- Der steile Absturz der TDOC-Aktie von den Höchstständen im Jahr 2021 hat nachvollziehbare Gründe und präsentiert für sich genommen noch keine Kaufgelegenheit
- Eine angemessene Bewertung in Relation zu Umsatz und Marktführerschaft machen die Aktie jedoch interessant
- Bei der Rentabilität gibt es klar Luft nach oben, aber ein aggressiver Markt könnte TDOC weiter nach oben treiben
Es spielt keine Rolle, dass die Aktie von Teladoc Health (NYSE:TDOC) seit den Höchstständen von Anfang 2021 um 87 % gefallen ist. Dieser Einbruch allein macht TDOC noch nicht zu einem unwiderstehlichen Schnäppchen.
Erwartungen an vergangene, überholte Kurse zu knüpfen, ist ein weit verbreiteter Investitionsfehler, der als Ankereffekt bekannt ist. Im aktuellen Markt ist diese Betrachtung ein besonders gefährlicher Fehler, da so viele ehemalige Wachstumsfavoriten stark gefallen sind. Und weiter fallen.
TDOC ist ein gutes Beispiel dafür. Zweifellos hielten einige Anleger die Aktie zu Beginn des Jahres für günstig, da sie seit dem Anfang 2021 erreichten Allzeithoch um fast 70 % eingebrochen war. Seitdem ist sie allerdings um weitere 60 % gefallen.
Aber das gilt auch für das Negativszenario. Nur weil TDOC in rund 18 Monaten um 87 % gefallen ist, bedeutet das nicht, dass die Aktie zwangsläufig um weitere 87 % fallen muss. Oder, dass die Aktie zum jetzigen Zeitpunkt kein Kauf sein kann. Selbst nach dem erneuten Abverkauf nach dem Ergebnisbericht der letzten Woche gibt es faszinierende und überzeugende Bullen-Argumente für die Aktie.
Die Berg- und Talfahrt
TDOC war ein klassischer "Pandemie-Gewinner." Die Anleger waren in Bezug auf die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf die virtuelle Gesundheitsfürsorge und damit auch in Bezug auf die Teladoc-Aktie übertrieben optimistisch. Und so unterscheidet sich der TDOC-Chart nicht sonderlich von denen anderer Pandemie-Gewinner wie Zoom Video Communications (NASDAQ:ZM) und Peloton Interactive (NASDAQ:PTON).
Das simpelste Bullen-Argument wäre, dass die Kursgewinne im Jahr 2021 einfach übertrieben waren und auch der Ausverkauf im Jahr 2022 zu weit ging. TDOC hat immerhin nicht nur die Gewinne aus den Jahren 2020-2021 wieder abgegeben, sondern liegt jetzt unfassbare 56 % unter dem Wert, den die Aktie Anfang 2020 hatte, bevor die Auswirkungen der neuartigen Coronavirus-Pandemie deutlich wurden.
Am ersten Handelstag im Juli 2015 schloss die Aktie von Teladoc Health bei 28 USD. Seitdem hat sie um insgesamt 32 % zugelegt, d.h. um etwa 4 % auf annualisierter Basis.
Die Übernahme von Livongo
Teladoc ist nicht per se ein schlecht geführtes Unternehmen. Im Jahr 2015 erwirtschaftete es einen Umsatz von 77 Mio. USD. Die Prognosen für dieses Jahr lassen einen Anstieg auf etwa 2,4 Mrd. USD erwarten.
Diese Art von Wachstum in Verbindung mit einem relativ niedrigen Aktienkurs scheint eine Gelegenheit zu bieten. Allerdings gibt es hier einen großen Haken: die Übernahme von Livongo Health (NASDAQ:LVGO) im vergangenen Jahr. Die Übernahme kostete Teladoc 18,5 Mrd. USD, hauptsächlich in Form von Aktien. Die Livongo-Aktionäre erhielten rund 69 Millionen Teladoc-Aktien.
Als Teladoc 2015 an die Börse ging, befanden sich etwa 36 Millionen Aktien im Umlauf; heute sind es rund 160 Millionen. Teladoc hat außerdem Schulden gemacht.
So stieg der Unternehmenswert von Teladoc (definiert als Marktkapitalisierung plus Nettoverschuldung) von 825 Mio. USD zum Zeitpunkt des Börsengangs auf derzeit rund 7 Mrd. USD. Bis zu einem gewissen Grad sind die höheren Umsätze bereits einkalkuliert. Zugegebenermaßen hat sich das Verhältnis von Unternehmenswert zu Umsatz im Laufe der Zeit verringert, aber das sollte er auch: Teladoc wächst nicht mehr annähernd so schnell wie noch vor sieben Jahren.
Der Livongo-Deal ist leider einer der schlechtesten der letzten zehn Jahre. Hier gab Teladoc 18,5 Mrd. USD für ein Unternehmen auf, das, wäre es noch unabhängig, mit ziemlicher Sicherheit weniger als 2 Mrd. USD wert wäre - und beim aktuellen TDOC-Aktienkurs noch etwa 4 Mrd. USD wert ist.
Die Rückkehr zur Normalität nach der Pandemie hat sich auch auf die TDOC-Aktie ausgewirkt. Das Wachstum hat sich stark verlangsamt. Aber auch die Übernahme von Livongo ist ein wichtiger Faktor. Teladoc hat Milliarden Dollar an Wert vernichtet.
