- von Francesco Guarascio und Giuseppe Fonte
Brüssel/Rom (Reuters) - Die EU-Kommission und Italien haben nach wochenlangem Gezerre ihren Defizitstreit beigelegt.
Die Regierung in Rom sagte zu, ihre Neuverschuldung im kommenden Jahr von bislang geplanten 2,4 auf 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren. Damit umgeht sie ein Defizitverfahren durch die Brüsseler Behörde, das in letzter Konsequenz zu milliardenschweren Strafen führen könnte. Die Finanzmärkte reagierten am Mittwoch erleichtert auf den Kompromiss: Die Risikoaufschläge für italiensche Staatsanleihen sanken, die Aktienkurse an der Mailänder Börse legten zu.
"Die auf dem Tisch liegende Lösung ist nicht ideal", räumte EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis ein. "Sie bietet noch keine langfristige Lösung für die wirtschaftlichen Probleme in Italien. Aber damit können wir ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits zu diesem Zeitpunkt vermeiden." Auch Ministerpräsident Giuseppe Conte zeigte sich zufrieden. "Am Ende zäher Verhandlungen, die mit Beharrlichkeit geführt wurden, haben wir einen nachhaltigen Ausgleich geschafft", sagte er im Senat. Bundesfinanzminister Olaf Scholz nannte die Einigung "ein gutes Zeichen".
Die Regierung in Rom versprach, die Neuverschuldung in den kommenden Jahren schrittweise zurückzufahren - bis auf 1,5 Prozent im Jahr 2021. Zugleich rechnet sie für 2019 nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,0 Prozent. Bislang war sie von 1,5 Prozent ausgegangen, was viele Experten für unrealistisch hielten. Sollte sich Rom nicht vollständig an die vereinbarte Lösung halten, könnte sie schon im Januar wieder aufgehoben werden, drohte Dombrovskis. Auch ein Defizitverfahren sei dann möglich.
TEURE VERSPRECHEN
Das hoch verschuldete Land hatte ursprünglich für kommendes Jahr ein Defizit von 2,4 Prozent geplant - dreimal so viel wie ihre Vorgängerregierung. Die Brüsseler Behörde lehnte das als Verstoß gegen die EU-Regeln ab. Die Koalition in Italien aus rechter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung will teure Wahlversprechen finanzieren, vor allem ein Grundeinkommen und ein niedrigeres Renteneintrittsalter.
Alle wichtigen Ziele könnten durchgesetzt werden, sagte Conte. Allerdings habe seine Regierung zugesagt, den Haushalt um gut zehn Milliarden Euro zu entlasten, um das neue Defizit-Ziel zu erreichen. Gelingen solle dies unter anderem durch Einsparungen und zusätzliche Steuereinnahmen. So sei eine neue Steuer für multinationale Internet-Konzerne vorgesehen.
Der Ministerpräsident hofft, durch höhere Investitionen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Allerdings willigte seine Regierung laut EU-Kreisen nun ein, im kommenden Jahr mehr als vier Milliarden Euro weniger zu investieren als geplant. Aufgefangen werden solle das zum Teil über Fördermittel aus den EU-Strukturfonds. Contes Stellvertreter von der rechten Lega, Innenminister Matteo Salvini, sagte, die Vereinbarung mit der EU werde nicht zu rückläufigen Investitionen zwischen 2019 und 2021 führen. Er betonte, Italien werde keine Kürzungen im EU-Etat bei den Ausgaben für Fischerei und Landwirtschaft akzeptieren.
HEIKLES WAHLJAHR
Für Unverständnis sorgte in Italien, dass Frankreich wegen der Zugeständnisse an die "Gelbwesten"-Bewegung im kommenden Jahr ein deutlich höheres Defizit erwartet - voraussichtlich sollen es 3,2 Prozent werden, während die EU-Obergrenze bei drei Prozent liegt. Salvini forderte deshalb, dass die EU beide Länder gleich behandeln müsse. Er sei es leid, dass beim Haushalt mit "zweierlei Maß" gemessen werde. Allerdings ist der Schuldenberg in Italien deutlich höher: Er summiert sich inzwischen auf rund 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. In der Euro-Zone kommt nur Griechenland auf einen schlechteren Wert. Bei Frankreich sind es rund 100 Prozent.
Auf den Kompromiss zwischen Brüssel und Rom reagierte die Börse erleichtert. Allerdings zeigten sich einige Analysten skeptisch, wie nachhaltig die Entspannung sein wird. Der Mailänder Aktienindex legte bis zum Handelsschluss knapp 1,6 Prozent zu. Der Bankenindex zog um 2,1 Prozent an. "Es ist klar, dass die Europäische Kommission keine harten Konfrontationen mit der italienischen Regierung will - nächstes Jahr ist schließlich ein heikles Wahljahr", sagte Analyst Sergio Capaldi von Intesa Sanpaolo (MI:ISP) mit Blick auf die EU-Parlamentswahl im kommenden Mai. Es wird befürchtet, dass ein ungelöster Defizitstreit die radikalen Kräfte stärken könnte.