Es gibt viele Gründe, der Aktie von Amazon (NASDAQ:AMZN) derzeit skeptisch zu begegnen. Der in Seattle ansässige Internet-Handelsriese gilt als Ausnahmeunternehmen mit einem sensationellen Umsatz von 469 Milliarden Dollar im Jahr 2021. Doch die Aktie, die am Freitag bei einem Stand von 3.295,47 Dollar aus dem Handel ging, verfügt auch über eine stolze Börsenbewertung von über 1,6 Billionen Dollar und das höchste Kurs-Gewinn-Verhältnis aller Mega-Caps.
Auf den ersten Blick erschienen die Ertragszahlen für das vierte Quartal zwar äußerst beeindruckend, doch profitierte das Unternehmen von einem Einmalgewinn aus einer seiner Investitionen. Die Aktie selbst steckt seit Juli 2020 weitgehend fest, aber gleichzeitig wirkt die jüngste Erholung von ihrem 20-Monats-Tief wie eine mögliche Übertreibung.
Dennoch besteht bei näherer Betrachtung immer noch viel Raum für Optimismus, und nicht für Skepsis. Amazon zählt zu den besten Unternehmen der Welt, und - was ebenso wichtig ist - die Amazon-Aktie ist viel günstiger als sie aussieht. Mit einer neuen, aktionärsfreundlicheren Politik dürfte es für AMZN noch viel Platz und Grund geben, sich nach oben zu bewegen.
Hat der Amazon-Aktiensplit eine Rolle gespielt?
Am 10. März kletterte die Amazon-Aktie um 5,4 %.
Angesichts eines Anstiegs der Marktkapitalisierung des Unternehmens um rund 75 Milliarden Dollar stellt dies eine recht bedeutsame Entwicklung dar. Die Tatsache, dass diese Kursgewinne an einem Tag erzielt wurden, an dem der Markt nachgab - der NASDAQ Composite fiel an diesem Tag um fast 1 % - machte diese Entwicklung umso imposanter.
Der Anstoß für die Rallye mag einigen Beobachtern etwas seltsam erscheinen. Am Tag zuvor, nach Börsenschluss, hatte Amazon einen Aktiensplit im Verhältnis 1:20 sowie einen Aktienrückkauf im Wert von 10 Milliarden Dollar angekündigt.
Theoretisch hätte die Ankündigung die AMZN-Aktie nicht viel bewegen dürfen, wenn überhaupt.
Schließlich bewirkt ein Aktiensplit allein stehend nichts am Börsenwert des Unternehmens. Ein Split mag unter Umständen die Nachfrage der Anleger an den Rändern erhöhen, denn dann müssen Kleinanleger nicht mehr so viel für eine einzelne Aktie berappen. Aber Teilaktien sind bereits bei fast allen großen Brokern erhältlich. Und bei einem Börsenwert von knapp 1,5 Billionen Dollar hätte eine erhöhte Nachfrage von Kleinanlegern wohl ohnehin kaum nennenswerte Auswirkungen auf den Kurs.
Das Gleiche gilt für den Aktienrückkauf. Der Rückkauf von Aktien im Wert von 10 Milliarden Dollar mit 10 Milliarden Dollar in bar dürfte - wiederum in der Theorie - nichts am Gesamtwert des Unternehmens ändern. Das Vertrauensvotum des Vorstands in die Aktie mag förderlich gewesen sein, aber auch hier hat Amazon in einer einzigen Sitzung einen Wertzuwachs von rund 75 Milliarden Dollar erzielt.
Einige Investoren scherzten in den sozialen Medien sogar über die Entwicklung der Amazon-Aktie, die unmittelbar nach der Ankündigung im nachbörslichen Handel bis zu 10 % zulegte und damit die Hypothese des effizienten Marktes widerlegte.
Aber in der Praxis, wenn nicht sogar auch in der Theorie, spielen der Split und der Rückkauf eben doch eine Rolle. Seit seiner Gründung steht bei Amazon der Kunde im Mittelpunkt. Diese Ausrichtung hat wahre Wunder für die Amazon-Aktie bewirkt, die, bereinigt um frühere Aktiensplits (in den späten 1990er Jahren), um mehr als das 2.000-fache gestiegen ist. (Anders ausgedrückt: Eine Investition von 500 Dollar beim Börsengang 1997 wäre heute etwas mehr als 1 Million Dollar wert).
Für den neuen CEO Andy Jassy bleibt genügend Raum, um sich auch weiterhin um die Aktionäre zu kümmern. Und der Aktiensplit und der Rückkauf stellen möglicherweise einen kleinen, ersten Schritt in diese Richtung dar. Eines der zentralen Argumente für den Besitz von AMZN-Aktien ist, dass die Bewertung im Verhältnis zu den Gewinnen und dem freien Cashflow angemessen ist - und dass diese Kennzahlen durch die endlosen Investitionen von Amazon derzeit belastet werden.
Es lässt sich unmöglich sagen, wie viel Gewinn Amazon erzielen könnte, wenn es sich nur auf das kurzfristige Ergebnis konzentrieren würde. Mit ziemlicher Sicherheit hat Jassy aber viel Spielraum für Einsparungen. Amazon hat bereits die Schließung von 68 physischen Einzelhandelsgeschäften angekündigt. Die Investitionen des Unternehmens in Drohnen, Hardware und andere margenschwächere Produkte könnten die nächsten sein.
