Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Die Rallye an den Aktienmärkten mag ins Stocken geraten, aber es sieht so aus, als ob nichts den Rohstoff-Juggernaut im Jahr 2021 stoppen kann.
Seit Jahresbeginn ist Rohöl um 32% gestiegen. Die Goldman Sachs-Analysten äußerten letzte Woche die Erwartung, dass der Preis bis zum Jahresende die Marke von 80 Dollar wieder erreichen könnte, da insbesondere die Wiedereröffnung der US-amerikanischen und europäischen Wirtschaft die globale Nachfrage nach dem wichtigsten Industrierohstoff der Welt schneller ansteigen lässt, als es noch vor wenigen Monaten möglich erschien.
Auch die Industriemetalle feiern in diesem Jahr ein rauschendes Fest: Kupfer ist um 35% in die Höhe geschossen und wurde in London zum ersten Mal seit 2011 auf über 10.000 Dollar pro Tonne gehandelt. Aluminium liegt mit einem Plus von 23% auf dem höchsten Stand seit acht Jahren und zieht damit mit Nickel und Zink gleich, die ebenfalls auf Achtjahreshochs stehen.
Die Getreidehändler wollen sich das natürlich nicht entgehen lassen. Die US-Mais-Futures übersprangen am Dienstag zum ersten Mal seit acht Jahren die Marke von 7 Dollar pro Scheffel und liegen im bisherigen Jahresverlauf um mehr als 42% im Plus, ebenso wie die US-Sojabohnen. Der Agrarrohstoffkonzern Archer-Daniels-Midland (NYSE:ADM) sagte letzte Woche, dass sein "Ausblick heute sogar noch optimistischer ist als zu Jahresbeginn", dank "eindeutig positiver Nachfragetrends für viele unserer Produkte."
Doch den Platz an der Sonne - zumindest auf Jahressicht - sichert sich Holz. Der Preis für das Rückgrat des US-Häusermarktes ist um satte 83% explodiert und hat sich in den letzten zwölf Monaten mehr als verdreifacht. Laut der National Association of Home Builders hat sich der Preis für ein neues Haus in den letzten Monaten um über 36.000 Dollar erhöht.
"In den letzten Monaten hat sich die Rallye in allen drei Sektoren - Energie, Metalle und Landwirtschaft - zunehmend gleichlaufend entwickelt", so Ole Hansen, Leiter der Rohstoffstrategie bei der Saxo Bank, in seinem Ausblick für das zweite Quartal.
Angesichts der unzähligen Faktoren, die bei der Bildung der Rohstoffpreise eine Rolle spielen, stellt eine synchrone Rallye normalerweise ein Symptom dafür dar, dass etwas Großes im Gange ist. Und auch dieses Mal ist es nicht anders. Jede dieser Rallyes speist sich aus einer noch nie dagewesenen Liquiditätsflut. Gleichzeitig macht sich das Gefühl breit, dass das Geld - trotz aller Beteuerungen der Zentralbanker - als Folge daraus immer mehr an Wert verliert. Oder anders ausgedrückt: Ein Teil der Rallye geht auf die Angst vor einer inflationären Entwicklung zurück. Es ist kein Zufall, dass der Dollar, gemessen an einem Korb aus Währungen der Industrieländer, seit Jahresbeginn über 4% verloren hat.
Hansen benennt einen weiteren Faktor, der für die Rallye verantwortlich ist: Jahrelange Unterinvestitionen führen zu Angebotsengpässen, die im Zusammenspiel mit einer nachhaltig steigenden Nachfrage zu "Superzyklen" wie demjenigen führen können, der zum Crash 2008 führte. Dies gilt ganz besonders für Industriemetalle, wo die hohen Kosten für die Erschließung neuer Projekte die Minengesellschaften dazu veranlassen, solche Projekte so lange wie möglich aufzuschieben.
Aber auch andere Megatrends machen sich bemerkbar: Die Elektrifizierung der Mobilität hat die strukturelle Nachfrage nach Batterie- und Verdrahtungsmetallen wie Kupfer und Nickel in die Höhe getrieben. Und die Pandemie lässt die Menschen unwiderruflich von zu Hause aus arbeiten und erhöht dauerhaft die Lust am Wohnen in Vororten statt in dicht besiedelten Gebieten. Die Folge dieser Entwicklung ist ein gewaltiger Bauboom in den USA. Immer mehr Menschen suchen nach Wohnraum in den Vorstädten. Das hat zu einem akuten Mangel an Bauholz geführt.
Doch es gibt auch gute Gründe, die dafür sprechen, dass der neue Superzyklus noch gar nicht richtig ins Rollen gekommen ist. Viele Märkte werden heute durch temporäre Faktoren in die Höhe getrieben und durch ein historisch unberechenbares Spekulationsinteresse zusätzlich befeuert.
Die hohen Getreidepreise resultieren größtenteils aus mehrerer Wetterfaktoren, die die USA, Russland und Brasilien gleichzeitig getroffen haben. Der Preis für Palladium, der letzte Woche zum ersten Mal die Marke von 3.000 Dollar pro Unze überstieg, profitiert zwar grundsätzlich durch neue chinesische Vorschriften zu Lkw-Emissionen in diesem Jahr, aber es fehlt auch das Angebot von Russlands Norilsk Nickel, dem weltweit größten Produzenten, der wegen einer Überschwemmung in seiner größten Mine seine Produktionsprognosen anpassen musste. Bis zu diesem Zwischenfall hatte der Metallspezialist Johnson Matthey (LON:JMAT) den weltweiten Palladiummarkt in diesem Jahr weitgehend im Gleichgewicht gesehen.
Rohöl genießt derweil immer noch die massive und künstlich etablierte Unterstützung eines Abkommens zwischen der OPEC und Russland, das 6 Millionen Barrel täglich vom Ölmarkt fernhält. Es gibt zwar allen Grund zu der Annahme, dass die Nachfrage zu gegebener Zeit wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurückkehren wird, insbesondere wenn sich der kommerzielle Flugverkehr erholt, doch ist es ein Prozess, der sorgfältig gesteuert werden muss, um die Nachfrage wieder zu erhöhen, ohne weitere Schieferbohrungen in den USA zu fördern.
Und schließlich - und das ist das Wichtigste - wird auch die Ära des billigen Geldes eines Tages sicher zu Ende gehen, auch wenn der genaue Zeitpunkt, wann dies der Fall sind wird, heute noch nicht absehbar ist. Bis dahin ist es allerdings nur schwer vorstellbar, dass irgendetwas die Rallye bei den Rohstoffen stoppen kann.