von Robert Zach
Investing.com - Pünktlich zum Start der US-Berichtssaison befinden sich die Aktienmärkte wieder im Aufwind. Doch nach den teils heftigen Bewegungen in beide Richtungen der letzten Wochen fällt es den Marktteilnehmern nach wie vor schwer, an eine tragfähige Bodenbildung zu glauben, die den Grundstein für einen neuen Bullenmarkt legen könnte. Handelt es sich bei der jüngsten Aktienrallye also nur um eine Gegenbewegung oder um den Startschuss zu einer neuen Hausse?
Scott Glasser, Chief Investment Officer bei Clearbridge Investments, hat dazu eine klare Meinung und benennt die seiner Sicht nach wichtigsten Indikatoren, mit denen sich eine Bodenbildung am Aktienmarkt ausmachen lässt.
Der Bärenmarkt scheint die Entwicklung zu nehmen, die uns im Mai Sorgen machte. Nach dem starken anfänglichen Abverkauf im S&P 500 Index (-23 % vom 29. Mai bis zum 16. Juni), als die US-Notenbank (Fed) ihren Straffungszyklus einleitete, legten Aktien über den Sommer kräftig zu (+18 % vom 16. Juni bis zum 16. August), da man auf eine sanfte Landung und eine Wende hin zu niedrigeren Zinssätzen im Jahr 2023 hoffte. Doch Mitte August kippte die Stimmung und Aktien machten eine weitere Talfahrt, als die Fed bestätigte, dass die Zinsen vor dem Hintergrund anhaltenden Inflationsdrucks hoch bleiben würden, auch wenn dies „Haushalten und Unternehmen einige Schmerzen bereiten würde“, wie der Fed-Vorsitzende Jerome Powell es in Jackson Hole formulierte. Dieses Muster entspricht den letzten beiden ausgeprägten Bärenmärkten (2008/2009 und 2001/2002), da bei jedem dem endgültigen Tiefpunkt jeweils mindestens eine länger anhaltende deutliche Rally voranging. Wir halten eine Rückkehr auf die Niveaus von Mitte Juni oder sogar noch darunter für wahrscheinlich, bevor sich die Kurse auf einer längerfristigen Talsohle einpendeln.
Während die Liquiditätsverknappung (gemessen an steigenden Zinsen, höheren Rohstoffpreisen, einem stärkeren Dollar und weiteren Credit Spreads) beim ersten Abverkauf die Bewertungskennzahlen schrumpfen ließ, wird die nächste Phase des Abschwungs wahrscheinlich von sinkenden Unternehmensgewinnen angetrieben. Aus makroökonomischer Sicht ist der Einkaufsmanagerindex (PMI) nach wie vor die beste Möglichkeit, die Entwicklung der Unternehmensgewinne vorherzusagen. Doch bedauerlicherweise sind die PMIs weiter rückläufig und die Gewinne des S&P werden diesem Trend wahrscheinlich folgen und in den kommenden sechs Monaten im negativen Bereich liegen. Ironischerweise sind höhere Preise für Waren und Dienstleistungen der eigentliche Grund dafür, dass die Gewinne sich bisher gut behaupten konnten. Denn sie fungierten als Puffer für Margen und Gewinne, da die Unternehmen die Preise anhoben, um den Kostendruck abzufedern.
Wir bevorzugen weiterhin defensivere Sektoren wie die Pharmaindustrie und die Versicherungsbranche. Unter Bottom-up-Gesichtspunkten liegt unser Fokus auf Aktien, bei denen beherrschende Marktstellungen oder „Selbsthilfeinitiativen“ (wie Pläne für den Abbau von Gemeinkosten) das Gewinnwachstum trotz schwierigerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen unterstützen können. Hinzu kommt, dass Unternehmen mit bedeutenden Programmen für die Kapitalrendite, sei es über Dividenden oder umfangreiche Aktienrückkäufe, sich wahrscheinlich besser behaupten werden.
