Investing.com – Inmitten der jüngsten wirtschaftlichen Turbulenzen entzündet sich eine scharfe Debatte über die Rolle und Effektivität der Federal Reserve (Fed), angeführt vom Fed-Vorsitzenden Jerome Powell. Michael Every von der Rabobank beschreibt in seiner prägnanten Analyse die aktuelle Politik der Fed als hochgradig problematisch und fehlgeleitet.
Es steht die Frage im Raum: Handelt Powell wirklich im Besten Interesse der US-Wirtschaft, oder ist er durch eigene Irrtümer und ideologische Scheuklappen gefangen?
Die "Transitory"-Fehlerkette
Every hebt in seiner Analyse die Rede Powells in Jackson Hole hervor, in der der Fed-Vorsitzende versuchte, die falsche Diagnose der "vorübergehenden Inflation" zu relativieren und die Schuld auf andere Ökonomen abzuwälzen.
Powell erklärte: „Das Transitory-Schiff war gut gefüllt. Mit an Bord waren die meisten Mainstream-Analysten und Zentralbanken der fortgeschrittenen Volkswirtschaften.“
Michael Every sieht dies als einen klaren Fall der Schuldverschiebung und betont, dass es für die weltweit führende Zentralbank völlig unangemessen sei, solche Fehler zu begehen. Selbst die niederländische Zentralbank verwies auf die bevorstehende Inflationsblindheit der Fed, bemerkt Every scharfzüngig.
Selbstgefälligkeit mitten in der Krise
Every kritisiert auch Powells Selbstzufriedenheit hinsichtlich der angeblichen Erfolge der Fed. Powell stellte in seiner Rede fest, dass die Fed die Inflation gesenkt habe, während der Arbeitsmarkt stark geblieben sei.
Michael Every bezeichnet dies als voreilig und verweist darauf, dass die Arbeitslosenquote so schnell steige, dass selbst die Sahm-Regel bereits ausgelöst worden sei. Anstatt Demut zu zeigen, habe Powell sich selbst auf die Schulter geklopft.
Havel und die "Macht der Machtlosen"
In einer brillanten Analogie vergleicht Michael Every die Fed-Politik mit der berühmten Schrift des tschechoslowakischen Dissidenten Václav Havel, „Die Macht der Machtlosen“.
Havel beschrieb, wie ein allgegenwärtiges "post-totalitäres" System die Realität verfälscht und seine eigene Ideologie aufrechterhält. Every argumentiert, dass die Fed in einer ähnlichen Situation gefangen sei, unfähig, ihre eigenen Fehler zu erkennen oder zu korrigieren. Denn es droht an verschiedensten Stellen erheblicher Gegenwind.
Michael Every betont, dass die Lohn- und Gehaltsabrechnungen im August eine entscheidende Rolle spielen. Ein schwacher Wert könnte laut Every dazu führen, dass die Märkte eine Zinssenkung der Fed um 50 Basispunkte im September einpreisen, was jedoch gleichzeitig Bedenken hinsichtlich der Unternehmensgewinne wecken würde. Die viel spannendere Frage ist jedoch, was passieren würde, wenn die Daten unerwartet stark ausfallen.
Every verweist auch darauf, dass Fed-Chef Powell in seiner Rede die Deflation und den Merkantilismus Chinas außer Acht gelassen habe. Diese Faktoren tragen aber dazu bei, dass der Rückgang der US-Inflation als „vorübergehend“ einzustufen ist. Würde Peking zeitgleich mit den Zinssenkungen der Fed Konjunkturmaßnahmen einleiten, würde dies den Druck auf den chinesischen Yuan (CNY) lindern. Es gäbe sogar Gerüchte über einen möglichen Kapitalzufluss von einer Billion Dollar nach China, was die globalen Rohstoffpreise in die Höhe treiben würde.
Laut Every haben zudem die hohen Fed-Zinsen und ein starker Dollar die Rohstoffpreise im Zaum gehalten. Dennoch sei der WTI-Ölpreis am Freitag um 2,5 % und am Montag um weitere 3,0 % gestiegen. Er fragte, ob dies ein Zufall, eine Warnung oder beides sei.
