FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Die Welt retten und damit zugleich gutes Geld verdienen? Kein Problem, Nachhaltigkeits-Investments schaffen das, so das Marketing der ETF- und Fondsbranche. Ali Masarwah, Analyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, rückt dieses naive Verständnis von ESG-Investing ins rechte Licht.
25. März 2024. FRANKFURT (envestor). Die Fonds- und ETF-Industrie hat ein Luxusproblem. Sie ist eine Wachstumsbranche und sie möchte mehr verkaufen. Einerseits hat die Fondsindustrie den Kulturkampf gegen die Versicherungsbranche für sich entschieden. ETFs und Fonds sind die Instrumente der Wahl für den langfristigen Vermögensaufbau, und das ist auch gut so. Das Niedrigzinsumfeld hat der kapitalbildenden Lebensversicherung mutmaßlich den endgültigen Garaus gebracht, und das ist definitiv auch gut so. (Wer sein biometrisches Risiko absichern will, möge ein paar Euro pro Monat in eine Risiko-Lebensversicherung stecken.) Weniger gut ist indes, dass die Fondsindustrie ihre Dominanz für groben Marketing-Unfug nutzt und damit die Anlegerrendite aufs Spiel setzt. Es geht um das Thema Nachhaltigkeits-Investments.
Nachhaltig zu investieren, zählt zu den obersten Maximen der globalen Maßnahmen gegen den Klimawandel. Im Abkommen der Pariser Klimakonferenz 2015 wurde die Lenkung von Finanzmitteln in Investments, die im Einklang mit den Klimaschutzzielen stehen, zu den wichtigsten Instrumenten der globalen Klimapolitik definiert. Seitdem sind nachhaltig investierende Fonds und ETFs stark nachgefragt. Zahlreiche ESG-Produkte sind auf den Markt gekommen. Die Nachfrage nach war lange immens. In manchen Jahren steuerten 50 Prozent und mehr aller neuen Investments in Fonds und ETFs Nachhaltigkeitsfonds an. Das war nicht nur dem Altruismus von Klimaschützern geschuldet, sondern auch dem Fondsmarketing.
In den ersten Jahren nach Paris waren die Marketing-Botschaften noch dezent. Es gebe keinen Beleg dafür, dass ESG-ETFs und ESG-Fonds einen Rendite-Nachteil gegenüber ihren konventionellen Pendants hätten, hieß es. Als dann in Zeiten des Niedrigzinses die Performance von ESG-Investments durch die Decke ging, wurden die Verkaufsbotschaften vollmundiger: Weil Nachhaltigkeits-Risiken den Wert von Investments schmälerten - man denke an die Folgen des Dieselskandals für den Kurs der VW-Aktie - seien ESG-Strategien Instrumente für das Management von Risiken. Und weil damit Umwelt- und Governance-Skandale vermieden würden, hätten ESG-Investments einen systematischen Performance-Vorteil, so diese Erzählung.
Vorhang auf für das Jahr 2022! Ein repräsentativer Vergleich zwischen der Performance des MSCI World Index und seinem Nachhaltigkeits-Pendant MSCI World (ETR:X010) SRI zeigt, dass der MSCI World SRI 4,5 Prozentpunkte hinter dem MSCI World zurückfiel.
Was war passiert?
An dieser Stelle müssen wir auf die Eigenschaften konventioneller und nachhaltiger Portfolios eingehen. ESG-Portfolios waren in den vergangenen Jahren stärker in Growth-Aktien investiert als der breite Markt. Grund hierfür ist, dass IT- und Pharma-Unternehmen, zwei klassische Wachstumsbranchen, eine bessere Umweltbilanz haben als, sagen wir ?-l-, Gas- und Rohstofffirmen. Zudem sind viele Wachstumsunternehmen sogenannte Long-Duration-Assets. Ihre Cashflows liegen in weiterer Ferne als die Cashflows von besagten ?-l-, Gas- und Rohstofffirmen, die im Hier und Heute ihre Erträge generieren. Das war ein wichtiger Grund dafür, dass in den Jahren 2016 bis 2021 Nachhaltigkeits-Portfolios konventionelle Fonds und ETFs deutlich outperformten.
Es spricht viel dafür, dass die Performance von ESG-Portfolios nicht auf einen systematischen Faktor zurückgeht, der über die Zeit stabil bleibt. Neben dem Growth-Faktor haben auch die Bilanzqualität der Unternehmen in ESG-Indizes sowie der Momentum-Faktor deren Performance lange Zeit gestützt. Das kann immer wieder bei der Performance zum Tragen kommen, sollte aber unter der Headline "Zufall" firmieren.
Anleger sollten bei Thema ESG alles auf Anfang setzen, auf die Zeit vor 2016. Weil ESG-Investments aufgrund ethischer Präferenzen der Anleger zwangsläufig das Aktien- und Anleihen-Universum um "Schmuddelkinder" bereinigen, wird deren Wahlmöglichkeiten folglich beschnitten. Je rigoroser der ESG-Filter, desto mehr Firmen werden ausgeschlossen. Das kann die relative Rendite mitunter deutlich schmälern.
Wer nachhaltig investieren will, äußert ganz bestimmte Präferenzen und Werte. Man verzichtet unter Umständen freiwillig auf einige Rendite, um das Klima zu retten, Arbeitnehmerrechte zum Durchbruch zu verhelfen und rigorose ethische Standards in den Unternehmen zu fördern, in die man investiert. ESG-Investoren sollten sich daher nicht beschweren, wenn die Performance ihres Investments in einem Marktzyklus zu wünschen übriglässt. Zum Investmenterfolg zu kommen, ist mitunter schwieriger, als es griffige Marketingbotschaften nahelegen.
Von: Ali Masarwah, 25. März 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse (ETR:DB1Gn) AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.
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