Von Scott Kanowsky
Investing.com -- Die Inflation in der Türkei ist im August sprunghaft angestiegen. Sie erreichte den höchsten Jahreswert in den fast zwei Jahrzehnten, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der Spitze des Landes steht.
Die Verbraucherpreise stiegen um 80,21 %, nach 79,60 % im Vormonat. Analysten hatten mit einer Jahresteuerung von 81,22 % gerechnet. Laut den Analysten der ING (AS:INGA) waren vor allem steigende Mieten, höhere Versorgungskosten und der Wertverlust der Lira für den Preisanstieg verantwortlich
Trotz der hohen Jahresrate zeigte die Inflation weitere Anzeichen einer Verlangsamung: Der Verbraucherpreisindex stieg nur noch um 1,46 % auf Monatsbasis und damit so gering wie noch nie in diesem Jahr. Im Juli betrug die Zuwachsrate noch 2,37 %, nach 4,95 % im Juni.
Regierungsbeamte in der Türkei gehen davon aus, dass sich die Inflation in den nächsten zwei Jahren weiter abschwächen wird. Der türkische Finanzminister sagte am Wochenende gar voraus, dass das jährliche Preiswachstum bis 2023 auf bis zu 25 % zurückgehen wird.
Nach Einschätzung der ING-Analysten dürfte die Teuerung im Oktober mit über 85 % ihren Höchststand erreichen, bevor sie bis zum Jahresende auf unter 70 % zurückgeht.
"Angesichts der Verschlechterung der Preispolitik, der höheren Trendinflation und der Währungsschwankungen bestehen jedoch Aufwärtsrisiken", schrieben die ING-Experten in einer Notiz und fügten hinzu, dass die Verlangsamung der Inlandsnachfrage in der zweiten Jahreshälfte 2022 einen gewissen Aufwärtsdruck auf die Preise begrenzen könnte.
Trotz des Inflationsschubs senkte die türkische Zentralbank ihren Leitzins im August um einen ganzen Prozentpunkt, der im vergangenen Jahr noch konstant gehalten worden war. Viele Ökonomen waren erstaunt über diese Entscheidung. Timothy Ash, ein Berater von Chatham House, bezeichnete sie gar als "verrückt".
Die Bank begründete ihr Vorgehen mit einer erwarteten Wachstumsverlangsamung im laufenden Quartal und der Erwartung, dass nach dem durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine ausgelösten Preisanstieg im Frühjahr bald ein Disinflationsprozess einsetzen wird.
Beobachter zweifeln jedoch an der Neutralität der Zentralbank. Erdoğan, der ein Jahrzehnt lang eine unorthodoxe und oft erratische makroökonomische Politik verfolgt hat, setzte seinen letzten Zentralbankgouverneur ab, weil er seiner konjunkturfördernden Politik nicht entgegenkam und die Zinssätze zu hoch hielt, als die Auswirkungen der Währungskrise 2018 nachließen.
Erdoğan hat sich stattdessen dafür eingesetzt, die Kreditkosten auf dem real niedrigsten Niveau der Welt zu halten, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Er bezeichnete Zinsen als "die Mutter allen Übels".