(neu: Schlusskurse)
FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Hoffnung auf einen Strategiewechsel bei Thyssenkrupp (4:TKAG) hat die Aktien des Industrie- und Stahlunternehmens am Freitag angetrieben. Auslöser war der am Vorabend bekannt gewordene Wunsch von Heinrich Hiesinger, seinen Posten als Konzernchef abzugeben, dem der Aufsichtsrat an diesem Nachmittag zustimmte.
Die Papiere beendeten den Handel mit einem Plus von 2,42 Prozent auf 22,01 Euro als einer der Favoriten im moderat freundlichen Dax (DAX). Damit setzten sie ihre deutliche Erholung vom Donnerstag fort.
Erst am vergangenen Wochenende hatte Hiesinger gemeinsam mit dem Chef der Tata-Stahlsparte Natarajan Chandrasekaran nach über zweijährigen Verhandlungen die Verträge zur Gründung eines Stahl-Gemeinschaftsunternehmens unterzeichnet. Im Zuge dieser Pläne war Hiesinger zuletzt immer wieder unter Druck geraten. Vor allem Anteilseigner wie der US-Hedgefonds Elliott oder Cevian Capital aus Schweden hatten mehr Tempo bei dem seit langem angekündigten Konzernumbau gefordert.
"Presseberichten zufolge gab es Unstimmigkeiten über strategische Fragen zwischen Hiesinger und gleich mehreren Mitgliedern des Aufsichtsrats", hob Commerzbank-Analyst Ingo Schachel hervor. Nicht nur Jens Tischendorf von Cevian, sondern auch der Ex-Telekom-Chef René Obermann und die HSBC-Deutschland-Chefin Carola Gräfin von Schmettow hätten gegen den Tata-Deal gestimmt. Mit Hiesingers Rücktrittsgesuch als Reaktion auf den jüngsten Druck aus dem Aufsichtsrat dürfte das für den 9. Juli vorgesehene strategische Update verschoben werden, bis ein Nachfolger gefunden sei. Dies wird dem Experten zufolge aber wohl rasch geschehen.
"Viele Investoren dürften das Timing Hiesingers begrüßen, denn ein neues Management-Team könnte der richtige Schritt sein, den Konzern auf Wachstum zu trimmen", urteilte Analyst Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe. "Die Aktie dürfte von nun an einer Neubewertung unterzogen werden und zulegen", erwartet er und bekräftigte seine Kauf-Empfehlung. Schon seit rund zwei Jahren dümpelt die Aktie von Thyssenkrupp in einer maximalen Spanne zwischen 20 und 27 Euro vor sich hin. Nach dem Einbruch der Stahlpreise konnte sie zwar dank der Suche des Konzerns nach Lösungen für sein europäisches Stahlgeschäft etwas erholen. Aber da es dann letztlich kaum voran ging, blieben die Anleger vorsichtig.
Rochus Brauneiser vom Analysehaus Kepler Cheuvreux, der nun ebenfalls mit einer Neubewertung der Aktie rechnet, änderte sein Anlageurteil daher von "Hold" auf "Buy". Ebenso wie Gabriel erwartet er einen Strategiewechsel. Dieser sollte dafür sorgen, dass sich der wahre Wert des Konzerns herauskristallisiere. Es sei allerdings noch zu früh, um einzuschätzen, ob die neue Strategie zu einer Zerschlagung des Konzerns führen könnte.
Die wesentlichsten Herausforderungen für Hiesingers Nachfolger sind laut Commerzbank-Experte Schachel die weitere Straffung der Konzernstruktur beziehungsweise des -portfolios sowie Maßnahmen, um den freien Mittelzufluss und die Profitabilität zu verbessern. Vor allem im schwierigen Geschäftsbereich Industrial Solutions, der Planung, Bau und Dienstleistungen rund um industrielle Anlagen und Systeme anbietet, müsse eine Verbesserung vorangetrieben werden.