Wieder einmal standen die Märkte und die Wirtschaft vor einem „Shutdown“ der US-Regierung aufgrund des anhaltenden Mangels an finanzpolitischem Verantwortungsbewusstsein in Washington. Nach einem dramatischen Tag verabschiedete der Kongress eine Überbrückungsmaßnahme, mit der die Regierungsgeschäfte für 45 Tage weitergeführt werden können. Aber ist das wirklich eine gute Sache?
Tatsächlich haben solche Shutdowns eine lange Geschichte, die bis in die 1970er Jahre zurückreicht, auch wenn in den Medien viel übertrieben wird, ähnlich wie bei der Schuldenobergrenze. Katherine Buchholz von Statista schreibt dazu
"Der Shutdown 2018/19 war mit 34 Tagen der längste in der jüngeren Geschichte der USA. In den letzten drei Jahrzehnten wurden die Shutdowns der Regierung immer länger, wie ein Zeitstrahl illustriert. Die zweit- und viertlängsten Shutdowns fanden 1995 bzw. 2013 statt. In den 1980er Jahren gab es viele, aber kürzere Shutdowns, während sie in den 1970er Jahren auch etwas länger waren, aber nur einmal, 1978, länger als zwei Wochen dauerten. So selten sind sie also nicht: Seit 1976 gab es 20 Shutdowns mit einer durchschnittlichen Dauer von 8 Tagen."
Auch wenn die jüngste Maßnahme eine Finanzierung beinhaltet, werden wir uns voraussichtlich Mitte November erneut mit diesem Thema befassen. Es ist jedoch bemerkenswert, dass die Regierung seit 2008 nicht mehr normal arbeitet. Vor der Obama-Administration arbeitete die Regierung mit einem jährlichen Haushaltsplan.
Das Repräsentantenhaus stellte einen Haushaltsentwurf über die Ausgaben auf, der Senat nahm Änderungen vor, und der überarbeitete Haushaltsvorschlag ging zur Abstimmung an das Repräsentantenhaus zurück. Anschließend wurde er dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Die Gelder wurden dann entsprechend dem Budget zugewiesen.
Kontinuierliche Ausgaben
Seit 2008 arbeitet die Regierung jedoch ohne Haushaltsplan. Statt jedes Jahr einen Haushalt zu verabschieden, werden sogenannte "Continuing Resolutions“ zur Finanzierung der Ausgaben verabschiedet. Das Problem bei der Nutzung der "Continuing Resolutions" ist, dass die bisherigen Ausgaben als Grundlage genommen und um 8 % erhöht werden. So sind die Schulden seit 2008 geradezu explodiert, weil die Ausgaben jährlich steigen.
Mit dem massiven Ausgabenwachstum können die Einnahmen natürlich nicht Schritt halten, mit dem Ergebnis einer rasant steigenden Verschuldung und eines wachsenden Defizits.
Vor 2008 waren die Einnahmen höher als der laufende Wachstumstrend der Staatsverschuldung. Seit 2008 ist dies nicht mehr der Fall. Folglich beschleunigt sich das Defizitwachstum.
Bedeutet das aber, dass eine Katastrophe bevorsteht, wenn die US-Regierungsgeschäfte stillstehen?
Vorübergehender Aufschub
Medien und Regierungsvertreter feiern den Sieg über den Shutdown, aber ist es wirklich ein Sieg? In Washington D.C. gibt es eine lange Tradition des Wegduckens, mit dem sich die Regierung vor ihrer "Aufgabe" des Regierens drückt. Zu dieser Aufgabe gehört es manchmal, unangenehme Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig Schmerzen verursachen, damit die Wirtschaft in den kommenden Jahren gesünder wird.
Anstatt den einfachen Weg zu gehen, ist es wichtig zu verstehen, was während eines Shutdowns passiert. Etwa 900.000 "nicht kritische" Beschäftigte werden beurlaubt. Obwohl ihre Lohn- und Gehaltsansprüche während des Zwangsurlaubs weiterlaufen, wird sich das fehlende Einkommen negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken.
Dieser Effekt wäre relativ gering, und auf der Grundlage früherer Shutdowns hat Goldman Sachs (NYSE:GS) einen Rückgang des annualisierten Wachstums um rund 0,2 % für jede Woche der Zwangspause geschätzt (unter Berücksichtigung der bescheidenen Auswirkungen auf den Privatsektor).
Wenn man bedenkt, dass der längste Shutdown, wie oben beschrieben, 35 Tage dauerte, kann man die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum auf etwa 1 % schätzen. Ja, das ist zweifellos beunruhigend, aber angesichts eines Wirtschaftswachstums von fast 5 %, wie es der jüngste GDPNow-Bericht der Atlanta Fed ausweist, gibt es hier noch lange keinen Grund zur Sorge vor einer Rezession.
