von Robert Zach
Investing.com - Der Goldpreis präsentiert sich seit Ende September im Bereich um 1.900 Dollar äußerst lethargisch und weist dabei eine recht geringe Schwankungsbreite auf. Eine klare Richtung scheint das Edelmetall wohl erst nach den Wahlen und der Ankündigung eines Stimulus-Pakets zu finden, denn der Wiederanstieg der Corona-Neuinfektionszahlen haucht Gold derzeit kein neues Leben ein. Mit Ausschlägen auf der Ober- und Unterseite ist aber jederzeit zu rechnen, insbesondere im Run-up der Wahlen.
Doch die Millionenfrage lautet: "Wann werden sich die Metalle endlich wieder wie Metalle verhalten", fragte sich Bob Haberkorn, Senior Commodities beim Broker RJO Futures.
Der Goldpreis markierte am Donnerstag mit 1.859 Dollar ein neues Vierwochentief. Tiefer ging es vorerst nicht mehr, denn den Bären fehlte es dann doch an Durchsetzungsvermögen. In der Folge erholte sich das gelbe Metall am Freitag auf 1.890 Dollar zurück, wo die Glättung der letzten 100 Tage den Erholungsimpuls abwürgte. Zuletzt notierte der zur Dezember-Lieferung an der COMEX gehandelte Gold-Future 8,40 Dollar oder 0,46 Prozent (16.32 Uhr) im Plus. Angesichts des Hin und Hers gilt es den Fokus vorerst auf übergeordnete Kursmarken zu richten: 1.935/1.985 Dollar auf der Oberseite und 1.835/1.770 Dollar auf der Unterseite.
"Wir sehen derzeit einen Anstieg der Coronavirus-Neuinfektionen, die Aktienkurse stehen tiefer und der Dollar ist gestiegen. Die Märkte hatten mit einem Stimulus-Deal gerechnet, aber bis zur Wahl wird es wohl keinen Stimulus mehr geben", so Haberkorn am Mittwoch gegenüber Kitco News.
Sollte sich der Ausverkauf so kurz vor der Präsidentschaftswahl erneut intensivieren, werde Gold wohl zunächst 1.850 Dollar und dann 1.825 Dollar anlaufen, prognostiziert Haberkorn.
"Wir könnten den Bereich um 1.825 Dollar sehen. Sollten mehr Shutdown-Ankündigungen wegen des Coronavirus kommen, droht den Börsen wohl noch ein weiterer Rutsch, was wiederum Gold und Silber vor der Wahl wahrscheinlich nach unten reißt", sagte er.
Noch vor zwei Wochen waren sich die Märkte fast sicher, dass die Demokraten die Wahlen gewinnen würden. Mittlerweile scheint sich die Gemengelage allerdings etwas komplizierter zu gestalten.
"Wenn Sie mich vor zwei Wochen gefragt hätten, wer die Wahl gewinnt, hätte ich gesagt: Biden. Wenn Sie mich heute danach fragen, dann glaube ich langsam, dass Trump am Ende den Karren auf der Grundlage aktueller Daten doch noch aus dem Dreck ziehen kann. Trump könnte also noch gewinnen, was zu einer kräftigen Rallye an den Aktienmärkten in dieser Nacht und dann zu einem deutlichen Anstieg der Gold- und Silbernotierungen zusammen mit den Börsen führen würde. Der Grund: die Hoffnung auf ein Konjunkturpaket", erklärte Haberkorn.
Falls Biden das Rennen um das Weiße Haus gewinnt, sollten die Metalle, einschließlich Gold, sogar noch stärker zulegen können, schließlich dürfte der Stimulus der Demokraten umfangreicher ausfallen als der von Trump, fügte er hinzu. "Sobald wir die Wahlen in der nächsten Woche hinter uns gebracht haben, sollten wir eine Rallye der Edelmetalle sehen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass dann bald ein Konjunkturpaket zustande kommt, wird um so größer sein".
Was Investoren nächste Woche brauchen, ist, dass sich Gold allmählich wieder wie Gold verhält - indem es Sicherheit bietet. Derzeit gilt jedoch der US-Dollar als sicherer Hafen der Geldanlage.
