- Amazon sieht sich einer erheblichen Schwäche in seinem Kerngeschäft E-Commerce gegenüber
- Das Cloud- und Werbegeschäft des Unternehmens könnte die Rettung sein
- Der AMZN-Kurs ist in diesem Jahr aufgrund der rauen Wirtschaftslage um mehr als 30 % gefallen und hat sich im Vergleich zu anderen großen Technologieunternehmen schlechter entwickelt
Es wäre keine allzu große Überraschung, wenn Amazon.com (NASDAQ:AMZN) bei der heutigen Zahlenvorlage nach US-Börsenschluss Anzeichen für ein Nachlassen der Wachstumsdynamik zeigen würde.
Die Kombination aus einer Inflation, die sich auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren befindet, und einer straffen Geldpolitik hat dazu geführt, dass Verbraucher und Werbefirmen ihre Ausgaben zurückschrauben, was sich negativ auf die Margen von AMZN auswirkt.
Hinzu kommt, dass der E-Commerce-Riese seit dem Ende der Pandemie mit einer erheblichen Schwäche in seinem Kerngeschäft konfrontiert ist. Denn viele Kunden kaufen nicht mehr so viel Elektronik oder Möbel, weil sie Geld für Lebensmittel, Reisen und Konzerte sparen wollen.
Unter Druck dieser Herausforderungen meldete Amazons Nordamerika-Sparte, zu der auch das Kerngeschäft des Online-Einzelhandels in seinem größten Markt gehört, im Juli den dritten operativen Verlust in Folge.
Überall in den USA müssen Einzelhändler ihre Preise senken, um ihre Lagerbestände an Waren, die nicht mehr nachgefragt werden, abzubauen. Die Entscheidung von Amazon, in diesem Jahr einen zweiten Prime Day zu veranstalten, lässt vermuten, dass der Online-Händler mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein könnte.
Vor dem Hintergrund der nachlassenden E-Commerce-Erlöse befürchten die Amazon-Investoren zudem eine Kosteneskalation nach der massiven Expansion während der Pandemie, die dem Unternehmen Probleme bereitet hat, seine riesigen Lagerflächen und den aufgeblähten Personalbestand zu rechtfertigen. So stiegen die Fulfillment-Kosten um 14 % auf 20,3 Milliarden Dollar und damit fast genauso stark wie im vorangegangenen Dreimonatszeitraum.
Bedingt durch diese widrigen Faktoren ist die AMZN-Aktie in diesem Jahr um mehr als 30 % gesunken und hat sich schlechter entwickelt als die Titel der großen Tech-Giganten wie Apple Inc (NASDAQ:AAPL) und Microsoft Corporation (NASDAQ:MSFT).
Licht am Ende des Tunnels
Diese Faktoren dürften das Unternehmen in diesem und vermutlich auch im nächsten Jahr belasten, dennoch gibt es keinen Grund für Anleger, die AMZN-Aktie abzuschreiben. Eine Flaute ist häufig die beste Zeit für innovative Unternehmen wie Amazon, um ihren Marktanteil weiter auszubauen.
Der Anteil von Amazon an den E-Commerce-Umsätzen in den USA stieg bis 2021 auf 40 % und ließ das Unternehmen zum am schnellsten wachsenden großen US-Einzelhändler in diesem Segment werden. Dieses Wachstum wird sich meines Erachtens nicht verlangsamen, vor allem, wenn man bedenkt, dass der E-Commerce-Umsatz in den USA nur 13,2 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes ausmacht und noch viel Wachstumspotenzial für den digitalen Handel besteht.
Die Anleger sollten auch beachten, dass sich die Geschäftstätigkeit von Amazon nicht nur auf den elektronischen Handel konzentriert. Die Geschäftsbereiche Cloud-Computing und Werbung verzeichnen weiterhin ein beeindruckendes Wachstum.
Der Umsatz von Amazon Web Services wuchs im zweiten Quartal um 33 %, während das Werbegeschäft, für das das Unternehmen seit kurzem Finanzdaten ausweist, im gleichen Zeitraum um 18 % wuchs. Nach Einschätzung der Synergy Research Group hat das Unternehmen jetzt einen Anteil von 34% an dem fast 55 Mrd. USD umfassenden Markt für Cloud-Infrastrukturdienste.
In Anbetracht der gesunden Bilanz, des hohen freien Cashflows und des stark diversifizierten Geschäftsmodells ist es nicht schwer zu erkennen, dass Amazon weiterhin in einer soliden Position ist, um dem derzeitigen unfreundlichen Konjunkturumfeld standzuhalten.
In einer Notiz hat JPMorgan Amazon vor der Veröffentlichung der Geschäftszahlen am Donnerstag erneut mit "Overweight" bewertet und erklärt, dass der Großkonzern "gut für langfristiges Wachstum positioniert" sei.
"Wir haben kürzlich unsere Schätzungen angesichts des zunehmenden Währungsdrucks und der Verlangsamung der diskretionären Ausgaben gesenkt. Dennoch bleiben wir zuversichtlich, dass AMZN das Umsatzwachstum wieder beschleunigen und die Gewinnmargen in 2023 ausweiten kann, hauptsächlich angetrieben durch Verbesserungen im Retail-Bereich und einem weiterhin soliden AWS-Wachstum."
Amazons führende Position in vielen Bereichen, in denen das Unternehmen tätig ist, ist der Hauptgrund dafür, dass die meisten Wall-Street-Analysten die Aktie auch weiterhin zum Kauf empfehlen. In einer Umfrage auf Investing.com unter 54 Analysten stufen 49 die Aktie als "Buy" mit einem Konsenziel ein, das einem Ertragspotenzial von 44 % entspricht.
Quelle: Investing.com
Natürlich hat es immer noch seinen Preis, wenn man Amazon ins Portfolio aufnehmen will, auch wenn die Aktie in diesem Jahr billiger geworden ist. Das Papier notiert zum 50-fachen des für die nächsten 12 Monate prognostizierten Gewinns. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Multiple des Nasdaq 100 ist etwa halb so hoch.
Dennoch hat sich die Wette auf dieses Unternehmen für langfristig orientierte Anleger als äußerst profitabel erwiesen, denn die Aktien von Amazon sind in den letzten zehn Jahren um rund 900 % gestiegen.
Fazit
Der Kurs der Amazon-Aktie könnte nach der heutigen Zahlenvorlage nochmals nachgeben. In Anbetracht der Dominanz im E-Commerce und des explosiven Wachstums im Cloud- und Werbegeschäft sollte dieser Dip aber kein Grund für Pessimismus in Bezug auf die Zukunft von Amazon sein.
Offenlegung: Der Autor besitzt Aktien von AMZN, MFST und APPL. Die in diesem Artikel dargelegten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des Verfassers wider und sind nicht als Anlageberatung zu verstehen.