Wie der Aktiensplit und der Rückkauf sollten diese Maßnahmen theoretisch den Wert von Amazon nicht allzu sehr verändern. In gewisser Weise weiß der Markt sicherlich, dass Amazon teils unzureichend gewirtschaftet hat.
Aber die bisherigen Schritte von Jassy deuten auf einen Weg hin, bei dem Amazon seinen unerbittlichen Fokus auf die Kunden beibehält und gleichzeitig in Märkten bleibt, in denen dieser Fokus dem Unternehmen eine Führungsposition und ein gewisses Maß an Rentabilität verleiht. Unter diesen Voraussetzungen sollten sich die Gewinnmargen und das Wachstum von Amazon deutlich verbessern - und das wäre der nächste große potenzielle Katalysator für die Aktie.
Die Bewertung von Amazon verstehen
Zugegebenermaßen scheint die Amazon-Aktie trotz der guten Nachrichten immer noch stark überbewertet zu sein. Die Aktien werden mit dem 50-fachen des Gewinns von 2021 gehandelt - aber dieser Gewinn je Aktie wurde durch einen Gewinn im vierten Quartal aus Amazons Investition in den Elektro-Lkw-Hersteller Rivian Automotive (NASDAQ:RIVN) aufgebläht.
Wenn man das herausrechnet, wird AMZN mit dem fast 80-fachen der Gewinne gehandelt. (Der Rückgang der RIVN-Aktie um 55 % seit Jahresbeginn bedeutet, dass die Investition einen erheblichen Verlust einbringen wird, wenn Amazon die Ergebnisse für das erste Quartal 2022 veröffentlicht).
Ein Blick auf Amazon nach regionalen und Unternehmenssegmenten zeigt jedoch ein viel angemesseneres Fundamentalprofil, als es diese Kennzahl vermuten ließe. Das Segment Nordamerika, das die Online- und physischen Geschäfte auf dem Kontinent umfasst, weist für 2021 eine operative Marge von nur 2,6 % aus. Im Jahr 2019 waren es noch über 4 %. Auch hier scheinen Investitionen ein wichtiger Faktor zu sein, da Amazon weiterhin seine Logistik ausbaut und seinen Lieferservice und seine Angebote erweitert.
Hier gibt es noch viel Raum für Verbesserungen. Das US-Geschäft von Walmart (NYSE:WMT) erwirtschaftet selbst unter Hinzurechnung aller Gemeinkosten des Unternehmens Margen von knapp über 5 %. Wenn Amazon die Marge in seinem Nordamerika-Segment auf 4 % steigern kann, bedeutet das allein schon ein EPS-Wachstum von 15 % nach Steuern im Vergleich zum Jahr 2021 (wiederum unter Ausschluss der Auswirkungen der Rivian-Investition).
Das internationale Geschäft ist auf operativer Basis nach wie vor nur knapp unrentabel. Mit zunehmender Reife des Geschäfts wird sich das mit der Zeit ändern. (Das ist genau der Weg, den das nordamerikanische Geschäft genommen hat, als die Bären behaupteten, die Aktie sei im dreistelligen Bereich "überbewertet"). Jedes 1 % Betriebsgewinn, das in Übersee erzielt wird, bringt weitere ~4 % an Nettogewinn.
Und dann ist da noch Amazon Web Services, das Cloud-Geschäft des Unternehmens. AWS ist ein echtes Monstrum - auf eine gute Art. Im Jahr 2021 erwirtschaftete das Segment einen Umsatz von mehr als 62 Milliarden Dollar - bei einer operativen Marge von knapp 30 %.
Wäre AWS ein eigenständiges Unternehmen, würde es bei einem Steuersatz von 21 % (die Bundessteuer; im Bundesstaat Washington gibt es keine Körperschaftssteuer) einen Nettogewinn von knapp 15 Milliarden Dollar erzielen. Angesichts der imposanten Gewinnmargen und des Umsatzwachstums lässt sich leicht argumentieren, dass ein solches Unternehmen locker eine Bewertung von 1 Billion Dollar erreichen oder sogar übertreffen würde.
Während Skeptiker auf den Einfluss von Rivian auf Amazons positives Ergebnis im vierten Quartal hinwiesen, war es wahrscheinlich die Stärke von AWS, die die AMZN-Aktie nach dem Zahlenwerk nach oben schießen ließ.
Die Multiples lassen die Amazon-Aktie teuer erscheinen. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Bewertung eher angemessen ist.
Für AMZN spricht also der Umstand, dass man eines der buchstäblich besten Unternehmen der Welt zu einer aktuell vertretbaren Bewertung besitzt, das noch viele, viele Jahre des Wachstums vor sich hat. Im Einzelhandel, im Medienbereich, in seinem AWS-Cloud-Geschäft und auf internationaler Ebene hat Amazon.com nur an der Oberfläche seines Umsatz- und Margenpotenzials gekratzt.
Das war eigentlich die ganze Zeit des letzten Vierteljahrhunderts der zentrale Beweggrund für die Amazon-Aktie. Unserer Ansicht nach bleibt dies auch in den nächsten 25 Jahren ein gutes Argument.
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