Wenngleich der Technologiesektor und andere längerfristigen Wachstumswerte bei diesem Abverkauf als erste und am härtesten getroffen wurden, haben viele dieser Unternehmen einen großen Teil der durch dieses Absinken der Bewertungsniveaus verursachten Schmerzen bereits verarbeitet. Die Kombination von Preisflexibilität, vorteilhaften Margenstrukturen und stärkeren langfristigen Wachstumstreibern dürfte dafür sorgen, dass sich das Gewinnwachstum besser hält als bei eher zyklischen Vertretern der Vergleichsgruppe.
Finanzwerte könnten das Ausmaß der Konjunkturschwäche vorhersagen
Wir beobachten den Bankensektor als hilfreiches Barometer, um die Tiefe des Konjunkturrückgangs und eine potenzielle Rezession in den USA einzuschätzen. Wenngleich das aktuelle Umfeld angesichts höherer Zinssätze, einer beständigen Darlehensnachfrage und gesunden Krediten für Banken günstig ist, wird die künftige Wertentwicklung von Anlagen davon abhängen, wie die Anleger die Breite und Tiefe eines bevorstehenden Kreditzyklus und das Ausmaß der Verluste für die Branche einschätzen.
Ein Sektor, der auch weiterhin wahrscheinlich unter Druck stehen wird, sind zyklische Konsumgüter (NYSE:XLY). Einige große Einzelhändler und Unternehmen, die den E-Commerce unterstützen, haben bedeutende Gewinnwarnungen herausgegeben, die ihre Aktien auf Talfahrt schickten. Viele wurden von einem doppelten Schlag getroffen, nämlich von der Verlagerung des Konsums auf Güter des täglichen Bedarfs (wie Lebensmittel und Kraftstoff), was wiederum zu aufgeblähten Lagerbeständen von Artikeln mit höheren Margen führte wie etwa Elektronikprodukte. Währenddessen erweist sich der Kostendruck als unnachgiebig, und wir sind offenbar an einem Punkt angelangt, ab dem Preiserhöhungen die Nachfrage abwürgen.
Statistiken zur Marktbreite und Spreads von Unternehmensanleihen sind wichtige Indikatoren, die wir weiter beobachten. Die jüngste Rally wurde von defensiven Sektoren dominiert. Ja, Aktien aus den Sektoren Technologie und zyklische Konsumgüter verzeichneten bei der Rally von Juni bis August eine Outperformance, aber das taten auch Versorger (NYSE:XLU) und Immobilien. Um einen nachhaltigen Boden zu bilden, müssen Aktienkurse auf ein Niveau sinken, auf dem Anleger bereit sind, in ihren Portfolios mehr Risiko und längerfristige Engagements einzugehen, und muss sich die Marktbereite auch auf Unternehmen mit kleiner und mittlerer Marktkapitalisierung ausweiten. Die Spreads von Anleihen sind weit und tendieren in Richtung Rezession, sind aber aus unserer Sicht noch nicht dort angekommen.
Man sollte auf keinen Fall vergessen, dass der Markt von Einpreisung geprägt ist und seinen Boden bildet, noch bevor Gewinne und die Wirtschaft ihre Talsohle erreichen. Aktien reagieren weiterhin aggressiv auf verfehlte Gewinne oder schwächere Ausblicke, was darauf hindeutet, dass sich der Markt schwertut, ein angemessenes Maß an künftigen Gewinnen einzupreisen. Angesichts dieser Volatilität halten wir es nicht für sinnvoll zu versuchen, kurzfristige Gewinnentwicklungen zu projizieren. Vielmehr sollte man einen Zeithorizont von zwei bis drei Jahren in den Blick nehmen und Anlageentscheidungen treffen, die auf längerfristigen, nachhaltigen Wachstumsraten von Unternehmen beruhen.
Hinweis: Die Inhalte stellen keine Handelsempfehlung zum Kauf oder Verkauf jeglicher Art von Wertpapieren oder Derivaten dar.