von Wolfgang Müller
In der großen Vermögensanlage, beziehungsweise bei den Vorsorgesystemen, gibt es die beiden zentralen Anlageklassen Aktien und Anleihen. Die Depots werden oft angelegt in einen bestimmten Verhältnis zwischen 70 zu 30 Prozent oder 60 zu 40 Prozent und in vielen weiteren Varianten, je nach regulatorischer Vorgabe. Damit wird in bestimmten Börsenphasen, zumeist abhängig vom Zinsniveau, die Schwäche einer Anlageklasse mit der Stärke der anderen ausgeglichen. So ist es bereits seit Jahrzehnten, um nicht zu sagen seit Jahrhunderten. Aber was ist in den letzten Jahren passiert, mit dem ehemals großen Stabilitätsanker Anleihen, dem Hauptbestandteil der Portfolios bei Versicherungen und der Betriebsvorsorge, speziell in unseren Breiten?
Anleihen: Das Ende starker Zinserträge, nach 40 Jahren
Die Notenbanken haben von Jahr zu Jahr durch ihr Quantitative Easing die erreichbaren Zinseinahmen reduziert, die sich große Kapitalanleger durch ihre langlaufenden Anleihen (10 Jahre+) gerade noch gesichert haben.
Stellt sich also die Frage, woher die Bondinvestoren sich in den nächsten Jahren ihre Rendite holen wollen? Die Klasse der High Yield Anleihen ist für viele Kapitalsammelstellen obsolet, außerdem liegt das Rendite/Risiko-Verhältnis in diesem Anleihebereich auf einem absurd tiefen Niveau.
Durch Kupons, also jährlichen Zahlungen, gibt es nichts mehr zu holen. Seit 40 Jahren geht sie zurück, die nominale und reale Rendite von Anleihen.
40 Jahre lang (1980-2019) erzielten Anleiheinvestoren in den USA eine Rendite, die die Inflation übertraf – und zwar deutlich. Das Niveau der 10-jährigen US-Staatsanleihe ist seit den 1980-er-Jahren stetig gefallen, der Kursrückgang brachte aber durchweg Durationsgewinne. Tempi Passati.
Aber das ist Vergangenheit. Es ist schwer, nochmals solch hohe Renditen zu erwirtschaften, da wir uns heute in einem ganz anderen Umfeld befinden.
Mit einer 10-jährigen Treasury-Rendite von unter 1,6% und einer Inflation von 4,16 Prozent, ist die aktuelle Realrendite von minus 2,5% die niedrigste seit 1980 (Realrendite = Nominalrendite minus Inflation).
Durch die Kupons, also jährlichen Zahlungen, gibt es erst recht nichts mehr zu holen.
Gestern sahen wir ein weiteres Mal sinkende Rendite für die 10-jährige US-Staatsanleihe (1,557 Prozent), die angesprochene Short Squeeze ging weiter. Wer hätte sich das vorstellen können, nach einem Sprung der Verbraucherpreisinflation auf 4,2 Prozent?
Nicht nur Warren Buffett hat schon davon gesprochen, dass jetzt eine schreckliche Phase für Bond-Investoren beginnen werde. „Die Zinsen sind die Schwerkraft des Marktes, sie sind überall, man sieht sie nicht, aber sie dominieren alles“, so das Orakel von Omaha. Wenn sie aber von den Notenbanken gesteuert werden?
Auch Stagflation möglich
Bekommen wir wieder eine Phase der Stagflation, niedrige Renditen, bei höherer Inflation und in der Folge einen schwachen Aktienmarkt?
Vergessen wir nicht, die Aktienrendite orientiert sich stets auch an der Anleiherendite – der Aufschlag der über Jahrzehnte gewährt wurde war der Bonus für die Übernahme eines höheren Risikos. Und woher sollen höhere Renditen für Anleihen kommen? Nicht im Ansatz wäre es möglich in die Höhen der 1970/80-er-Jahre vorzustoßen, denn das wäre gleichbedeutend mit dem unmittelbaren Staatsbankrott von Dutzenden Industrieländern.
Auch der deutsche Anhänger von Warren Buffett als Value- Investor, Henrik Leber, warnte kürzlich in einem Interview: Billiges Geld wird irgendwann jemand bezahlen müssen – und das sind zunächst die Inhaber von Zinspapieren.
Fazit
Wie sollen die großen Kapitalsammelstellen aus diesem Dilemma herauskommen? Vielleicht durch eine Änderung der Anlagerichtlinien, wie ist das Börsen-Urgestein Gottfried Heller, langjähriger Partner von André Kostolany, schon vor drei Jahren prognostiziert hat, unter anderem auf dem letzten Börsentag in München (vor Corona)? Bislang müssen viele institutionelle Investoren aufgrund der Regulatorik Anleihen halten.
Wie es auch der große norwegischen Staatsfonds vorgemacht hat, der in den letzten drei Jahren seine Aktienquote von 60 auf über 72 % angehoben hat.
Eine sehr knifflige Situation ist entstanden, die die Notenbanken mitverursacht haben. Denn allein in den letzten 20 Jahren gab es drei Perioden, in denen die Aktienmärkte zwischen 33 und 54 Prozent gefallen sind, bei Indizes wohlbemerkt. Bei Einzelaktien waren es zum Teil erheblich mehr – man denke nur an den Rückgang von Microsoft (NASDAQ:MSFT) und Amazon (NASDAQ:AMZN) zwischen 75 und 93 Prozent als Folge der Dotcom-Bubble in den Jahren 2000 bis 2003.