Von Robert Zach
Investing.com - Die später auslaufenden Mai-Terminkontrakte auf die US-Ölsorte West Texas Intermediate (WTI) erleben einen Ausverkauf von historischen Dimensionen. Mit einem Minus von mehr als 120 Prozent droht dem Frontkontrakt für das schwarze Gold sein bisher größter Ein-Tages-Verlust der Geschichte. Ein Fass US-Leichtöl sank erstmals in der Geschichte unter 0 Dollar. Auslöser für den Ausverkauf an den Ölmärkten war erneut das Überangebot an Öl auf dem Weltmarkt sowie das Fehlen der dafür notwendigen Speicherkapazität, da die Flut an Öl auf eine Nachfrage trifft, die wegen der Coronavirus-Pandemie am Boden liegt.
Ein Fass der US-Ölsorte zur Lieferung im Mai kollabierte mehr als 120 Prozent auf -3,70 Dollar je Barrel (Stand 20.16 Uhr). Der Mai-Kontrakt läuft später ab. Es wäre der größte Ein-Tages-Verlust seit Beginn der Datenaufzeichnung 1983.
Der massive Rückgang resultiert zum einen aus Glattstellungen der noch offenen Longpositionen einiger Händler, um eine physische Lieferung zu vermeiden.
"Das Öl-Massaker... ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Händler ihre Kontrakte in den Juni rollen, weil alle eine Lieferung vermeiden wollen, da die Lagerkapazität fast erreicht ist", sagte Edward Moya, Marktanalyst beim Finanzdienstleister Oanda, in einer Notiz.
Der jetzt maßgebliche Juni-Kontrakt der US-Sorte West Texas Intermediate verliert zur Stunde knapp 18 Prozent auf 20,38 Dollar je Barrel (Stand 20.30 Uhr). Die Nordseesorte Brent zur Juni-Lieferung verbilligte sich um 7 Prozent auf 26,16 Dollar je Barrel.
Die massive Preisdifferenz zwischen dem Mai- und dem Juni-Terminkontrakt spiegelt "all die pessimistischen Angebots- und Nachfragefaktoren wider, die zuletzt zu beobachten waren", sagte er.
"Während wir wahrscheinlich die Voraussetzungen für ein markantes Tief beim Ölpreis schaffen, spielt das für den Mai-Terminkontrakt keine Rolle mehr", sagte Phil Flynn, Marktanalyst bei der Price Futures Group, in einer Notiz. "Nicht nur, dass die Nachfrage zum Erliegen gekommen ist, die Auswirkungen der Öl-Förderkürzungen durch die Opec+ werden auch nicht mehr rechtzeitig vor der Mai-Lieferung greifen".
Die Staatengruppe versprach Anfang April zehn Millionen Barrel täglich für Mai und Juni weniger zu fördern - das entspricht rund zehn Prozent der weltweiten täglichen Rohölproduktion.
Laut der Internationalen Energieagentur dürfte die Nachfrage jedoch im April im Vergleich zum Vorjahr allein um 29 Millionen Barrel täglich zurückgehen. Hinzu kommt, dass die Öllager auf der ganzen Welt gut gefüllt sind, so dass Öl bald nicht mehr für später eingelagert werden kann, was die Nachfrage zusätzlich dämpft. Gleichzeitig wird immer mehr Erdöl auf Tankern auf hoher See gebunkert. Weltweit lagern die Tanker schätzungsweise 160 Millionen Barrel, doppelt so viel wie noch vor zwei Wochen, wie Reuters unter Berufung auf Insider berichtete.
"Die Terminkurven zeigen, dass wir im Moment ein großes Problem in Sachen Öllagerung haben", sagte Bjarne Schieldrop, Rohstoffökonom bei SEB, gegenüber CNBC.
In der zweiten Jahreshälfte dürfte das Problem der Lagerkapazität "rasch von der Bildfläche verschwinden", da die Ölnachfrage voraussichtlich stark anziehen wird, während die Lagerbestände stark zurückgehen werden. "Aus diesem Grund hält sich der durchschnittliche Ölpreis der Sorte Brent für 2021 mit 40 Dollar pro Barrel recht stabil", fügte Schieldrop hinzu.
Der Ausverkauf am Ölmarkt belastet am Montag auch die Energiewerte im S&P 500. Der Sektor ETF Energy Select (NYSE:XLE) verliert mehr als 1,6 Prozent auf 33,42 Dollar. Die Aktien von Exxon Mobil (NYSE:XOM) verbilligten sich um 2,92 Prozent und Chevron (NYSE:CVX) verloren 2,17 Prozent. Die Wertpapiere von ConocoPhillips (NYSE:COP) holten einen Teil ihrer Verluste auf und wiesen zuletzt nur noch ein Minus von 0,68 Prozent auf.
Capital Economics glaubt, dass die Ölpreise aufgrund der Coronavirus-Krise kurzfristig nicht viel verlorenes Terrain zurückerobern werden, solange der größte Teil der Weltwirtschaft weiterhin brach liegt. "Aber unter der Voraussetzung, dass sich die Aktivität in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 erholt, sobald das Virus unter Kontrolle gebracht wurde, erwarten wir, dass sich sowohl Brent als auch WTI auf 45 Dollar pro Barrel erholen könnten", schrieb Oliver Allen in einer Notiz.
Hoffnung auf eine Wende zum Besseren macht auch die Tatsache, dass die Zahl der aktiven US-Ölbohrungen, die regelmäßig vom US-Dienstleister Baker Hughes erhoben wird, deutlich zurückgeht. Sie sank 66 auf 438 aktive Ölbohrungen in den USA. Dies war der größte wöchentliche Rückgang seit Februar 2015. Die Gesamtzahl der aktiven US-Ölbohranlagen ist im letzten Monat um mehr als 35 Prozent zurückgegangen, was die Auswirkungen des derzeit niedrigen Ölpreises auf die Bohraktivitäten verdeutlicht. "Diese Verlangsamung wird sich in den kommenden Monaten in einer geringeren Produktion niederschlagen", so die ING in einer Notiz.
Morgen gehen die Blicke auf die Railroad Commission of Texas, die die Öl- und Gasindustrie in dem Bundesstaat reguliert. Es gibt Spekulationen, wonach die Kommission die Produktion in Texas begrenzen könnte. Auch Saudi-Arabien und Russland betonten zuletzt ihre Bereitschaft zu weiteren Förderkürzungen, falls nötig.
Hinweis: Hier geht es zur Seite mit den Rohstoff-Future-Kursen, hier zum Ölpreis-Chart, hier zur technischen Ölpreis-Übersichtsseite und hier zu den Ölpreis-Einzelkontrakten. Alle Energiepreise in der Übersicht gibt es hier. In unserem Ölpreis-Forum können Sie Meinungen, Gedanken und Wissen austauschen. Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse des Tages finden Sie in unserem Wirtschaftskalender.