- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Die umstrittenen Justizreformen in Polen stoßen im Bundestag und im europäischen Parlament auf scharfe Kritik.
Deutsche Europapolitiker verlangten am Montag, dem Land notfalls das Stimmrecht in der EU zu entziehen. Fünf Fraktionschefs im Europäischen Parlament forderten die EU-Kommission zu einem Vertragsverletzungsverfahren auf. "Es kann nicht sein, dass ein Land, das nicht einmal mehr die Rechtsstandards für die Aufnahme in die EU erfüllt, noch über EU-Angelegenheiten abstimmen darf", sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestags, Gunther Krichbaum (CDU), der Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sicherte der EU-Kommission im Konflikt mit Polen deutsche Unterstützung zu.
Die polnische Regierung hatte vergangene Woche mit der Mehrheit der PiS-Partei ein Gesetz durch das Parlament gebracht, mit dem alle Richter des Obersten Gerichts entlassen werden sollen. Der Justizminister soll die Posten neu besetzen. Die nationalkonservative Regierung hatte bereits mit einer umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts Kritik in der EU ausgelöst. Am Sonntagabend hatten Tausende in Polen gegen die Regierung demonstriert, der sie die Gleichschaltung des Justizapparates vorwerfen.
Ungewöhnlich scharf äußerten sich auch die Vorsitzenden von fünf Fraktionen im Europäischen Parlament - darunter Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke - in einem gemeinsamen Brief an den EP-Präsidenten Antonio Tajani. Die polnischen Gesetze seien "nicht kompatibel mit EU-Verträgen und einer Mitgliedschaft", heißt es in dem Brief. Sie appellierten an den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.
"Wir können in der Welt nicht Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen und unsere eigenen Standards nicht beachten", sagte Gabriel dem "Spiegel". Der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag, Axel Schäfer, forderte ebenfalls die EU-Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren zu eröffnen. Dieses könnte am Ende auf einen Entzug des Stimmrechts bei EU-Entscheidungen hinauslaufen. Schäfer wies den Einwand zurück, dass das ebenfalls in der Kritik stehende Ungarn eine solche Entscheidung am Ende blockieren könnte. "Ungarn ist bisher immer am Ende eingeknickt", sagte der SPD-Politiker zu Reuters. "Die Lage in Polen ist wirklich dramatisch", kritisierte der CDU-Politiker Krichbaum: "Das derzeitige Polen würde die EU-Aufnahmekriterien nicht erfüllen."
Im Streit über Polens Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im Juni die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission gegen Polen ausdrücklich befürwortet. Die Kommission tue das, was sie als Hüterin der EU-Verträge tun müsse, hatte Merkel Mitte Juni gesagt. "Deshalb gibt es für mich keinerlei Anlass, die Kommission zu kritisieren."