PARIS/LONDON (dpa-AFX) - Anleger an den europäischen Börsen haben am Donnerstag die Aussicht auf ein Ende der Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) honoriert. Die Notenbank, die mit einem zehnten Zinsschritt in Folge entschlossen gegen die hohe Inflation vorgeht, stellte die Möglichkeit in den Raum, dass die im Sommer 2022 begonnene Straffung zur Bekämpfung der Inflation beendet sein könnte. Das trieb europaweit die Aktienmärkte nach oben.
Der EuroStoxx 50 , der Leitindex der Euroregion, gewann 1,33 Prozent auf 4279,75 Punkte. Er hatte sich vor der Zinsentscheidung nur knapp im Plus gehalten. Der französische Cac 40 stieg um 1,19 Prozent auf 7308,67 Punkte und auch an den Börsen in Italien oder Spanien ging es spürbar nach oben.
Der britische FTSE 100 rückte, nicht zuletzt angetrieben von Ölaktien (NYSE:XLE), um 1,95 Prozent auf 7673,08 Zähler vor. Die Bank of England wird - ebenso wie die US-Notenbank Fed - ihre Zinsentscheidung in der kommenden Woche bekannt geben.
Durch den Zinsschritt der EZB um 0,25 Prozentpunkte an diesem Donnerstag beträgt der derzeit wichtige Einlagensatz nun 4,0 Prozent. "Ein Verzicht auf die Zinsanhebung, eine Pause, hätte die Zinserhöhungserwartungen angesichts des noch hohen Inflationstempos lediglich auf die nächste Sitzung verschoben", kommentierte Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust.
Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa bei der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS (ETR:DWSG) , rechnet nun damit, dass der Zinserhöhungszyklus abgeschlossen sein dürfte. "Wir gehen davon aus, dass die EZB von jetzt an die Füße stillhält, bis sie im Sommer kommenden Jahres beginnen wird, die Zinsen langsam zu senken", kommentierte er. Ähnliches schrieben auch die Volkswirte der japanischen Bank Nomura (TYO:9716).
Branchenweit gab es bis auf den leicht schwächelnden Autosektor keine Verlierer. Bankaktien (NASDAQ:KBWB) zählten zu den Gewinnern angesichts der weiteren Zinsanhebung. Santander (BME:SAN) , Unicredit (BIT:CRDI) und BNP Paribas (ETR:BNPP) etwa gehörten zu den Favoriten im EuroStoxx. Diese Aktien stiegen um jeweils etwas mehr als zwei Prozent.
Ölaktien profitierten infolge eines knappen Angebots weiter von den steigenden Ölpreisen. Diese erreichten neue Zehn-Monats-Hochs. Saudi-Arabien und Russland liefern seit einiger Zeit deutlich weniger Öl. Zuletzt hatten sie ihre Kürzungen bis Jahresende verlängert. Offiziell soll der Markt im Gleichgewicht gehalten werden, faktisch dient die Strategie der Preiserhöhung. In London legten BP (LON:BP) und Shell (ETR:R6C0) deutlich zu, im EuroStoxx die Papiere von Totalenergies (EPA:TTEF) und Eni (BIT:ENI) .
Der Anteilsschein des Online-Essenslieferdienstes Deliveroo (LON:ROO) gewann 6,1 Prozent. Die Briten beraten Kreisen zufolge über eine Verteidigungsstrategie gegen eine mögliche Übernahme. Im April laufe die derzeitige Eigentümerstruktur aus, die dem Mitgründer und Chef Will Shu zusätzliche Stimmrechte sichere, hieß es.
Vestas (ETR:VWSB) stiegen um 4,8 Prozent. Analyst Gael de-Bray von der Deutschen Bank (ETR:DBKGn) Research empfiehlt die Aktie des Windturbinenherstellers nach den jüngsten Kursverlusten jetzt zum Kauf. Die Aktie sei im Sog der trüben Branchenstimmung im Vergleich zu ihrem Jahreshoch um knapp ein Drittel eingebrochen, schrieb er und sieht eine attraktive Einstiegsgelegenheit. Vestas ist ihm zufolge nur begrenzt von den Problemen der Konkurrenten Siemens Gamesa (BME:SGREN) und Orsted betroffen, welche jüngst die Schlagzeilen bestimmten.