- Preisexplosionen, so weit das Auge reicht
- Die Fed ist hinter der Kurve
- Aktienmärkte auf Talfahrt
- VIX zieht an, bricht aber nicht aus
- Steigende Zinsen sind nur ein kleiner Teil des Problems
Das Jahr 2022 verlief für die Aktienmärkte bislang recht ungünstig: Der NASDAQ Composite, der S&P 500 und der Dow Jones Industrial Average verzeichneten seit dem 31. Dezember deutliche Verluste.
Nach Jahren niedriger Zinsen und einer Inflation, die unter dem 2%-Ziel der Federal Reserve lag, sind die Konsumenten- und Erzeugerpreise in die Höhe geschossen. Die Fed und das US-Finanzministerium bezeichneten die ansteigende Inflation während des größten Teils des Jahres 2021 als ein "vorübergehendes" Phänomen und machten für den Preisanstieg vorrangig Engpässe in der Versorgungskette infolge der Pandemie verantwortlich. Obwohl die politischen Entscheidungsträger mittlerweile eingeräumt haben, dass sie falsch lagen, haben weder die Zentralbank noch Regierungsvertreter die Verantwortung für die Inflation übernommen.
Im Jahr 2020 führten künstlich niedrig gehaltene Zinssätze und quantitative Lockerungen zu einer noch nie dagewesenen Liquiditätsflut. Die staatlichen Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft während der Pandemie waren beispiellos. Die Maßnahmen waren zwar notwendig, aber sie waren willkürlich, dauerten viel zu lange und säten die Saat der Inflation, die in der zweiten Jahreshälfte 2020 aufkeimte, 2021 erblühte und sich 2022 wie ein Lauffeuer verbreitete.
Steigende Verbraucher- und Erzeugerpreisindizes sowie ein fallender Anleihemarkt senden Warnsignale aus. Der erste große Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und eine Spaltung zwischen den Atommächten verschärfen den Inflationsdruck noch weiter.
Die Aktienkurse zogen in einem Umfeld niedriger Zinsen kräftig an, doch jetzt sehen sich die Märkte mit einem Szenario konfrontiert, in dem die Zinsen der Inflation hinterherlaufen werden. Das Kapital fließt von Aktien in festverzinsliche Anlagen, und die Aussichten für den Aktienmarkt sehen auch im Juni 2022 weiter düster aus.
Preisexplosionen, so weit das Auge reicht
Der US-amerikanische Verbraucherpreisindex für den Monat Mai hat den höchsten Stand seit Dezember 1981 erreicht. Gegenüber dem Vorjahr stieg der VPI um 8,6 %, die Kernrate immerhin um 6 %. Beide Werte waren höher als vom Markt erwartet. Der Erzeugerpreisindex legte um 10,8 % zu und setzte damit die Reihe der zweistelligen Preissteigerungen fort.
Steigende Lebensmittel-, Gas- und Energiepreise verstärken die Inflation, da sie sich auch auf die Kerninflation auswirken und so die Preise für alle Waren und Dienstleistungen beeinflussen. Die ansteigende Inflation war für die Zentralbanken der Welt ein Aufruf zum Handeln. Die Europäische Zentralbank erklärte kürzlich, sie werde die Zinsen aus dem negativen Bereich anheben, doch wird die Inflation auch weiterhin für Realzinsen unter Null sorgen, weil die Teuerung den Wert des Euro untergräbt. Das Gleiche gilt für die US-Zentralbank, die vor der EZB mit Zinserhöhungen und einer Straffung der Geldpolitik begonnen hat.
Die Fed ist hinter der Kurve
Am Mittwoch, den 15. Juni, erhöhte die Federal Reserve die Fed Funds Rate um 75 Basispunkte auf eine Spanne von 1,50 % bis 1,75 %. Die Zentralbank hatte den Zinssatz seit 1994 nicht mehr um einen dreiviertel Prozentpunkt angehoben. Für die Fed stellt die Kernrate des VPI die zuverlässigste Messgröße für die Inflation dar, da die Preise für Lebensmittel und Energie stark schwanken. Bei einer Kerninflation von 6 % liegt das untere Band der Fed Funds bei einem Viertel der von der Fed bevorzugten Inflationskennzahl.
Im aktuellen Umfeld könnte sich die Kerninflation als Trugbild erweisen, denn aufgrund des Krieges in der Ukraine, der die Natur dieser Märkte verändert hat, sind die Lebensmittel- und Energiepreise erheblich gestiegen. Der Krieg schafft ein angebotsseitiges Problem für die Wirtschaft. Die Instrumente der Zentralbank wirken aber eher auf der Nachfrageseite.
Unterm Strich hinkt die Zentralbank mit einem Zinssatz von 1,50 % bis 1,75 % weit hinter der Inflationskurve hinterher, was die wirtschaftliche Lage nur noch verschlimmern dürfte.
