Vorgestern wurden Ansätze einer Kurserholung am Aktien- und Anleihemarkt durch eine Äußerung des Gouverneurs der Bank von England (BoE) zunichte gemacht. Dieser forderte Pensionsfonds auf, ihre Positionen bis Freitag zu rebalancieren. Denn dann laufe das vorübergehende Unterstützungsprogramm für den Bondmarkt des Landes aus.
Zur Beruhigung der Anleger hatte die britische Notenbank erst am Dienstag den Kauf inflationsgeschützter Papiere angekündigt. Diese werden vor allem von Pensionsfonds gehalten.
Kehrtwende
Gestern dann offenbar die Kehrtwende: Einem Medienbericht zufolge ist die britische Zentralbank zu einer Verlängerung des Notkaufprogramm für Anleihen bereit. Dies habe die BoE den Kreditgebern signalisiert. Die Notenbank stünde Gewehr bei Fuß, sollten die Marktbedingungen dies erfordern. Die Börsen präsentierten sich dadurch gestern recht freundlich.
Erneute Kehrtwende
Doch diese Laune wurde dann um 14:30 Uhr wieder getrübt, als die US-Erzeugerpreise veröffentlicht wurden. Zwar legten diese nicht mehr ganz so stark zu wie zuvor, doch hatten die Marktteilnehmer eine stärkere Abschwächung des Preisdrucks erwartet. Im Vergleich zum Vorjahr hoben die Hersteller in den USA die Preise im September um 8,5 % an, nach +8,7 % im August.
Der Markt hatte sich im Durchschnitt auf eine Rate von 8,4 % eingestellt. Und diese leichte Enttäuschung reichte bereits wieder aus, um die Kurse sowohl am Anleihe- als auch am Aktienmarkt erneut in den Minusbereich zu drücken.
Übertriebene Marktreaktionen
Ich halte einige Kursbewegungen inzwischen allerdings für übertrieben. So auch die gestrigen Kursverluste nach den Preisdaten. Schließlich ist die Inflation demnach immerhin rückläufig. Es wurden lediglich die Erwartungen enttäuscht.
Natürlich hält sich die Inflation hartnäckig. Und sie erfordert ein weitergehendes Eingreifen der Notenbanken. Der Beschluss großer Zinsschritte von 75 Basispunkten auf den anstehenden Sitzungen sind aber längst eingepreist. Und der Zinspfad ist vorgegeben:
Der Leitzins der US-Notenbank wird bei ca. 4,5 % bis 4,6 %, die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank werden vorerst bei etwa 2,0 % bis 2,5 % landen. Auch das hat der Markt bereits berücksichtigt. Nur wenn sich abzeichnet, dass diesee Zinspfade erneut nach oben angepasst werden müssen, sind kurzfristig weitere Kursabschläge am Anleihe- und Aktienmarkt gerechtfertigt.Auch die vorgestrige Marktreaktion auf die Äußerungen des BoE-Gouverneurs halte ich für übertrieben.
Zum Hintergrund: Der neue britische Finanzminister hatte jüngst mit Plänen für schuldenfinanzierte Steuersenkungen Zweifel an der Finanzierbarkeit geschürt. Daraufhin kam es in mehreren Wellen immer wieder zu einem Ausverkauf am Anleihenmarkt. Laut der BoE entstand dadurch eine „materielle Gefahr“ für die Finanzstabilität, der sie mit den oben genannten Notmaßnahmen begegnete.
Da es sich derzeit noch um eher lokal beschränkte Probleme handelt, die zudem bislang beherrschbar erscheinen, wirkt der vorgestrige Kursrutsch zum Beispiel des Dow Jones um mehr als 400 Punkte bzw. mehr als 1,3 % binnen Minuten überzogen.
Ähnlich verwundert war ich über die Reaktion des Gaspreises, als die Meldung über die Anschläge auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 über die Nachrichtenticker lief. Daraufhin kam es zu einem Preissprung von in der Spitze mehr als 10 %, obwohl die Pipelines ohnehin nicht (mehr) genutzt wurden.
Solche Kursausschläge sind natürlich der derzeit äußerst nervösen Grundstimmung an den Börsen geschuldet. Damit erklären sich auch die Rekord-Kursstürze bei Varta (ETR:VAR1) und Hypoport (ETR:HYQGn) von jeweils rund 50 %, die Ende September für Aufsehen sorgten und die mir noch gut im Gedächtnis sind, da sie zur gleichen Zeit stattfanden.
Anzeichen für eine bevorstehende Gegenbewegung
Mir fällt allerdings auf, dass die aktuellen Kurssprünge von vorgestern und gestern nur noch temporärer Natur sind und keine neuen Trends einleiten. Die Kursrückgänge bei den Aktienindizes haben nicht mehr zu neuen Tiefs geführt, abgesehen vom Technologieindex Nasdaq 100. Stattdessen sehe ich im sehr kurzfristigen Bereich ein volatiles Auf und Ab auf niedrigem Niveau (siehe auch folgender DAX-Chart). Und häufig ist ein solches Kursverhalten vor Gegenbewegungen zu beobachten.
Auch der Gaspreis gab kurz nach seinem letzten Kurssprung wieder nach und befindet sich aktuell auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine Kurserholung an den Aktienmärkten. Denn diese sind aktuell nach wie vor getrieben von Inflations- und Zinssorgen. Und niedrigere Energiepreise helfen da natürlich.
Spannende Situation im DAX
Vielleicht helfen sie auch den Bullen im DAX. Denn diese liefern sich gerade einen spannenden Kampf mit den Bären. Sehr gut zu sehen ist dies im folgenden 5-Minuten-Chart, wie er jeden Tag vorbörslich im Börsenbrief „Target-Trend-Spezial“ analysiert wird.
Für kurzfristige Trader könnte die Situation spannender kaum sein. Wird die volatile Seitwärtstendenz im kurzfristigen Bereich (gelbes Rechteck) nachhaltig nach oben aufgelöst, geht dies einher mit einem Bruch des mehrtägigen Abwärtstrend(kanal)s (dunkelrot). Und das könnte die Gegenbewegung einleiten.
Ein erster Versuch ist gestern allerdings an der Rechteckgrenze bei 12.301 Punkten gescheitert (siehe roter Pfeil). Und das könnte bearishe Konsequenzen nach sich ziehen. Fällt der DAX nach unten aus der Seitwärtsrange heraus, wird der Abwärtstrend(kanal) fortgesetzt und die Bullen haben eine sehr gute Chance vertan. Ich erwarte aber aus den genannten Gründen eher einen Sieg der Bullen.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus