird im Laufe des Sommers nachlassen.
Sogar Weizen zeigt erste Anzeichen für einen Ausbruchs aus dem derzeitigen Abwärtstrend.
Daher werden in der zweiten Jahreshälfte wahrscheinlich dieselben vergleichenden Faktoren, die die Inflation niedriger wirken ließen, wieder zu einem Anstieg beitragen. Das ist tatsächlich das größte Risiko für die Fed und könnte den Anlass dafür geben, die Zinsen weiter steigen zu lassen, wenn die Fed weitere Maßnahmen zur Dämpfung der Preise ergreifen muss.
Das könnte auch erklären, warum die Rendite der 2-jährigen US-Anleihen am Freitag den höchsten Stand seit Mitte März erreichte.
Noch wichtiger ist, dass China wahrscheinlich wieder wachstumsfördernde Maßnahmen ergreifen wird, so dass die Rohstoffpreise allein deshalb wieder ansteigen werden. Der Bloomberg Commodity Index scheint aus seinem Abwärtstrend auszubrechen und die Voraussetzungen für einen starken Aufwärtstrend zu schaffen.
Das ist insofern von Bedeutung, als die jährliche Veränderung des Wertes dieses Index mit dem ISM-Index der gezahlten Preise (ISM Prices Paid) korreliert. Wenn wir sehen, dass dieser Index steigt, werden auch die Erzeugerpreise anziehen und damit den aktuellen deflationären Trend bei den Waren umkehren.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der Aktienmarkt die Möglichkeit einer sanften Landung in Betracht zieht, während der Anleihemarkt ein Szenario anhaltend höherer Zinsen ins Auge fasst. Das ist nicht überraschen, weil die Kerninflationsraten stabil geblieben sind und ein erneuter Anstieg der Rohstoffinflation möglich ist.
Man kann dieses Signal dafür, dass die Fed immer noch mit einer großen Aufgabe zu kämpfen hat, nicht ignorieren, Sie kommt nicht umhin, die Nachfrage so weit zu dämpfen, dass die Kerninflation auch endlich nachlässt. Gleichzeitig wird sie vor einem weiteren, noch größeren Problem stehen, wenn China beschließt, seine Wirtschaft zu stimulieren und das die Rohstoffinflation wieder in Gang setzt. Eine solche Entwicklung würde die Gesamtinflation in die Höhe treiben, die dann sehr viel schwieriger zu bekämpfen wäre, es sei denn, die Fed kann eine Aufwertung des Dollars bewirken, was mit noch höheren Zinsen einherginge.
Alles in allem zeigt uns das Gesamtszenario wahrscheinlich, dass die finanziellen Bedingungen weiter verschärft werden und die Realsätze steigen müssen. Für die Aktienmärkte ist das in der Vergangenheit nie gut gewesen - und wird es wahrscheinlich auch in Zukunft nicht sein. Daher könnten wir auf eine echte Stagflation zusteuern, die durch steigende Preise und zunehmende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist, während die Fed sich bemüht, die Kerninflation zu dämpfen und zu verhindern, dass ihr die Kontrolle über die Gesamtinflation aus den Fingern gleitet.