FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Mit nachgebenden Aktienmärkten in Folge geopolitischer und konjunktureller Risiken hat es Investor*innen zunächst in den Anleihenmarkt gedreht. Im Wochenverlauf ist die Stimmung wieder gedreht. Die rekordhohe deutsche Inflation erhöht den Zinserhöhungsdruck auf die EZB.
29. April 2022 Frankfurt (Börse Frankfurt). Nachdem Russland den Gashahn für Lieferungen nach Polen und Bulgarien abgedreht hatte, sind Investor*innen erschrocken in Anleihen geflüchtet: "Sicherheit war als Reaktion auf Russlands Entscheidung gesucht", kommentiert Arthur Brunner von der ICF Bank das Geschehen zu Wochenbeginn. "Davon hat auch der Bund-Future profitiert." Dieser war in der Spitze bis auf 156 Punkte gestiegen, notiert aktuell bei 154,42.
Im Wochenverlauf hat sich das Blatt gewendet. Seit Bekanntgabe rekordhoher Inflationsdaten aus Deutschland - Europas größte Volkswirtschaft meldete Preissteigerungen von 7,4 Prozent im Monatsvergleich - werden Anleihen wieder verkauft. Die Rendite der zehnjährigen deutschen Anleihen klettert so hoch wie seit über zwei Wochen nicht.
"Mittlerweile lässt die Inflation selbst die EZB nicht mehr kalt", fasst Robert Halver von der Baader Bank die Lage zusammen. Die EZB werde am 9. Juni ihre Netto-Käufe von Staatsanleihen beenden. "Ob es dann im September aber zu einer ersten Zinserhöhung kommt, ist fraglich." Die Notenbank werde die realwirtschaftlichen Schmerzen einer drohenden Energiekrise nur im Extremfall mit einer Straffung der Geldpolitik verschärfen wollen. "Und selbst wenn diese stattfindet, wird sie nicht der Beginn einer leidenschaftlichen Zinserhöhungsrunde sein. Europas Strukturdefizite sprechen dagegen."
Markt preist drei Zinserhöhungen der EZB 2022 ein - "Kaum vorstellbar"
"Mit diesen Daten steigt der Druck auf die EZB weiter, die Zinsen endlich zu erhöhen", kommentiert Tim Oechsner von Steubing. Der Markt preise drei Zinserhöhungen allein für 2022 ein. "Auch wenn das kaum vorstellbar ist, darf die EZB nicht länger hinter der FED und den Markterwartungen zurückbleiben." Brunner verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Erzeugerpreise: Sie waren im März um 30,9 Prozent zum Vorjahr gestiegen. "Es ist nun die Frage, wann die EZB liefert." Oechsner sieht den ersten Zinsschritt im Juli.. Überraschend sei, dass die Bank of Japan - anders als die Notenbanken in anderen großen Industrieländern - an ihrer lockeren Geldpolitik festhält.
"Die Risikoneigung nimmt wieder zu", ordnete auch Brunner den Stimmungswechsel am Anleihenmarkt ein. Auch Hoffnungen, dass China mit Staatshilfen die wirtschaftlichen Folgen der Null-Covid-Strategie abfedern könnte, veranlassen Anleger*innen zu Verkäufen.
Die überraschend geschrumpfte US-Wirtschaft, die im ersten Quartal um 1,4 Prozent sank, belastet die Rentenmärkte zusätzlich. "Besonders längere Laufzeiten geraten an den Anleihenmärkten unter Druck, während sich die Kredit- und Aktienmärkte etwas erholen können", ergänzt Oechsner.
Sicherheit bei Neuemissionen gefragt
Auch der Markt für Neuemissionen kann sich den makroökonomischen Entwicklungen nicht entziehen: Oechsner sieht die Anleger*innen in Lauerstellung. Selektiv gekauft werden sichere Staatstitel und möglichst sichere Unternehmensanleihen mit kurzen oder mittleren Laufzeiten.
Entsprechend positionieren sich Oechsners Kund*innen in einer KfW-Anleihe (), die bis 2032 läuft und einen Kupon von 1,375 Prozent aufweist sowie in einer Emission der französischen Bank Cades (FR001400A3H2) mit Laufzeit 2032 und 1,5 Prozent Zins.
Brunner berichtet von Verkäufen einer rumänischen Anleihe (6:XS196870687=MI) mit 4,625 Prozent Verzinsung und Laufzeit bis 2049. Außerdem registriert er Verkäufe einer VW-Hybrid-Anleihe (XS1048428442). Fußball-Titel bleiben hingegen gefragt: So entwickele sich ein Bond von Schalke 04 mit 5,5 Prozent Kupon und Laufzeit bis 2027 sehr gut. "Hier wird trotz der Niederlage nach zuvor fünf Siegen in Folge gekauft", kommentiert Brunner. Aktuell notiert das Papier bei 105 Prozent. Insgesamt sei das Geschäft für Neumissionen sehr verhalten. "Nun, nach den Feiertagen, sollte es wieder anziehen."
Die jüngst von hohen Kursschwankungen gezeichnete Anleihe der Obotritia Capital KgaA mit 8,5 Prozent Kupon ist wieder zur Ruhe gekommen. Nachdem das Unternehmen angekündigt hatte, fällige Zinszahlungen auf eine Hybrid-Anleihe mit unbegrenzter Laufzeit auszusetzen, war der Kurs auf 80 Prozent gefallen. Die Kurserholung auf zeitweise 103 Prozent erklärt Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank damit, dass die Zinsen nachgezahlt werden. Das Unternehmen habe den 9. Mai als Nachhol-Termin genannt. Der Kupon war ursprünglich am 26. Februar fällig.
von: Antje Erhard 29. April 2022, © Deutsche Börse (ETR:DB1Gn) AG
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