- von Tom Käckenhoff und Christoph Steitz
Düsseldorf/Frankfurt (Reuters) - Mit dem völlig überraschenden Rücktritt von Konzernboss Heinrich Hiesinger steht das Traditionsunternehmen Thyssenkrupp (DE:TKAG) mitten im Umbau ohne Chef da.
Der Aufsichtsrat nahm am Freitag das Rücktrittsgesuch des Managers an und überließ vorerst seinen drei Vorstandskollegen die Leitung des Mischkonzerns mit 160.000 Beschäftigten. Die Nachfolge Hiesingers werde später geregelt. Wann die angekündigte "geschärfte Strategie" vorgestellt werden soll, blieb offen. Der Markt feierte den Rücktritt Hiesingers mit einem Kurssprung von zeitweise mehr als vier Prozent. Der 58-Jährige hatte Insidern zufolge vom Aufsichtsrat keine geschlossene Rückendeckung mehr. Die IG Metall forderte von den Verantwortlichen, die Reihen zu schließen.
Hiesinger ist nach Deutsche Bank-Chef John Cryan, Volkswagen-Boss Matthias Müller und Beiersdorf-Chef Stefan Heidenreich der vierte Vorstandsvorsitzende eines Dax-Konzerns, der in diesem Jahr seinen Hut nehmen muss.
TRIUMVIRAT SOLL IN ÜBERGANGSZEIT KONZERN FÜHREN
Investoren wie der Großaktionär Cevian und der wenig zimperliche US-Hedgefonds Elliott hatten von Hiesinger mehr Tempo und Mut beim Konzernumbau gefordert. Seit dessen Amtsantritt im Januar 2011 hat die Aktie fast 30 Prozent verloren, während der Dax 78 Prozent zulegte. Cevian und Elliott wollten sich zunächst nicht zur Entwicklung äußern. Die Fondsgesellschaft Union Investment sah in dem Abgang des seit 2011 amtierenden Vorstandschefs einen möglichen Schritt nach vorne. "Nun besteht die Chance, eine neue Strategie zu entwickeln, den Konzernumbau voranzutreiben und damit den Konzern neu auszurichten", sagte Portfoliomanager Ingo Speich der Nachrichtenagentur Reuters. "Der Nachfolger sollte daher auch eine neue Perspektive einbringen und nicht an der bestehenden Strategie festhalten."
Aufsichtsratschef Ulrich Lehner dankte Hiesinger für seine Arbeit. Nach einem Nachfolger solle nun in einem strukturierten Prozess gesucht werden. Solange sollen Finanzchef Guido Kerkhoff, Personalvorstand Oliver Burkhard und Compliance-Vorstand Donatus Kaufmann die Geschicke des Traditionskonzerns gemeinsam führen. "In dieser für das Unternehmen schwierigen Situation geht es nun zunächst darum, auf Kurs zu bleiben", erklärte Lehner. Der Vorstand habe eine mit dem Aufsichtsrat abgestimmte Strategie für die Weiterentwicklung des Konzerns. Dazu gehöre die Umsetzung des Gemeinschaftsunternehmens im Stahl. "Für die weiteren Geschäftsbereiche bestehen nach außen klar kommunizierte Ziele, an denen das Unternehmen weiter arbeiten wird."
Hiesinger hatte eigentlich in der kommenden Woche eine geschärfte Strategie für den Mischkonzern vorstellen wollen, zu dessen Geschäften neben dem Stahl auch der Bau von Aufzügen, Groß-Anlagen, Autoteilen oder U-Boote gehört. Die Suche nach einem neuen Chef werde sich schwierig gestalten, erklärten die Experten von Independent Research. Hiesinger sei es wohl leid gewesen, sich von den verschiedenen Interessen im Konzern, mit Cevian, Elliott, Arbeitnehmern und der Krupp-Stiftung aufreiben zu lassen.
KRUPP-STIFTUNG: WIR HABEN HIESINGER UNTERSTÜTZT
Die Krupp-Stiftung ist mit rund 21 Prozent größter Einzelaktionär des Konzerns und hat zwei Vertreter im Aufsichtsrat. Hiesinger hatte wohl auch diese in seinem Abschiedsbrief an die Mitarbeiter gemeint, als er von den Grundlagen früherer Entscheidungen sprach. "Das gemeinsame Verständnis von Vorstand, Aufsichtsrat und wesentlichen Aktionären über die strategische Ausrichtung von Thyssenkrupp war für mich eine wichtige Voraussetzung, um als Vorstandsvorsitzender Thyssenkrupp erfolgreich zu führen."
Die Stiftung und ihre Chefin, Ursula Gather, drückten später ihr Bedauern über den Schritt Hiesingers aus. Dieser habe das Unternehmen wirtschaftlich neu ausgerichtet und eine moderne Unternehmenskultur eingeführt. "Die Stiftung und auch ich persönlich haben Herrn Hiesinger auf diesem Weg stets unterstützt, die Vorschläge des Vorstandes begrüßt und sie in den Entscheidungen mitgetragen", betonte Gather.
Der IG-Metall-Sekretär und Vize-Chef des Konzern-Aufsichtsrats, Markus Grolms, forderte Geschlossenheit. "Vorstand, Aufsichtsrat, Arbeitnehmervertreter und Aktionäre müssen im Sinne des Unternehmens und der Beschäftigten an einem Strang ziehen", sagte der Gewerkschafter Reuters. Der Konzern müsse zukunftsfähig weiterentwickelt werden. "Wer dabei die soziale Fairness gegenüber den Beschäftigten außer Acht lässt, bekommt es mit uns zu tun, aber richtig."