Massive neue Liquidität, die in das globale Finanzsystem fließe, würde laut Every zu einer Vermögenspreisinflation führen, was zunächst erfreulich erscheine. Jedoch würde dies politische Probleme schaffen, da die Macht- und Besitzlosen unruhig werden könnten.
Zudem würde ein Wahlsieg Trumps zu Zöllen und Steuersenkungen führen, was die Inflation ankurbelt. Er bemerkte, dass westliche Wähler mit hoher Einwanderung unzufrieden seien, doch ohne diese ist ein Anstieg der Löhne unvermeidlich.
Er verwies auch auf die Huthis, die einen Öltanker angegriffen hätten, was zeige, dass der Suezkanal als globaler Handelsweg weiterhin unbrauchbar ist. Israel und die Hisbollah sind einem Krieg näher gekommen, bevor letztere nachgegeben haben. Libyen hat Ölexporte gestoppt, und Russland hat mehr Schäden an Raffinerien erlitten. Kanada habe 100 % Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge und Stahl erhoben, während China Zölle auf EU-Autos erwäge. Chinas Kontrolle und das Horten seltener Erden würden die Preise für wichtige Komponenten von Siliziumchips in die Höhe treiben.
Auf der negativen Seite habe das IFO-Institut gewarnt, dass die deutsche Wirtschaft vor den Regionalwahlen im September in eine „Krise“ abrutschen könne, was das Land unregierbar erscheinen lassen dürfte. Frankreich habe keine Regierung, und Präsident Macron werde eine linksgerichtete nicht zulassen. Der neue britische Premierminister habe erklärt, dass „die Dinge schlechter werden, bevor sie besser werden“, während die Medien berichteten, dass gewalttätige Straftäter aus dem Gefängnis entlassen würden, wenn sie „Entschuldigung“ sagten.
Every hat auch angemerkt, dass Zentralbanken, die vor Powell großzügig Zinsen gesenkt hätten (wie die BOC, RBNZ, und EZB), bereits Zuwächse ihrer Währungen gegenüber dem Dollar gesehen hätten, anstatt einem Rückgang. Dies wirft die Frage auf, ob sie mit einem zusätzlichen Deflationsdruck durch Wechselkurse zufrieden sind oder sich Sorgen um die Exportrückgänge machen, falls das globale Wachstum ins Stocken gerät.
Markterwartungen und Realitätsverzerrung
Every weist darauf hin, dass viele Marktteilnehmer an Zinssenkungen festhalten – ein Wunschdenken, das die tatsächliche wirtschaftliche Lage ignoriert. Er erinnert daran, dass in Zeiten hoher Inflation und sinkenden Arbeitsmarktzahlen Zinssenkungen nicht das Allheilmittel sind. Indem sie eine verzerrte ideologische Realität aufrechterhält, könnte die Fed weitreichende wirtschaftliche Schäden verursachen.
Globale Risiken und die Grenzen der Fed
Michael Every benennt zusätzlich eine Vielzahl globaler Risiken, die auf die Wirtschaft zukommen dürften – von geopolitischen Spannungen über Rohstoffpreissteigerungen bis hin zu Wechselkursfluktuationen. Er ist sehr skeptisch, dass die Fed, selbst mit ihrer geballten Expertise, diesen Herausforderungen allein gewachsen ist.
Fazit: Eine scharfe Warnung
Michael Every von der Rabobank lässt keinen Zweifel daran: Die Federal Reserve und Jerome Powell müssen ihre arrogante Haltung aufgeben und sich den Realitäten stellen. Die lang anhaltende Beschwichtigungspolitik und die Hoffnung auf baldige Zinssenkungen könnten nicht nur die Fed selbst, sondern das gesamte globale Wirtschaftssystem in Gefahr bringen. Wie Havel es ausdrückte: „Unsere Systeme haben eine natürliche Tendenz, sich von der Realität zu lösen.“ Es ist an der Zeit, dass die Fed diesen Kreislauf durchbricht – bevor es zu spät ist.