"Metalle müssen endlich damit anfangen, sich wieder wie Metalle zu verhalten. Sie korrelieren so eng mit Aktien, und das geht so, seit das Coronavirus zugeschlagen hat. Wenn die Aktienkurse fallen, fallen auch die Metalle. Und das Problem im Moment ist, dass derselbe Grund, warum Metalle steigen, auch der Grund ist, warum die Aktienkurse steigen - staatliche Impulse und Gelddrucken", sagte er. "Das ist also die Millionen-Dollar-Frage: Wann fangen Metalle an, sich wie Metalle zu verhalten?"
Die Entkopplung des Goldpreises von den Aktienkursen könnte unmittelbar nach den Wahlen einsetzen, meinte Haberkorn.
"Wir werden an den Punkt kommen, an dem der Markt genug von Stimuli und Notenbank-Rettungsaktionen hat, dann werden die Metalle im Jahr 2021 ein großartiges Jahr erleben", erklärte er. "Wenn Biden gewinnt, kommt es zu einem Ausverkauf am Aktienmarkt, und dann werden wir wahrscheinlich die Entkoppelung des Gold- und Silberpreises sehen, weil die Erwartung an einen viel größeren Stimulus ein starkes Argument für eine Rallye bei Gold und Silber wäre".
Unter Berücksichtigung aller makroökonomischen Einflussfaktoren sollten Gold und Silber höher stehen als gegenwärtig, insbesondere wenn man all das Gelddrucken und die Funktion der Metalle als Wertspeicher berücksichtigt, fügte Haberkorn hinzu. "Das Beste, was ich im Laufe des Jahres gehört habe, ist, dass die Federal Reserve nicht mehr Gold oder Silber schaffen kann. Aber sie kann Dollars erschaffen".
Ähnlich hatte sich jüngst Blue Line Futures-Chefanalyst Phil Streible in einem Kitco-Interview geäußert: "Die US-Notenbank hält die Zinssätze nahe Null, sie macht bis 2021 alles, was nötig ist, und wir werden diesen Stimulus sehen, und dann wächst die Bilanz weiter, und Gold und Silber heben wieder ab", sagte er.
Auf lange Sicht stelle die jüngste Korrektur daher eine gute Kaufgelegenheit dar, so Streible.
"Man muss diese Pullbacks nutzen, um Positionen auszubauen. Seien Sie kein Konsens-Händler, jagen Sie nicht den Höchstständen nach, sondern kaufen Sie die Korrekturen, wie wir sie heute sehen", sagte er. "Viele Leute sehen rot, ich sehe darin eine großartige Gelegenheit."
Der US-Dollar-Index hält sich derweil stabil in der Nähe seiner Dreiwochenhochs. Der sichere Hafen profitierte in den zurückliegenden Tagen von den zunehmenden Corona-Neuinfektionszahlen, die in Deutschland und Frankreich partielle Lockdowns zur Bekämpfung der zweiten Virus-Welle ausgelöst haben.
Unterstützung lieferte dem Dollar auch die gestrige EZB-Sitzung. Zwar beließ die Zentralbank ihre Leitzinsen unverändert, hat aber die Tür für neue Nothilfen weit aufgestoßen. Die Stäbe der EZB arbeiten bereits daran, wie die Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung im Dezember ihre Instrumente anpassen kann, um auf die Entwicklungen zu reagieren, meinte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf ihrer Pressekonferenz.
Ob der Dollar-Index jedoch bereits eine nachhaltige Trendwende vollzogen hat, oder ob es sich dabei lediglich um ein Strohfeuer handelt, muss sich noch zeigen. Stephan Bogner, Analyst bei Rockstone Research, meinte jedenfalls in einer Kolumne auf Investing.com, dass der USD-Index bei einem Unterschreiten der aktuellen Unterstützung bei 92 Punkten einen "starken Abwärtstrend" einleiten könnte, "was stark steigende Gold- und Silberpreise mit sich bringen sollte."
Analysten von Standard Chartered (LON:STAN) gehen davon aus, dass der USD in den nächsten 6 bis 12 Monaten um gut 6 Prozent abwerten wird. Die Gründe dafür lauten: globale Wachstumserholung, eine Verringerung der realen Zinsdifferentiale sowie einer erneuten Konzentration auf den US-Zwillingshaushalt und das Leistungsbilanzdefizit.
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