MÜNCHEN/PARIS (dpa-AFX) - Engpässe bei Rohmaterial und wichtigen Bauteilen machen Flugzeug- und Triebwerksherstellern weiter zu schaffen. Airbus-Chef Guillaume Faury beklagt fehlende Sitze und Halbleiter, und Triebwerksbauer wie MTU (ETR:MTXGn) und Safran (EPA:SAF) ringen um Rohmaterial, das sie oft von denselben Anbietern beziehen. Die Engpässe könnten noch bis ins Jahr 2024 oder gar bis 2025 andauern, sagte Faury am Mittwoch im Radiosender "France Inter". Die Chefs von MTU und Safran setzten ihre Geschäftsziele für 2023 trotz überraschend guter Quartalszahlen am Mittwoch entsprechend nicht weiter nach oben. An der Börse kamen die Neuigkeiten schlecht an.
Für die MTU-Aktie ging es am Vormittag zeitweise um rund vier Prozent und für das Airbus-Papier um zweieinhalb Prozent abwärts. Die Safran-Aktie büßte mehr als dreieinhalb Prozent ein. Zur Mittagszeit dämmten die Papiere ihre Kursverluste wieder ein Stück ein. Mit Abschlägen zwischen anderthalb und zweieinhalb Prozent gehörten sie aber weiterhin zu den größten Verlierern in den jeweiligen Leitindizes in Frankfurt und Paris.
Nach dem Geschäftseinbruch in der Corona-Krise können sich Flugzeug- und Triebwerkshersteller vor der Nachfrage nach neuen Mittelstreckenjets, Antrieben und Ersatzteilen kaum retten. Die MTU-Spitze um den neuen Vorstandschef Lars Wagner erwartet für 2023 mit 6,1 bis 6,3 Milliarden Euro bereits den höchsten Umsatz der Unternehmensgeschichte. Und der um Sonderposten bereinigte operative Gewinn (bereinigtes Ebit) soll mit 750 bis 775 Millionen Euro den bisherigen Rekordwert aus dem Vorkrisenjahr 2019 möglichst übertreffen.
Der Jahresstart lief für den Dax-Konzern jedenfalls glänzend: "Wir haben das beste Quartal in der Geschichte der MTU abgeschlossen", sagte Wagner. "Vor dem Hintergrund der anhaltenden Unsicherheiten in den Lieferketten behalten wir unsere Prognose für das Gesamtjahr 2023 heute aber bei."
Im ersten Quartal stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 31 Prozent auf mehr als 1,5 Milliarden Euro, wie MTU überraschend bereits vergangene Woche mitgeteilt hatte. Vor allem neue Triebwerke und Ersatzteile trieben den Erlös in die Höhe, und auch das Wartungsgeschäft zog erneut deutlich an.
Der bereinigte operative Gewinn sprang konzernweit um 62 Prozent auf 212 Millionen Euro nach oben. Unter dem Strich verdiente MTU mit 134 Millionen Euro zweieinhalbmal so viel wie ein Jahr zuvor. Damals hatte der Konzern infolge der Sanktionen gegen Russland eine Sonderbelastung verbucht.
Auch bei Safran ging es im ersten Quartal kräftig aufwärts. So stieg der bereinigte Konzernumsatz um gut 29 Prozent auf fast 5,3 Milliarden Euro. Safran-Chef Olivier Andriès sieht den Konzern damit auf gutem Weg, den Erlös in diesem Jahr wie geplant auf mindestens 23 Milliarden Euro zu steigern. Der bereinigte operative Gewinn soll weiterhin etwa drei Milliarden Euro erreichen.
Safran baut im Gemeinschaftsunternehmen CFM zusammen mit dem US-Konzern General Electric (NYSE:GE) die sogenannten Leap-Triebwerke, die bei Boeings Mittelstreckenjet 737 Max und etwa jedem zweiten Exemplar von Airbus (EPA:AIR)' Konkurrenzreihe A320neo zum Einsatz kommen. MTU wiederum baut bei dem sogenannten Getriebefan-Antrieb der Raytheon-Technologies-Tochter Pratt & Whitney mit, der die übrigen A320neo-Jets, das kleinere Modell A220 und die E2-Jets des brasilianischen Herstellers Embraer (NYSE:ERJ) antreiben.
Das große Problem sei das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, sagte Airbus-Chef Faury im Radio-Interview. Wichtige Teile wie Sitze fehlten, "Ausrüstung fehlt, Menschen fehlen, es fehlen Halbleiter, es fehlen Rohstoffe". Safran ringt laut Andriès um den Zugang zu Materialien wie Stahl, Aluminium, Titan und sogar Harzen. Auch die Lage bei der Halbleiterversorgung bleibe angespannt.
Angesichts der Schwierigkeiten in den Lieferketten hatte Airbus seinen geplanten Ausbau seiner Mittelstreckenjet-Produktion bereits im Februar nach hinten geschoben. Faury peilt die Rekordrate von monatlich 75 Jets der A320neo-Familie seither erst für 2026 an, ein Jahr später als ursprünglich geplant.
Laut MTU-Chef Wagner sind die Hersteller bei bestimmten Materialien auf wenige gemeinsame Zulieferer angewiesen. So gebe es mit PCC Aerostructures und Howmet weltweit nur zwei Unternehmen, die wichtige Strukturguss-Teile für Triebwerke produzierten. Wagner sieht bei MTU beim Bau der eigenen Teile für neue Antriebe bisher keine Materialengpässe. Allerdings betreibt der Dax-Konzern auch eine eigene Endmontagelinie für die Getriebefan-Triebwerke. Wenn es dort an Teilen anderer Partner fehlt, bremst dies auch dort die Produktion.
Laut Faury und Andriès haben Zulieferer unterdessen Schwierigkeiten, genügend neue Mitarbeiter einzustellen, die beim Produktionsausbau helfen könnten. Nach Ansicht Faurys dürfte die Gewinnung neuer Talente bei der Luftfahrtmesse in Le Bourget bei Paris im Juni im Vordergrund stehen. MTU hat die Belegschaft in den ersten drei Monaten des Jahres jedenfalls weiter aufgestockt. Im Vergleich zu Ende 2022 stieg die Zahl der Mitarbeiter um zweieinhalb Prozent auf 11 559.