Shutdowns betreffen Ausgaben, die nicht unbedingt notwendig sind
Entscheidend bei einem Shutdown ist, dass die obligatorischen Ausgaben (Sozialversicherung, Sozialhilfe, Schuldzinsen) weiterlaufen. Beim Shutdown geht es in erster Linie um Ausgaben, die nicht unbedingt notwendig sind.
Es geht also vor allem um Regierungsjobs und die Schließung von Nationalparks und Denkmälern. Nach Angaben von Goldman Sachs würde der derzeit diskutierte Shutdown nur etwa 2 % der gesamten Bundesausgaben betreffen. Der Großteil der Staatsausgaben entfällt auf das Sozialsystem und die Schuldzinsen.
Die obige Abbildung zeigt die Ausgaben in Prozent des BIP. Dank der Daten des Center On Budget Policy für das Jahr 2023 können wir jedoch besser verstehen, warum es ein Problem mit dem Sozialsystem gibt
Nach den jüngsten jährlichen Daten bis zum Ende des zweiten Quartals 2023 hat die Regierung 6,3 Bio. USD ausgegeben, wovon 5,3 Bio. USD auf obligatorische Ausgaben entfielen. Mit anderen Worten: Von 1 USD Einnahmen müssen derzeit 113 % für Sozialleistungen und Schuldzinsen ausgegeben werden. Alles andere muss durch die Ausgabe von Schuldtiteln wieder hereingeholt werden.
Ein "Shutdown" würde sich zwar geringfügig negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, wäre aber vielleicht ein akzeptabler Preis für die Wiederherstellung einer gewissen finanziellen Verantwortlichkeit der Regierung.
Was würde ein Shutdown für die Märkte bedeuten?
Doch wie würde sich ein Shutdown auf die Finanzmärkte auswirken?
Wir haben in unserem Newsletter vom vergangenen Wochenende darüber geschrieben, warum die jüngste Sommerschwäche den Grundstein für eine mögliche Jahresendrallye gelegt hat. Ein Zitat:
"Für einen konträren Investor bauen sich Übertreibungen auf, wenn bei einem Trade alle auf der gleichen Seite stehen. Wenn aber alle so pessimistisch sind, können die Märkte in einer Weise reagieren, die niemand erwartet. Die nachstehende Grafik zeigt den relativ starken Rückgang der übertrieben bullischen Stimmung, die wir im Juni und Juli erlebt haben. In der Vergangenheit bildeten die kombinierten Stimmungswerte von Privatanlegern und professionellen Investoren, wenn sie das aktuelle Niveau erreichten, die Grundlage für eine reaktive Rallye".
Ein Shutdown hätte zweifellos Auswirkungen auf die Finanzmärkte, schließlich würden die Anleger in einem unsicheren Umfeld weiterhin zögern, Kapital zu investieren. Zerohedge stellte jedoch kürzlich Folgendes fest:
"Die Marktreaktionen auf einen Regierungsstillstand sind zunehmend verhalten. Der Grund: Trotz der hohen Wahrscheinlichkeit eines Shutdowns wird die Finanzierung in der Regel um fünf vor zwölf durch eine "Continuing Resolution" sichergestellt, die zu Beginn des Haushaltsjahres am 1. Oktober eine befristete Finanzierung vorsieht und schließlich in ein längerfristiges Ausgabengesetz mündet. Gelingt beides nicht, kommt es zum Shutdown."
Wie man in der nachstehenden Tabelle sieht, neigen die Märkte seit 1995 dazu, vor und während des Shutdowns der Regierung zu schwanken, weisen aber insgesamt positive Renditen auf
Auch wenn die Übertreibungen der Mainstream-Medien in Bezug auf einen Regierungsstillstand zweifellos besorgniserregend sind, so ist die Realität doch, dass sie nur geringe Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte haben.
Einen stärkeren Anlass zur Sorge ist die fiskalische Verantwortungslosigkeit in Washington, D.C., die weiterhin das Wirtschaftswachstum, den Wohlstand und eine stärkere Mittelschicht untergräbt.
"Die Verschuldung ist einer der Hauptgründe, warum sich das Wirtschaftswachstum auch weiterhin auf Sparflamme entwickeln wird. Strukturelle Veränderungen der Beschäftigung, demografische Entwicklungen und deflationärer Druck aufgrund von Produktivitätsveränderungen werden diese Probleme noch verstärken."
So wie ein Waldbrand den Boden reinigt und befruchtet und damit den Wald gesünder macht, so könnte ein Shutdown, der Washington wieder zu mehr finanzieller Verantwortung zwingt, eine gute Sache sein.