Berlin, 18. Sep (Reuters) - Immer mehr Zuwanderer in Deutschland sind erwerbstätig. "Bei der Beschäftigungsquote hat Deutschland mit 70 Prozent Ende 2018 einen historischen Höchststand erreicht", sagte der Migrations-Experte der Industriestaaten-Organisation OECD, Thomas Liebig, am Mittwoch in Berlin. Die Jobqualität sei aber häufig bescheiden. Auch die Zahl der Zuwanderer, die für ihre Tätigkeit eigentlich überqualifiziert seien, sei gestiegen. Als Zuwanderer gelten laut OECD im Ausland geborene Menschen, auch wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Flüchtlinge werden berücksichtigt, wenn sie einen Schutzstatus erhalten haben.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland weiter ein Zuwanderungsmagnet. Laut dem am Mittwoch in Paris vorgelegten Migrations-Ausblick der OECD kamen 2017 rund 860.000 dauerhafte Zuwanderer. Die Zahl sei zwar das zweite Mal in Folge gesunken, vor allem durch die geringere Flüchtlingszahl. Aber von den OECD-Ländern verzeichneten nur die USA noch mehr. Bei der zeitweisen Zuwanderung stieg Polen auf die Spitzenposition. 2017 habe Polen rund 1,1 Millionen temporäre Migranten verzeichnet. Darunter sind viele Ukrainer als Saisonarbeitskräfte.
LIEBIG: INNEREUROPÄISCHE ZUWANDERUNG VERLIERT AN BEDEUTUNG
Der OECD-Experte erwartet einen Bedeutungsverlust für den Zuzug aus EU-Staaten nach Deutschland, der bisher etwa die Hälfte der Zuwanderung ausmacht. "Die Arbeitsmigration aus dem Westbalkan ersetzt zunehmend die mittel- und osteuropäische Zuwanderung", sagte Liebig unter Verweis auf erste Trends des Jahres 2019. Dies gelte noch nicht für die EU-Staaten Rumänien und Bulgarien als Herkunftsländer, aber unter anderem für Polen, das durch die wirtschaftliche Erholung mit einem guten Arbeitsmarkt auch Einheimischen bessere Zukunftschancen biete.
Von dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft tritt, verspricht sich Liebig nicht sehr viel. Dieses werde eine "sehr beschränkte Wirkung entfalten". Das Gesetz soll Fachleuten ohne Studium die Zuwanderung aus Staaten außerhalb der EU erleichtern, verlangt aber eine vorherige Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses. Liebig sieht darin einen Konstruktionsfehler, der das Verfahren komplizierter mache und zudem einen falschen Schwerpunkt setze. Für Arbeitgeber seien formale Qualifikationen weniger wichtig als deutsche Sprachkenntnisse, sagte Liebig: "Das deutsche Zuwanderungssystem aber tut so, als ob es gar nicht wichtig ist, dass man in Deutschland Deutsch spricht."
Positiv bewertet der OECD-Experte, dass Deutschland mehr internationale Studenten anzieht als jedes andere nicht anglophone Land. Mit 265.000 internationalen Studierenden haben Deutschland 2017 erstmals Frankreich abgehängt.