Nachdem die Europäische Zentralbank eine erste Zinssenkung gewagt hat, blicken Anleger nun gespannt auf die US-Notenbank Fed. Die erhofften und schon lange erwarteten Zinssenkungen der Fed lassen auf sich warten, zumindest bisher. Zuletzt ist die Wahrscheinlichkeit einer zeitnahen Fed-Zinssenkung aber wieder gestiegen – und somit auch die Chance auf attraktive Renditen mit US-Aktien.
Kaum eine Spitzenkraft der Finanzwelt hat in den vergangenen Monaten mehr unter Beobachtung gestanden als US-Notenbankpräsident Jerome Powell. Seitdem er im Dezember 2023 die künftige Notenbankpolitik erläuterte, hoffen Anleger auf gleich mehrere Zinssenkungsschritte der Fed. Schon die erste vage Ankündigung sorgte für reichlich Vorschusslorbeeren am Aktienmarkt: Zeitweise gingen die Märkte von sieben Zinsschritten nach unten aus. Weil sinkende Zinsen mit schrumpfenden Renditen am Rentenmarkt einhergehen und Aktien so gegenüber Anleihen attraktiver erscheinen, feierten die Börsen weltweit Powells Ankündigungen.
Doch bekanntlich kam es anders: Die Inflation erwies sich als hartnäckiger, die US-Konjunktur und der US-Arbeitsmarkt hingegen als robuster denn erwartet. Und daher hat die US-Notenbank bis heute Zinssenkungen immer weiter in die Zukunft verschoben und wartet weiter ab. Doch auch, wenn inzwischen Ernüchterung eingekehrt ist, hoffen die Anleger seit Monaten weiter gespannt auf Zinssenkungen. Der US-Aktienmarkt befindet sich in Lauerstellung.
Dass die wichtigsten US-Aktienindizes seit Monaten um ihre Rekordhochs pendeln, ist unter anderem dem Prinzip Hoffnung geschuldet: Einerseits der Hoffnung auf baldige Zinssenkungen, andererseits der Hoffnung, dass Künstliche Intelligenz die großen Technologieunternehmen wie Alphabet (NASDAQ:GOOGL), Amazon (NASDAQ:AMZN), Apple (NASDAQ:AAPL), Meta (NASDAQ:META), Microsoft (NASDAQ:MSFT) und Nvidia (NASDAQ:NVDA) in neue Gewinnsphären hieven wird. Der bisherige Anstieg der Aktienindizes ist vor allem dem Höhenflug dieser Aktien zu verdanken.
Fed-Zinssenkung könnte ein Umdenken provozieren
Wahrscheinlicher als exorbitant steigende Gewinne der Technologie-Schwergewichte ist aber wohl ein anderes Szenario. Denn weiterhin ist davon auszugehen, dass die US-Notenbank ihre Leitzinsen senken wird – wenn auch nur ein- bis zweimal in diesem Jahr. Dafür spricht zum einen, dass die US-Konjunktur zuletzt Schwächesignale sendete: Der Industrie- und Dienstleistungssektor kämpft mit rückläufigen Umsätzen, der Arbeitsmarkt liefert Hinweise für eine Abschwächung der Wirtschaft und somit verliert die US-Konjunktur insgesamt an Stärke. Zudem: Im Juni fiel die Inflation mit 3,0 Prozent nicht nur niedriger aus als erwartet (3,1 Prozent), die Teuerungsrate schrumpfte auch den dritten Monat in Folge. Die Richtung stimmt also. Dass die Fed vor diesem Hintergrund den Zinssenkungszyklus schon recht bald einläuten wird, erscheint daher zunehmend wahrscheinlich.
Eine Senkung der Leitzinsen wäre auch ein wichtiger Impuls für den Aktienmarkt. Die Unternehmen profitieren von günstigeren Finanzierungsoptionen und dürften dementsprechend ihre Gewinne steigern und mehr investieren. Zudem gewinnen Aktien gegenüber Anleihen bei niedrigen Zinsen an Attraktivität.
Europas Aktienmarkt könnte ebenfalls den Impuls einer Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank benötigen, damit die Börse wieder etwas Fahrt aufnimmt. Doch der Effekt wäre weniger ausgeprägt als in den USA. Zum einen gab es schon einen ersten Zinsschritt nach unten, um die schwächelnde Konjunktur zu stützen. Zum anderen sind die Bewertungsniveaus europäischer Aktien noch moderater als in den USA. Zudem mangelt es in der EU an guten Konjunkturaussichten und Wachstumsperspektiven.
Kurzum: US-Aktien bieten derzeit wohl das größere Potenzial, zumal sich die US-Konjunktur generell dynamischer entwickelt als die europäische. Bei einem weiteren Aufschwung an der Wall Street dürften diesmal aber weniger die KI-Vorreiter profitieren. Deren Bewertungen sind bereits weit enteilt und stehen zunehmend unter Druck. Es mehren sich die Stimmen, die gängige KI- Gewinnprognosen anzweifeln. Immer mehr Anleger befürchten, dass KI-Unternehmen noch vor sehr hohen Investitionen stehen und es auch deutlich länger dauern könnte, bis Künstliche Intelligenz einen signifikanten Produktivitäts- und Gewinnbeitrag leisten kann. Daher ist es gut möglich, dass für die US-Techwerte die Luft nach oben zunehmend dünner wird. Auf der anderen Seite haben KI-Unternehmen bisher zum Teil sehr gute Gewinnergebnisse liefern können. Auch die Fortschritte in der Weiterentwicklung, der Produktivität und der zunehmenden Implementierung in unseren Alltag sind langsam spürbar und somit ist auch die Euphorie im Technologiesektor nach wie vor relativ hoch.
Vernachlässigte Branchen und Anleihen bieten Chancen
Von Zinssenkungen der Fed dürften andere Branchen stärker profitieren. Titel aus den Bereichen Industrie, Konsumgüter und Pharma sind noch vergleichsweise günstig bewertet und haben Aufholpotenzial. Generell bieten auch Small und Mid Caps, also kleine und mittlere Aktien, Chancen, wenn sich der Fokus der Anleger von den großen Tech-Aktien (NYSE:XLK) abwendet. Steigen auch die Gewinnerwartungen der bislang vernachlässigten Titel, würde das höhere Aktienkurse befürworten und grundsätzlich höhere Bewertungsniveaus rechtfertigen.
Anleger können also durchaus darüber nachdenken, ein mögliches Übergewicht an Technologietiteln im Depot abzubauen. Gewinne könnten zumindest teilweise realisiert und an ihrer Stelle vernachlässigte Old-Economy sowie Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen ins Depot beigemischt werden. Einen weiteren Diversifikationsfaktor bieten Investments aus dem Anleihensektor. Aufgrund dessen, dass der Markt eher Zinssenkungen der Fed und der EZB erwartet, könnten auch längere Laufzeiten beigemischt werden, um das derzeitige Zinsniveau langfristig zu sichern. Durch eine breite Streuung lässt sich Stabilität in das Vermögensportfolio bringen.
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