Aktienmärkte auf Talfahrt
Die wichtigsten Börsenindizes haben im Jahr 2022 niedrigere Höchst- und Tiefststände registriert. Seit Mitte Juni hat sich der Abwärtsdruck sogar noch verstärkt.
Quelle: Barchart
Der S&P 500, der am breitesten gefasste US-Aktienindex, erreichte am 4. Januar ein Rekordhoch von 4.818,62 Punkten. Am 20. Juni stand der Index dann bei 3.675 Punkten und korrigierte damit um 24 %. Mit den jüngsten VPI-Daten beschleunigte sich der Abwärtstrend.
Quelle: Barchart
Der technologielastige NASDAQ Composite erreichte seinen Höhepunkt früher als der S&P 500 und markierte am 22. November 2021 mit 16.212,23 Zählern ein Rekordhoch. Am 20. Juni notierte der NASDAQ bei 10.798 Punkten und damit 33,3 % unter dem Rekordhoch vom November.
Quelle: Barchart
Der DJIA mag sich zwar besser halten als andere Indizes, doch fiel er dennoch von 36.952,65 Punkten am 5. Januar auf 29.889 Punkte am 20. Juni, was einem Rückgang von 19,1 % entspricht. Während der letzten Monate ging es mit den Aktien bergab, doch nach den jüngsten Inflationsdaten und der Leitzinserhöhung der US-Notenbank verstärkten sich die Verkäufe.
In der Zwischenzeit fiel der September-Future der 30-jährigen US-Staatsanleihe am 16. Juni auf einen Tiefstand von 131-01, den niedrigsten Stand seit Januar 2014. Die Zinssätze für dreißigjährige konventionelle Hypotheken lagen Ende 2021 unter 3 % und Mitte Juni 2020 bei über 6 %. Eine Hypothek über 300.000 Dollar kostet nun über 750 Dollar mehr als noch vor sechs Monaten.
VIX zieht an, bricht aber nicht aus
In der Vergangenheit endeten Abwärtstrends an den Aktienmärkten in der Regel nach einer unangenehmen Kapitulationsphase, in der viele Marktteilnehmer den Rückzug antraten. Vor den jüngsten VPI-Daten war der Aktienmarkt bereits am Abrutschen.
Der VIX Index spiegelt die implizite Volatilität der S&P 500 Aktien wider. Die implizite Volatilität ist der wichtigste Bestimmungsfaktor für die Preise von Call- und Put-Optionen, wobei Optionen eine Art Preisversicherung darstellen. Der VIX steigt tendenziell an, wenn die Aktienkurse sinken, da die Marktteilnehmer ihre Portfolios mittels Preisversicherungen schützen.
Obwohl der VIX in den letzten Monaten gestiegen ist, ist der Index nicht explodiert, was bedeutet, dass die Aktienmärkte bisher nicht auf breiter Front kapituliert haben.
Quelle: Barchart
Wie aus der Grafik hervorgeht, führte die Kapitulation des Aktienmarktes im März 2020 zu einem Anstieg des VIX-Index auf 85,47. Mit 30,36 am 20. Juni lag der Volatilitätsindex zwar auf hohem Niveau, aber nicht auf einem Niveau, das darauf hindeutet, dass der Aktienmarkt in der Nähe eines Kapitulationstiefs liegt.
Steigende Zinsen sind nur ein kleiner Teil des Problems
Die Fed und andere Zentralbanken befinden sich in einer schwierigen Lage, denn sie sind mit einer angebotsseitigen Inflation konfrontiert und haben nur nachfrageseitige Instrumente zur Verfügung. Darüber hinaus erhöhen sinkende Börsen und BIP-Zahlen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession bei weiterhin steigendem Preisniveau. Stagflation ist ein schreckliches wirtschaftliches Ungeheuer.
Steigende Zinsen belasten den Aktienmarkt, doch der Krieg in Europa, die Spannungen zwischen den Atommächten der Welt und die Zwischenwahlen in den USA, bei denen die führende Volkswirtschaft der Welt entlang politischer Linien gespalten ist, haben an den Märkten aller Anlageklassen für erhebliche Unsicherheit gesorgt.
Der Rückgang an den Aktien- und Anleihemärkten deutet noch nicht auf eine Kapitulation hin, was für die Märkte möglicherweise der gefährlichste Faktor ist. Der VIX im Bereich über 30 deutet keineswegs auf Panik der Marktteilnehmer hin.
Der Zinsanstieg ist nur eines der Probleme, vor denen der US-Aktienmarkt Mitte Juni 2022 steht. Die Bären dürften den Markt so lange kontrollieren, bis dieser ein Kapitulationstief erlebt. Das bärischste Muster am Aktienmarkt ergibt sich aus schnellen Erholungen als Reaktion auf neue Tiefs, die wiederum zu neuen Tiefs führen.
Auf dem Aktienmarkt ist Vorsicht geboten, denn die steigenden Zinsen sind nur eines von vielen Problemen, mit denen Aktien Mitte 2022 konfrontiert sind.