So könnte es weitergehen
Aber das liegt nun in der Vergangenheit. Bei Investitionen zählt nur die Zukunft.
Und die Zukunft von Teladoc scheint noch einigermaßen rosig zu sein. Die Telemedizin ist vielleicht nicht der Mega-Trend, den sich die TDOC-Bullen erhofft haben. Teladoc selbst sagte bei der Ankündigung der Übernahme von Livongo, dass der Zusammenschluss "die Art und Weise, wie Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und diese erleben, grundlegend verändern wird."
Die digitale Gesundheitsversorgung wird ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsbranche bleiben. Und Teladoc bleibt hier der Branchenführer. Wie bereits erwähnt, dürfte der Umsatz in diesem Jahr bei etwa 2,4 Mrd. USD liegen. Es gibt noch viel Raum für weiteres Wachstum, sowohl in den USA als auch auf den internationalen Märkten, wobei letztere nur etwa 13 % des Gesamtumsatzes ausmachen.
Das Primary 360-Angebot von Aetna ist ein "Lichtblick", wie es die Geschäftsleitung in der Telefonkonferenz für das 2. Quartal formulierte. Das Programm fördert die Besuche von Patienten in der Primärversorgung, die oft schon lange keinen Arzt mehr gesehen haben, und kann so nicht nur höhere Umsätze, sondern auch bessere mittel- bis langfristige Gesundheitsergebnisse bewirken.
Das Angebot von BetterHelp für die psychische Gesundheit scheint besonders gefragt zu sein. Der Umsatz stieg im 2. Quartal im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 % (auch diese Zahl stammt aus der Gewinnmitteilung). Teladoc ist eindeutig der dominierende Akteur in diesem Bereich; BetterHelp dürfte in diesem Jahr einen Umsatz von fast 1 Mrd. USD erzielen. Der kleinere Konkurrent Talkspace (NASDAQ:TALK) wird kaum 100 Mio. USD umsetzen, dennoch war das Unternehmen Berichten zufolge das Ziel von mindestens zwei Übernahmeangeboten.
Hier ist also noch eine Menge Wachstum zu erwarten. Auf Unternehmensbasis wird TDOC jedoch mit etwas weniger als dem Dreifachen des diesjährigen Umsatzes gehandelt. In Anbetracht der recht hohen Bruttomargen - 68 % in den letzten vier Quartalen - ist dies aber kein schlechter Multiplikator. Zumindest ist es ein Multiplikator, in den Teladoc hineinwachsen kann.
Das Rentabilitätsproblem
Diese Argumente sind jedoch immer noch nicht wirklich überzeugend, insbesondere nach einigen Quartalsberichten, die eindeutig enttäuschten. Ein großes Problem ist hier die Rentabilität.
Wie bereits dargelegt ist TDOC vielleicht nicht gerade spottbillig. Die Prognose des Unternehmens für dieses Jahr signalisiert ein bereinigtes EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 240 bis 265 Mio. USD, wobei die Unternehmensleitung die Anleger nach dem 2. Quartal in Richtung des unteren Endes der Spanne verweist. Bei dieser Zahl wird TDOC zu einem angemessenen, wenn auch nicht ganz spektakulären EBITDA von 29 gehandelt.
Diese Zahl ist jedoch in zweierlei Hinsicht nach oben übertrieben. Erstens schließt Teladoc die aktienbasierte Vergütung nicht mit ein, die wesentlich ist: Sie belief sich in den ersten sechs Monaten des Jahres auf insgesamt 111 Mio. USD. Aktienbasierte Vergütungen sind ein echter Aufwand, da sie das Einkommen der Aktionäre verwässern; wenn man diesen Faktor einbezieht, ist das EBITDA für das Jahr kaum positiv.
Und ein weiterer Faktor muss berücksichtigt werden. Teladoc aktiviert Softwareentwicklungskosten und schreibt diese Kosten dann im Laufe der Zeit ab. Das ist aus buchhalterischer Sicht völlig akzeptabel, führt aber dazu, dass diese Kosten bei der Berechnung des EBITDA völlig außer Acht gelassen werden.
Auch diese Kosten sind beträchtlich und belaufen sich in der ersten Hälfte dieses Jahres auf insgesamt 69 Mio. USD. So wird das bereinigte EBITDA bei korrekter Berücksichtigung von Entwicklungskosten und aktienbasierten Vergütungen in diesem Jahr voraussichtlich statt des angekündigten Gewinns von 240 Mio. USD einen negativen Wert von 100 Mio. USD erzielen.
Es ist ein weiter Weg von negativen 100 Mio. USD zu den 200 Mio. USD, die Teladoc (mindestens) benötigt, um den aktuellen Aktienkurs zu stützen. Das gilt vor allem deshalb, weil sich die Gewinnmargen in die falsche Richtung bewegen, selbst nach Teladocs eigenen Maßstäben.
Wir befinden uns nicht in einem Markt, der Geduld für Unternehmen hat, die noch nicht profitabel sind. Das gilt umso mehr, wenn sich das Wachstum der Umsätze verlangsamt. Teladoc muss wahrscheinlich bald etwas Überzeugendes vorweisen können, sonst könnte ein weiterer Kursrutsch bevorstehen.
Dennoch sollte man TDOC zumindest langfristig nicht völlig abschreiben. Es gibt Chancen. Teladoc muss sie einfach richtig nutzen.
Haftungsausschluss: Vince Martin hält zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Positionen in hier besprochenen Wertpapieren.