- von Peter Maushagen
Brüssel (Reuters) - Ein Jahr vor dem offiziellen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) wissen Politiker auf beiden Seiten des Ärmelkanals immer noch nicht, was die Zukunft bringt.
Denn trotz zahlreicher Verhandlungsmarathons und einer de-facto-Verlängerung der EU-Mitgliedschaft für die Briten steht den Unterhändlern die größte Hürde noch bevor. Sie müssen einen Handelsvertrag unter Dach und Fach bekommen und insgesamt in Vertragstexte gießen, wie man nach dem Goodbye der Briten zu Europa zusammenleben will.
Und da haben beide Seiten konträre Vorstellungen: Die britische Premierministerin Theresa May fordert einen maßgeschneiderten Handels-Deal, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Die Kommission hingegen, die die Verhandlungen für die gesamte EU führt, stellt May lediglich Handelsverträge in Aussicht, wie man sie mit Drittstaaten wie Kanada abgeschlossen hat. Da wäre aber die auf der Insel starke Dienstleistungsbranche weitgehend ausgeklammert.
DIPLOMAT - ES GEHT NICHT UM LONDON, SONDERN UM EINHEIT
Die Positionen in Übereinstimmung zu bringen, ist nicht einfach. Zumal das Vereinigte Königreich am liebsten beides hätte: Keine EU-Mitgliedschaft mehr und damit keine Regeln aus Brüssel oder Urteile vom Luxemburger Gerichtshof, die man einhalten müsste. Gleichzeitig träumt London vom ungehinderten Zugang zum Kronjuwel der EU, dem Binnenmarkt mit 500 Millionen Verbrauchern. Da dies illusorisch ist, hofft May wenigstens auf Zutritt zu einzelnen Wirtschaftssektoren wie etwa den Banken.
Die EU-Staatenlenker wiesen solch ein "Rosinenpicken" auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag von sich. Das Herausgreifen von einzelnen Bereichen sei unmöglich, sagt der französische Präsident Emmanuel Macron. "Wenn man den Binnenmarkt verlässt, ist man komplett draußen." Warnende Worte enthält auch das Schlussdokument des Treffens. Ohne Binnenmarkt und Zollunion werde der Handel unweigerlich leiden, hieß es. "Dies wird leider negative wirtschaftliche Folgen haben, insbesondere im Vereinigten Königreich."
Einem EU-Diplomaten zufolge steht hinter der harten Haltung der Brüsseler Behörde die Sorge um die Einheit der EU. Es sei wichtig, allen zu zeigen, dass ein Drittstaat niemals so gut gestellt sein könne wie ein Unionsmitglied. Auf dem Gipfel verabschiedeten die EU-Regierungen zudem die Leitlinien für die bald anstehenden Verhandlungen. Bis zum Herbst muss der Deal stehen.
IRISCHE FRAGE
Einen Erfolg konnte May bei dem Treffen in Brüssel zumindest vorweisen. Die anderen 27 EU-Staat besiegelten die Brexit-Übergangsperiode. Die Verlängerung dauert vom EU-Ausstieg Großbritanniens im März 2019 bis Ende 2020. In der Zeit muss das Königreich sich an EU-Regeln halten, verbleibt aber im Binnenmarkt. Offen bleibt aber weiter, wie man nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermeiden will. Hier dringt die Regierung in Dublin darauf, notfalls festzuschreiben, dass der Norden der Insel sich auch nach dem Brexit an EU-Regeln halten muss, falls keine bessere Lösung gefunden wird.
Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar unterstrich die Position. Er werde die Brexit-Einigung blockieren, falls keine zufriedenstellende Lösung für die irische Grenze gefunden werde, sagte er. Die EU stellt sich in der Sache hinter Irland.